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Brexit
Planlos in London

Fast alle Fragen sind offen und unbeantwortet. Es gibt keinen Zeitplan für den Austritt Großbritanniens aus der EU. Auch die Frage nach einer Mitgliedschaft im EU-Binnenmarkt ist offen. Sicher scheint für viele nur eins: Der Ausstieg aus der EU wird Jahre dauern, vielleicht ein ganzes Jahrzehnt.

Von Friedbert Meurer | 15.09.2016
    David Davis geht eine Straße entlang
    David Davis, der neue "Secretary of State for Exiting the European Union", will aus dem EU-Austritt einen Erfolg machen. (imago / i Images)
    "Order! The statement of the Secretary of State for Exiting the EU."
    Der Speaker im Unterhaus ruft zur ersten Rede des neuen "Ministers für den Austritt aus der EU" auf, so heißt das neu geschaffene Ressort, das David Davis führt.
    "Die Leute wollen wissen, was der Brexit jetzt bedeutet. Es heißt einfach: wir verlassen die Europäische Union."
    Davis wird für diese Binsenweisheit ausgelacht. "Brexit heißt Brexit" – so lautet auch das Mantra von Davis`s Chefin, der Premierministerin Theresa May.
    "Es heißt, dass wir aus der EU gehen und dem britischen Volk zuhören. Wir sind die einzige Partei, die das Ergebnis des Referendums akzeptiert. Wir werden aus dem Brexit einen Erfolg machen."
    Viele Fragen offen
    Fast alle Fragen bleiben im Moment unbeantwortet: wann wird der Austritt aus der EU beantragt? Nicht vor Ende 2016, sagt May. Heißt das Anfang 2017, Mitte oder Ende 2017? Wird Großbritannien Mitglied im EU-Binnenmarkt bleiben? Das sei unwahrscheinlich, entgegnet David Davis und wird von Theresa May zurückgepfiffen. Erhält die britische Regierung volle Kontrolle über die Einwanderung? Ja, aber unter dem Vorbehalt, dass das der Wirtschaft nicht schadet. Theresa May lässt sich nicht festlegen.
    Sir Simon Fraser war bis letztes Jahr leitender Staatssekretär im britischen Außenministerium und wie viele Diplomaten pro EU. Er glaubt, dass der Brexit eine unglaublich komplexe Angelegenheit wird, die fast kaum zu bewältigen sei.
    "Der Prozess wird viele Jahre dauern, also Verhandeln, Ratifizieren und Implementieren. Das dauert wahrscheinlich sogar eine ganze Dekade, bis es wirklich umgesetzt ist."
    Dann äußert Simon Fraser, der früheren Außenstaatssekretär, einen provozierenden Gedanken: der Brexit findet am Ende nicht statt, lautet dieser Gedanke.
    "Wenn die Briten oder auch die Europäer in Zukunft ihre Meinung ändern, dann schließe ich das nicht völlig aus. Aber das steht im Moment nicht zur Debatte. Wie die Premierministerin gesagt hat: Brexit heißt Brexit."
    Kein Exit vom Brexit?
    Ein anderer, amtierender Politiker wagt sich auch aus der Deckung und schlägt ein zweites Referendum vor - Owen Smith. Er fordert Jeremy Corbyn zur Zeit in der laufenden Urwahl als Labour-Chef heraus. Dieses zweite Referendum soll erst dann abgehalten werden, wenn London und Brüssel sich am Ende auf die Details eines Brexit geeinigt haben.
    "Wenn wir am Ende der Verhandlungen wissen, was wirklich herausgekommen ist, dann können wir das wieder unserem Land vorlegen – entweder als zweites Referendum oder durch Neuwahlen. Unter meiner Führung würde Labour dafür werben, in der EU zu bleiben."
    Smith hat für seinen Vorstoß allerdings nicht allzu viel Zustimmung erhalten. Die weit überwiegende Mehrheit der Briten glaubt an keinen Exit vom Brexit. Jetzt geht es um die Vorbereitungen. Das neue Brexit-Ministerium zum Beispiel sucht noch händeringend Leute, das neue Handelsministerium ebenso – Handelsexpertise ist rar in London, weil die EU in Brüssel seit Jahr und Tag die Handelsverträge abschließt. Vieles ist unklar im Moment. Der Minister für den Austritt aus der EU muss da einiges an Spott über sich ergehen lassen.
    "Ich möchte Ihnen einen Rat geben", höhnt zum Beispiel die Labour-Abgeordnete Emily Thornberry im Unterhaus, "es ist etwas schwierig, Sie und Ihre Mitarbeiter zu erreichen. Vielleicht fangen Sie einmal damit an, dass Sie eine Telefonnummer für Ihr Ministerium auf Ihrer Webseite angeben. Es wäre sehr nett, wenn sie das nachher erledigen könnten."