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Brexit-Verhandlungen
"Wir brauchen eine klare Linie von den Briten"

Weiterhin ist noch völlig unklar, was nach dem Brexit mit der irischen Grenze wird. Der Ökononom Edgar Morgenroth kritisiert die Zerrissenheit der Briten bei dieser Frage. Es brauche eine klare Linie, um gescheite Verhandlungen zu führen, sagte er im Dlf. Er hält eine Umkehr des Brexit noch für möglich.

Edgar Morgenroth im Gespräch mit Silvia Engels | 13.12.2017
    "We love British - Great British" steht auf einem Karton.
    "We love British - Great British" steht auf einem Karton. (Lukas Schulze, dpa picture-alliance)
    Silvia Engels: Am Freitag erklärten ja die britische Premierministerin May und EU-Kommissionspräsident Juncker, dass man bei den Streitthemen eine Einigung erzielt habe, um auf dem anstehenden EU-Gipfel die zweite Phase der Verhandlungen über den Brexit einzuläuten. Dann soll vor allen Dingen über das Freihandelsabkommen gesprochen werden, das den Briten ja so wichtig ist. Doch sind bei den drei Hauptstreitthemen Schlussrechnung, Rechte von EU-Bürgern und Nordirland-Grenzfrage wirklich Durchbrüche da? Gestern erst sorgte Brexit-Minister Davis wieder mal für Ärger bei der EU, da er die Einigung von Freitag einmal mehr als reine Absichtserklärung deklarierte. Auch Theresa May blieb vage. Die EU-Staats- und Regierungschefs wiederum wollen nicht vor März konkret mit London über Freihandel verhandeln und heute wiederum gibt es das EU-Austrittsgesetz auch im britischen Parlament, und auch hier regt sich Widerstand.
    Versuchen wir, das Ganze wenigstens in Sachen Nordirland-Grenze mal etwas zu sortieren. Am Telefon dazu ist Professor Edgar Morgenroth. Er ist deutscher Ökonom, lebt seit Jahren im irischen Dublin. Er arbeitet am dortigen Economic and Social Research Institute, einem Sozial- und Wirtschaftsforschungsinstitut rund um irische Fragen. Er kennt die Volkswirtschaften Nordirlands ebenso gut wie die der Republik Irland. Guten Morgen, Herr Morgenroth.
    Edgar Morgenroth: Guten Morgen.
    Engels: Haben Sie eine Idee, wie London es hinbekommen will, dass die Grenze zwischen Irland und Nordirland wirklich durchlässig bleibt wie jetzt, aber trotzdem eine wirksame EU-Außengrenze?
    Morgenroth: Ja, das ist insofern möglich, wenn Großbritannien in der Zollunion und im Binnenmarkt bleibt. Dann wäre im Grunde genommen nicht viel anders, als es jetzt ist, und dann könnte die Grenze auch so bleiben, wie es jetzt ist. Das ist natürlich die einfachste Lösung, die allerdings die Leute in der Konservativen Partei, die den Brexit befürworten, nicht gerne sehen. Und da hat man sich dann auf eine gewisse Wortwahl geeinigt, die es ermöglicht, vielleicht eine Lösung zu finden, die so aussieht wie der Binnenmarkt und die Zollunion, aber dann anders heißt.
    Engels: Anders heißt. Aber auf der anderen Seite, wenn es dann wirklich der Binnenmarkt wäre, dann gäbe es doch dann de facto einen Unterschied zwischen der nordirischen Wirtschaft und, sage ich mal, dem anderen Teil Großbritanniens auf der anderen Insel.
    Morgenroth: Ja, das ist wiederum in diesem "Abkommen" von letztem Freitag auch mit drin, und da verpflichtet sich die britische Regierung, keine Unterschiede zwischen Britannien und Nordirland zu machen. Und das ist wiederum sehr, sehr schwierig, wenn der Rest Großbritanniens auch wirklich einen härteren Brexit möchte, und das ist ja das, was zum Beispiel David Davis, der Brexit-Minister, anstrebt.
    "Wir brauchen eine klare Linie von den Briten"
    Engels: Man hat ja so ein bisschen das Gefühl, da wurde ein Formelkompromiss verkauft als ein Ergebnis, das es nicht ist. Denn eigentlich hat man sich doch nur Zeit gekauft im Sinne von wir finden eine Lösung, aber wie die aussehen soll, weiß man noch nicht. Ist diese Analyse falsch?
    Morgenroth: Erst mal steht in diesem Abkommen, dass nichts wirklich bis jetzt von den Verhandlungen richtig tragend ist, dass alles davon abhängt, ob man am Ende bei den Handelsverhandlungen auch zu einem Abschluss kommt. Und es ist auch schon klar, obwohl die Briten sich in diesem Abkommen am Freitag verpflichtet haben, die irische Grenze offen zu halten, dass sie dieser Verpflichtung aber nicht nachkommen werden, sollte es kein Handelsabkommen geben. Das hat Davis jetzt schon klargemacht.
    Engels: Heißt das, die Iren in Dublin, um mal auf Ihre Stadt, in der Sie leben, zurückzukommen, sehen da jetzt langsam, da hat man uns eine Katze im Sack verkauft, der vielleicht gar nicht das beinhaltet, was wir gerne hätten?
    Morgenroth: Auf der politischen Seite hat man das hier als Triumph verkauft, dass man da von der britischen Seite Verpflichtungen bekommen hat in diesem Abkommen, die auch die mögliche Position nach einer fehlgeschlagenen Handelsverhandlung beinhalten. Das ist aber am Ende nicht belastbar, weil in so einem Fall ein Land wie Irland und auch selbst die EU die Briten nicht dazu zwingen könnte, diese Abmachungen auch wirklich durchzuführen.
    Engels: Sie sagen, das ist nicht belastbar. Müsste dann aus europäischer Unionsperspektive und besonders der irischen Perspektive den Briten noch mal deutlich gemacht werden, nein, wir verhandeln noch nicht über das Freihandelsabkommen, dieser Punkt Nordirland ist nach wie vor nicht richtig klar?
    Morgenroth: Meiner Meinung nach wäre das schon der Fall. Ich hätte jetzt noch nicht das grüne Licht für die Handelsverhandlungen gegeben. Das Problem damit wäre allerdings, dass Theresa May möglicherweise ihren Job verlieren würde, und wer sie dann ersetzen würde in London, ist dann fraglich. Und es könnte jemand sein, der vielleicht wie David Davis oder seine Kumpanen einen härteren Brexit anstrebt. Die Frage ist nur die, wenn jetzt Theresa May diese Verhandlungen zu Ende bringt, inwieweit der Rest der Konservativen Partei da mitzieht, und das ist das größte Problem. Es ist am Ende ein politisches Problem, dass die Konservative Partei und das britische Unterhaus sich nicht einig sind, was sie tatsächlich wollen. Wir brauchen aber eine klare Linie von den Briten, um gescheite Verhandlungen zu führen, und das war von Anfang an ein Problem und es ist nach wie vor ein Problem.
    Engels: Sie sprechen es an: Dieses Problem scheint sich eher heute auch wieder etwas zu verschärfen. Auf der einen Seite, Sie haben es angesprochen, gibt es den Flügel, der unbedingt radikal aus der EU austreten will, rund um Minister Davis. Auf der anderen Seite haben sich nun die EU-freundlichen Abgeordneten in dem Lager von Theresa May ein Vetorecht beim endgültigen Brexit-Abkommen noch einmal ausbedungen. Das könnte heute bei dem Versuch, das EU-Austrittsgesetz durch das Londoner Parlament zu bekommen, auch ein Problem werden. Zerreißt es am Ende die Tories?
    "Es ist also überhaupt nicht klar, was Großbritannien möchte"
    Morgenroth: Das ist durchaus möglich und für die EU-Seite ist es schwierig, da durchzuschauen, was dann passieren würde, weil auch auf der Labour-Partei gibt es viele, die für einen Brexit sind. Es ist also überhaupt nicht klar, was Großbritannien möchte, und das zeigt einfach, wie zerrissen auch das Land ist in dieser Frage. Bis jetzt ist es der Fall gewesen, dass die Brexitiers, also die, die den Brexit angestrebt haben, die schlechtesten Argumente hatten, aber am lautesten geschrien haben und den Rest des Parlaments so vor sich hingetrieben haben. Und es ist jetzt die Frage, ob die Mehrheit im Parlament, die nicht für den Brexit ist, jetzt auch mal sagt, nein, sie haben die Mehrheit und sie wollen sich durchsetzen. Das werden wir jetzt über die nächsten paar Tage sehen.
    Engels: Sehen Sie irgendeine Chance, dass dieser Brexit, der ja als unumkehrbar gilt, am Ende vielleicht doch noch umgekehrt wird?
    Morgenroth: Es ist möglich. Wahrscheinlich nicht mit der jetzigen Gemengelage im Parlament. Eigentlich müsste man dann schon noch Wahlen haben, oder noch mal wieder ein neues Plebiszit. Oder es ist auch die Möglichkeit da, dass es einen Brexit gibt, der aber keine größeren Konsequenzen hat, so eine Lösung wie zum Beispiel in Norwegen. Die Norweger haben ja eine relativ enge Bindung an die EU, sind im Binnenmarkt, aber nicht in der Zollunion, zahlen auch in den Haushalt der EU ein und so weiter. So eine Lösung ist auch möglich. Oder auch eine Lösung wie das Freihandelsabkommen mit Kanada. Das wäre auch nicht der härteste Brexit, aber würde nach wie vor ein paar Probleme für die irische Grenze hervorbringen.
    Engels: Einschätzungen von Professor Edgar Morgenroth. Er lebt seit Jahren im irischen Dublin und arbeitet am dortigen Economic and Social Research Institute. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Früh.
    Morgenroth: Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.