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Brexit oder bleiben?
Die Uneinigkeit der Briten

Ungeregelter Brexit, verschobener Brexit, gar kein Brexit - die Menschen in Großbritannien sind bei dem Thema genauso gespalten wie die Politiker. Die persönliche Situation und der Arbeitsmarkt spielen für ihre jeweiligen Entscheidungen eine große Rolle, aber auch Alter und der jeweilige Wohnort.

Von Anne Demmer | 21.03.2019
Brexit-Gegner demonstrieren in Newcastle
London ist für den Verbleib in der EU, Boston dagegen - die Bevölkerung in Großbritannien ist beim Thema Brexit uneins (AFP / Andy Buchanan)
Für die Menschen in London, rund um den eingerüsteten und derzeit nur sehr selten die Stunde schlagenden Big Ben, ist die Sache eigentlich ganz klar: Sie würden am liebsten alles so lassen, wie es ist. 60 Prozent haben hier im Juni 2016 für den Verbleib in der Europäischen Union gestimmt, in manchen Stadtteilen waren es sogar 75 Prozent.
Überall rund um Big Ben findet man Menschen wie Femi Oluwole. Er hat die Jugendorganisation "Our Future, our choice" mitgegründet und kann sich noch gut an den Morgen nach dem Referendum erinnern.
"Gebt uns nicht auf!"
"Mein Land wird nie wieder gut sein", habe er im ersten Moment gedacht. Femi hat Jura studiert, er hat in Österreich, in Belgien, in Frankreich gearbeitet. Europa ist mein Zuhause, sagt Femi. Bis heute kämpft der 28-Jährige für den Verbleib Großbritanniens in der EU. Und er bittet um Hilfe, nicht nur in seiner Heimat.
"Meine Botschaft an Deutschland und alle anderen in Europa ist: Gebt uns nicht auf! Die zukünftige Generation Großbritanniens will den Brexit nicht. Sie will Teil der europäischen Familie sein. Also, bitte: Macht die Tür nicht zu!"
Mehr als neun Millionen Menschen leben in London: Einheimische und Einwanderer, Menschen aus allen Erdteilen, vor allem aus Asien, Afrika, Europa. Die Stadt ist bunt wie keine andere im Land. London ist anders als der Rest des Landes.
Ansicht der Stadt Boston vom Wasser aus gesehen
Das ostenglische Boston gilt als die Brexit-Hauptstadt Großbritanniens. Etwa jeder vierte Einwohner stammt aus Osteuropa (picture alliance/Silvia Kusidlo/dpa)
"Die Migranten nehmen uns die Jobs weg"
Die kleine Stadt Boston im Osten Großbritanniens, unweit von der Nordsee: Rund 200 Kilometer von London entfernt: Der Ort wirkt friedlich, mit den Backsteinbauten, dem Kirchturm, der von den Bewohnern nur Stumpf genannt wird, dem Fluss und den Brücken, die darüber führen.
Läuft man in Boston durch die Straßen, fallen viele kleine Läden auf, die im Schaufenster mit "European Food" - europäischen Lebensmitteln werben. Hier gibt es Tütensuppen aus Litauen, Sonnenblumenkerne aus Rumänien und Bier aus Polen. Für die vielen Neuzugezogenen aus Osteuropa.
Bill gefällt diese Entwicklung nicht: "Ich bin absolut damit einverstanden, dass wir die EU verlassen. Der Hauptgrund ist, dass die Migranten uns die Jobs wegnehmen – in der Landwirtschaft, in den Fabriken – hier in der Region und deswegen haben viele Menschen für den Brexit gestimmt."
Bill arbeitet bei einem Schlüsseldienst im historischen Stadtkern von Boston. Er gehörte 2016 zu rund 76 Prozent der Bewohner von Boston, die für den Brexit gestimmt haben. Die Einwanderer aus Osteuropa waren vor dem Referendum ein zentrales Wahlkampfthema. Wenn der 50-Jährige spricht, legt er eine große Zahnlücke bloß. Von den Politikern fühlt sich Bill vergessen.
In den britischen Medien wird Boston auch Little Poland genannt. Viele geben den Migranten die Schuld dafür, dass der NHS, das britische Gesundheitssystem, überlastet ist, die Mieten horrend sind und die Gehälter immer noch weiter schrumpfen. Die neuen Bewohner kommen aus Rumänien, Polen, Litauen, haben in Boston Jobs als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft und den umliegenden Fabriken gefunden, bleiben auf Dauer oder nur für eine Saison. Boston gehört zum Gemüsegarten von Großbritannien, der Boden ist fruchtbar, es gibt viel Arbeit.
"Wir finden keine Briten, die das stattdessen machen würden"
Der Landwirt Robin Buck beschäftigt rund 400 Arbeiter, nur zehn aus Großbritannien, der Rest kommt aus Osteuropa. Vor ihm liegt ein Meer gelber Frühlingsblumen. Arbeiter - vor allen Dingen junge Männer aus Rumänien - schneiden die Stiele im Sekundentakt und bündeln jeweils zehn Blumen zu einem Strauß.
"Wir sind auf die Migranten angewiesen, gerade in der Osterglockensaison, in dieser Zeit brauchen wir 250 Arbeitskräfte. Wir pflücken vier Millionen Sträuße - über ca. sechs bis zehn Wochen. Es wird sieben Tage die Woche gearbeitet. Es ist sehr gute Arbeit, sie lohnt sich, aber sie ist auch hart, dafür finden wir keine Briten, die das stattdessen machen würden."
Er zahle faire Löhne, sagt Buck, auch Urlaubstage. Andere Bauern, bzw. die Agenturen, die die Arbeiter vermitteln, würden allerdings die Löhne drücken. Und das sei das Problem, erklärt der Lokalpolitiker der oppositionellen Labour-Partei Paul Gleeson. "Ein Teil des Problems ist ein historisches Versagen von Regierungen auf allen Ebenen. Sie haben versäumt, auf den Zuzug von vielen Arbeitern aus den neuen EU-Ländern zu reagieren. Das hat Auswirkungen auf unsere Gesellschaft, auf unsere Communities. Aber das ist nicht der Fehler der Menschen, die hier zum Arbeiten gekommen sind. Die Hauspreise, die Mieten sind damit gestiegen und die Gehälter gleichzeitig gesunken. Und das hat die Communities getroffen. Das Problem ist, dass nun den neuen Arbeitern die Vorwürfe gemacht werden, anstatt sie an uns Politiker zu richten, wir hätten dafür sorgen müssen, dass Mieten fair bleiben."

Die Mieten reichten teilweise an die in London heran, während die Durchschnittslöhne sänken, so Gleeson. Sozialwohnungen wurden an private Interessenten verkauft, die zu hohen Mieten an Gruppen von Arbeitern aus Osteuropa vermietet würden. Die Stadt ist gespalten: Auf der einen Seite die alteingesessenen Briten und auf der anderen die Migranten.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Zurück auf dem Osterglockenfeld. Christina betreut die Arbeiter von Landwirt Buck, sie hilft auf dem Feld auch mal mit der Übersetzung, wenn es Kommunikationsprobleme gibt, die wenigsten sprechen Englisch. Die 32-Jährige selbst ist vor 13 Jahren aus Litauen nach Großbritannien gekommen. Sie weiß, wie viele Briten über Leute wie sie sprechen: Die Migranten aus Osteuropa würden Sozialleistungen schnorren, mit ihnen sei die Kriminalität gestiegen, die jungen Männer pinkelten auf offener Straße. Christina zuckt mit den Schultern, sie selbst komme gut mit den Briten klar.
"Ich hatte bisher keine Probleme mit den Menschen hier, auch nicht nach dem Referendum. Ich empfinde die Stimmung nicht als aggressiv. Ich wohne in einer netten Nachbarschaft in Boston, hier wohnen nur Briten, niemand guckt mich komisch an. Wir wissen einfach nicht, was passiert. Aber ich denke, wenn die Bauern nicht ihre Saisonarbeiter aus anderen Ländern bekommen, wer wird dann die Arbeit machen, wer pflückt dann die Osterglocken? Die Landwirte werden verzweifelt sein."
"Der Brexit ist ehrlich gesagt eine schreckliche Idee"
Straßenmusik vor dem Einkaufszentrum in Aberdeen. Die Stadt an der schottischen Nordseeküste hat 2016 mit 61 Prozent für den Verbleib in der Europäischen Union gestimmt. Darunter auch der 48 Jahre alte Ingenieursausbilder Brian, der gerade auf dem Weg in seine Mittagspause ist:
"Der Brexit ist ehrlich gesagt eine schreckliche Idee. Und die Tatsache, dass die Politiker immer noch keinen Plan haben, macht die Sache noch schlimmer. Ich spüre bereits, dass die Unternehmen wegen der unsicheren Zukunftsaussichten immer weniger bereit sind, vier Jahre lang Ingenieure auszubilden."
Die gesunkenen Rohstoffpreise hätten die Ölförderung vor der Küste Aberdeens bereits hart getroffen - und jetzt auch noch der Brexit! Im Hafen brummen die Generatoren der Schiffe, die die Ölplattformen versorgen.
Ein paar hundert Meter entfernt, im Rathaus, macht sich Stadtrat Ian Yuill Sorgen: "Niemand weiß, was nach dem Brexit wirklich passiert. Das allein ist ja schon chaotisch. Aber das Institut Zentrum für Städte hat 2017 die voraussichtlichen Brexit-Effekte untersucht. Danach wird der Austritt aus der EU Aberdeen von allen britischen Städten am härtesten treffen."
Die geschäftige Union Street im Herzen der schottischen Stadt Aberdeen
Der Austritt aus der EU wird laut Vorhersagen Aberdeen von allen britischen Städten am härtesten treffen (Imago)
20 Kilometer nördlich von Aberdeen liegt das Dorf Newmachar. Hier, auf der Sittyton-Farm, züchtet John Fyall Shorthorn-Rinder und Schafe. Seine 1.500 Lämmer kommen aus den schottischen Highlands - jetzt fressen sie sich bei ihm in Aberdeenshire dick und rund, bis Ostern, dann sollen sie zum Festtagsbraten werden, vor allem bei den zahlreichen Kunden in Frankreich und Deutschland.
Wenn es aber mit der Verschiebung des Austrittstermins 29. März doch nicht klappen sollte, dann wird im schlimmsten Fall aus diesem Geschäft nichts. Dann wird John Fyall seine schottischen Lämmer zu Ostern nicht auf den Kontinent bringen können.
"Es ist so, als würde die Regierung noch schnell im Schulbus die Hausaufgaben hinkritzeln, in der Hoffnung, dass der Lehrer das akzeptiert. So darf man nicht mit den Menschen umgehen, deren Existenz hier auf dem Spiel steht."
Sollte es zum Brexit kommen, dann will zumindest die Partei der schottischen Nationalisten, die SNP, noch einmal über die schottische Unabhängigkeit von Großbritannien abstimmen lassen. Stewart Stevenson, der die Küste nördlich von Aberdeen im schottischen Parlament in Edinburgh vertritt, sagt, seine Partei werde ein neues schottisches Unabhängigkeitsreferendum auf die Tagesordnung setzen, wenn sie sicher sei, es auch zu gewinnen. 2014 hatten sich die Schotten für den Verbleib in Großbritannien ausgesprochen. Damals drohte allerdings noch kein Brexit.
EU-Zuschuss: Kunst statt Klos
Ein kräftiger Dauerregen geht an diesem Abend nieder auf Cardiff, die Hauptstadt von Wales. Rund 53 Prozent der Menschen in Wales haben für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt, obwohl gerade nach Wales besonders viel Geld von der EU fließt. Hunderte Kohleminen und Stahlwerke gaben hier einmal zehntausenden Menschen Lohn und Arbeit, hier war der Ursprung der Industriellen Revolution, erzählen sie immer noch voller Stolz.
Heute gehört der Süden von Wales zu den ärmsten Regionen in ganz Europa, laut EU-Definition auf einer Stufe mit zum Beispiel Bulgarien und Rumänien. Deshalb kommt die Kohle für die Region jetzt aus den Töpfen der EU – rund fünf Milliarden Euro allein in den vergangenen gut zehn Jahren. Trotzdem ist der Frust groß. In den Valleys waren 62 Prozent für den Brexit, trotz der Summen aus Brüssel.
"Ich habe doch gesehen, wie über die Jahre das Geld verschwendet wurde", schimpft Zoe Powell. Zoe Powell betreibt in der Provinzhauptstadt Ebbw Vale einen kleinen Laden für Näh-Bedarf. Auf einem kleinen Platz vor ihrem Geschäft steht der Steel Dragon, der Stahl-Drachen, mehrere Meter hoch. Der Drachen ist das Wahrzeichen von Wales. 22.000 Pfund hat diese Figur gekostet, bezahlt von der EU.
"Als unser Drache aufgestellt wurde, haben sie zur gleichen Zeit alle öffentlichen Toiletten bei uns geschlossen, weil kein Geld mehr da war. Den Zuschuss von der EU gab es aber nur für ein Kunstwerk. Also habe ich gefragt: Können wir nicht künstlerische Toiletten haben? Ging aber nicht, also hatten wir keine Toiletten mehr."
Rund acht Millionen Euro hat die EU in ein Gewerbezentrum in Ebbw Vale gesteckt, mit fast 100 Millionen hat sie den Bau einer großen Landstraße quer durch die Valleys subventioniert. Dass Wales in Zukunft das nun fehlende Brüsseler Geld aus London erhält, das glaubt Zoe Powell aber auch nicht. "Für uns interessiert sich doch niemand", sagt sie, "von den Konservativen bekommen wir nichts, weil wir Labour-Stammland sind, und von Labour nicht, weil sie wissen, dass sie den Sitz hier sicher haben."
Trotzdem würde sie sich bei einer erneuten Abstimmung wieder für Austritt entscheiden. "Wenn es ein zweites Referendum gäbe, dann wäre die Mehrheit noch größer. Denn wir haben ja schon abgestimmt. Wir brauchen kein zweites Referendum. Diese Gegend hier würde immer noch für Leave stimmen."
Burg und ein Pub in der britschen Stadt Cardiff.
Rund 53 Prozent der Menschen in Wales haben für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt, obwohl gerade nach Wales besonders viel Geld von der EU fließt (picture-alliance/ dpa / Oliver Berg)
"Man hat uns nicht alles gesagt"
In einer alten Bankfiliale gegenüber haben Diane und Steven Roberts eine ungewöhnliche Kombination aus Juwelierladen, Kaffeehaus und Galerie eingerichtet. Die beiden sitzen am Kohleofen, und Diane versichert: "Ich würde definitiv wieder für Austritt stimmen." Steven dagegen, ihr Mann, hat seine Meinung geändert. Er hat für den Verbleib gestimmt, rückblickend ist er aber auch für den Austritt.
"Ich habe damals nicht so da reingeblickt. Es schien so, als käme all unser Geld von der EU. Und das ging nur in nutzlose Dinge. Aber je mehr ich damit beschäftigt habe, desto mehr sah ich, dass vieles von dem, was hier an Schwerindustrie verloren gegangen ist, nur in andere EU-Länder abwanderte, und hier haben sie alles dicht gemacht."
Ebenso wie Steven hat auch Fran Bevan die Fronten gewechselt – allerdings in umgekehrter Richtung, Austritt zum Bleiben. Es habe aber etwas gedauert, erzählt die frühere Krankenschwester, die inzwischen im Ruhestand lebt. "Ich bin damals die ganze Nacht aufgeblieben, bis das Ergebnis kam. Ich hatte für den Austritt gestimmt. Aber je mehr die Zeit voranschritt, desto mehr merkte ich auch: Man hat uns nicht alles gesagt."
Heute sei ihr klar: Das war eine falsche Entscheidung. Jetzt ist Fran für den Verbleib in der EU, mindestens aber für ein zweites Referendum – mit einer Einschränkung: "Soll ich Ihnen mal was sagen? Ich finde, Leute über 70 sollten dann nicht mehr daran teilnehmen. Es betrifft uns ja nicht mehr wirklich. Aber die 16-Jährigen, die betrifft das massiv! Es ist ihr Leben, es ist ihre Zukunft."
Oxford-Ableger in Berlin geplant
Es ist ein sonniger Tag in Oxford, Studenten sitzen draußen in den Cafés. Lukas Sonnenberg macht eine Lernpause. Der 23-Jährige studiert Philosophie und Europäische Politik an der prestigeträchtigen University of Oxford. Angst löst der Brexit bei dem deutschen Studenten nicht aus. "Aber auf lange Frist möchte ich glaube ich nicht in Großbritannien bleiben, vor allem, wenn sie austreten."
Auch wenn die britische Regierung angekündigt hat, dass EU-Studierende keine höheren Studiengebühren zahlen müssen, wenn sie sich bis Herbst 2019 einschreiben, sind viele verunsichert. Nach dem Brexit könnten eine Visapflicht und neue Aufenthaltsbestimmungen eingeführt werden.
In Oxford wollte man den Brexit nicht. Beim Referendum vor zwei Jahren stimmten 70 Prozent der Wahlberechtigten für den Verbleib in der EU. Für die Universität steht viel auf dem Spiel, auf EU-Gelder ist die Forschung unbedingt angewiesen. Für das Studienjahr 2015/16 hat Oxford 74 Millionen Pfund von der EU bekommen. Doch die Universität hat sich nun ein Rede-Verbot auferlegt. Professoren dürfen sich wenige Tage vor dem Austrittstermin am 29. März offiziell nicht äußern.

18 Prozent der Mitarbeiter und 16 Prozent der Studenten von Oxford kommen derzeit aus Ländern der europäischen Union. Angesichts der unsicheren Zukunft sucht die Universität nach Alternativen, wie eine enge Kooperation auch in Zukunft gewährleistet bleiben kann. Schon bald soll quasi eine Oxford-Filiale auf dem europäischen Kontinent in Berlin entstehen.
Mit solchen Kompromissen will sich Joe Inwood nicht zufrieden geben. Inwood will den EU-Austritt noch verhindern. Der Sprecher des Studentenverbands setzt sich für ein zweites Referendum ein. Er trifft sich mit Abgeordneten, will seine Kommilitonen mobilisieren. "Es ist eine politische Entscheidung, die nicht von unserer Generation getroffen wurde. Wir haben jetzt eine wichtige Rolle, wir können aufstehen und sagen: Das passiert hier nicht in unserem Namen."
Die Bodleian Library, Hauptbibliothek der Universität Oxford, ist seit dem 8. November 1602 geöffnet
Viele EU-Studierende an der renommierten Universität in Oxford sind verunsichert (picture alliance / Photoshot)
Autoindustrie in Sunderland knickt vor Brexit ein
Sunderland, die Labour-Hochburg und Arbeiterstadt im englischen Nordosten, votierte 2016 mit 60 Prozent für den Austritt. "Ich wollte nie in der EU sein. Und je schneller wir jetzt raus kommen, desto besser. Wir haben Tausende und Abertausende Arbeitsplätze verloren. Der Schiffbau ist weg, die anderen Industrien auch. Wir haben nichts mehr. Nur noch die Nissan-Fabrik. Ob wir nun in der EU bleiben oder nicht - auch diese Jobs werden verschwinden, wenn sie die Autos woanders billiger produzieren können", sagt der 80 Jahre alte Rentner Jim.
Sunderland war mal der größte Schiffbaustandort der Welt. Doch dann kam Margaret Thatcher, die mit ihrer Wirtschaftspolitik in den 1980er-Jahren die englische Industrie platt und stattdessen die Banken groß machte - in London, nicht in Sunderland.
Im Minutentakt rauschen die Lastwagen aus dem Werkstor der Nissan-Fabrik in Sunderland, mit neuen Autos huckepack. Die Japaner stellen hier seit 1984, im Stadtteil Washington, in der größten Autofabrik auf britischem Boden, die Modelle Juke und Qashqai her, knapp eine halbe Million Neuwagen pro Jahr, zwei Drittel davon für Kunden in EU-Ländern auf dem Kontinent.
7.000 Arbeitsplätze allein in der Fabrik, 40.000 weitere Jobs bei den Zulieferern - Nissan ist heute der größte Arbeitgeber in der Region Sunderland. Nach bisher unbestätigten Meldungen will das Unternehmen jetzt aber unter anderem wegen der Brexit-Unsicherheit die Produktion zurück fahren, eine von drei Schichten einstellen. Definitiv aufgegeben hat der japanische Konzern den Plan, das neue Modell X Trail in Sunderland zu bauen. Es wird nun allein in Japan hergestellt.
Der Brexit droht das ohnehin schon wirtschaftlich angeschlagene Sunderland noch ärmer zu machen. Und trotzdem wollen die Menschen hier raus aus der EU und halten nichts von einer erneuten Volksabstimmung.