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Brexit-Urteil
High Court stärkt Rechte des Parlaments

Das Parlament darf beim Austritt aus der EU mitreden: Für die britische Premierministerin Theresa May ist das Brexit-Urteil des High Courts ein Rückschlag. Doch nicht nur ihr stehen harte politische Zeiten bevor.

Von Friedbert Meurer | 04.11.2016
    Dunkle Regenwolken über dem britischen Parlament in London-Westminster.
    Dunkle Regenwolken über dem britischen Parlament in London-Westminster. (imago stock&people/Ben Stevens)
    Es dauerte nur wenige Minuten, da feuerten die führenden Politiker der rechtspopulistischen UKIP-Partei ihre Tweets und Statements ab. Suzanne Evans, Anwärterin auf den Parteivorsitz, forderte, alle Richter des High Court zu entlassen.
    Douglas Carswell, der einzige UKIP-Abgeordnete im Unterhaus, beschuldigte die drei Richter, sich als Politiker aufzuspielen, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen. "Eine elitäre Bande von Juristen will den Willen des Volkes unterwandern", so hieß es wutentbrannt aus der Leave-Kampagne.
    "Mein Gefühl sagt mir, dass ich zunehmend beunruhigt werde", gab Übergangsparteichef Nigel Farage sofort per Telefoninterview zu Protokoll. "Es wird nur noch einen halben Brexit geben. Abgeordnete aus allen Parteien sagen jetzt, ach ja, wir wollen im Binnenmarkt leben, wir wollen auch weiter dafür bezahlen. Die politische Klasse will 17,4 Millionen Wähler betrügen." Die Wähler hätten keine Ahnung, was für einen öffentlichen Zorn sie damit provozieren würden.
    UKIP hat wieder ein Ziel
    Bei aller echten oder gespielten Entrüstung - für UKIP bildet das Urteil von gestern auch eine Chance. Die Partei ist tief zerstritten, die Nachfolgerin von Nigel Farage warf nach 18 Tagen entnervt das Handtuch, es fliegen sogar die Fäuste - da könnten Versuche, den Brexit auszuhebeln, der Partei wieder Leben einhauchen.
    Die Investmentbankerin Gina Miller spricht nach dem Brxit-Urtil des High Courts zur Presse.
    Die Investmentbankerin Gina Miller hatte vor dem High Court für die Mitbestimmung des Parlaments bei einem Brexit geklagt (picture alliance / dpa / Hanna McKay)
    Aber auch sie beruft sich auf das Volk: Gina Miller, eine Investmentbankerin, hatte die Klage vor dem High Court eingereicht. "Die Entscheidung heute geht uns alle an. Es geht um die Zukunft des Vereinigten Königreichs. Es spielt keine Rolle, ob wir für oder gegen den Brexit gestimmt haben. Es geht um das Verfahren, nicht um Politik."
    Das Verfahren lautet jetzt: Premierministerin Theresa May muss sich die Zustimmung des Parlaments einholen, bevor sie den Antrag auf Austritt aus der EU einreicht. Die politischen Auswirkungen können aber jetzt enorm sein.
    Lord Kerr sprach es als einer der Ersten aus, ein schottischer ehemaliger Verfassungsrichter, der einst den Artikel 50 im Vertrag von Lissabon konzipiert hat. "Der Prozess ist nicht unwiderruflich", meinte er schon vor dem Urteil. "Sie können ihre Meinung ändern, während das Verfahren läuft."
    Brexit Zeitplan könnte verzögert werden
    Dass das Parlament den Brexit tatsächlich stoppt, entweder jetzt oder später, gilt aber als sehr unwahrscheinlich.
    "Es geht nicht darum, den Brexit zu verhindern oder das Referendum zu unterlaufen", beeilte sich auch die konservative Abgeordnete Nicky Morgan zu versichern, eine führende Pro-EU-Politikerin. "Beim Volksentscheid ging es darum, dass Souveränität von der EU an Großbritannien rückübertragen wird. Daher hat das Parlament das Recht, über eine so fundamentale Sache zu entscheiden."
    Der Graben bei den Konservativen ist wieder voll aufgebrochen. Morgans Parteifreund Dominic Raab beschuldigt die EU-Befürworter, dass es ihnen nicht um rechtliche Details geht: "Es ist ein Schock, wie sie das Ergebnis des Referendums versenken wollen. Es sieht danach aus, dass einige wenige Politiker, Anwälte und Richter den Willen des britischen Volkes verhindern wollen."
    Noch steht nicht fest, wie genau das Parlament beteiligt werden soll. Es könnte eine einfache Abstimmung oder aber ein gesetzgebendes Verfahren geben. Um den Jahreswechsel wird der Supreme Court, die höchste richterliche Instanz, entscheiden. Sollte er dem High Court folgen, hätte Theresa May danach nur noch relativ wenig Zeit, bis Ende März wie angekündigt den Antrag auf den Brexit an die EU-Kommission zu richten. Für halb elf heute Vormittag hat sie sich jedenfalls schon einmal zum Telefonat mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker verabredet.