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Brexit-Vertragsentwurf
Irische Grenzkontrollen sollen vermieden werden

578 Seiten, 185 Artikel - das ist der Entwurf für ein Brexit-Abkommen, den EU-Chefunterhändler Michel Barnier vorstellte. Er sieht eine Übergangsfrist von zwei Jahren vor, die im Notfall verlängert werden kann. Sollte in dieser Zeit die Frage der irischen Grenze nicht geklärt werden, greift ein sogenannter Backstop.

Von Peter Kapern | 15.11.2018
    Barnier steht vor einer blauen Wand mit der Aufschrift "European Commission" an einem Pult hinter einem Mikrofon und blättert mit Blick nach vorne in dem Dokument.
    Michel Barnier präsentierte im Pressesaal der EU-Kommission den Vertragsentwurf (Virginia Mayo / AP / dpa)
    Es war exakt 21 Uhr 06, als Michel Barnier im Pressesaal der EU-Kommission stand, und wie so viele Male zuvor den Entwurf für den Brexit-Vertrag wie ein Daumenkino durch seine Finger laufen ließ. Bislang waren dabei immer grün markierte Textstellen zu sehen. Verhandlungspunkte, bei denen noch kein Konsens erreicht worden war. Diesmal war es anders. Diesmal zeigte er den Journalisten ausschließlich makellos weißes Papier:
    Nichts farbiges mehr, sagte der Brexit-Chefunterhändler. Weiß ist das neue Grün! Das ist der Austrittsvertrag, dick wie das Telefonbuch von Paris, 578 Seiten, 185 Artikel, dazu drei angehängte Protokolle. Besonders das dritte davon hat es in sich. Doch bevor Barnier zu dessen Inhalt kommt, erinnert er noch einmal, was bei den Brexit-Verhandlungen schon erreicht worden war, bevor sie sich festgefressen hatten.
    Millionen EU-Bürger, die vor dem Austritt Großbritanniens schon auf der Insel gelebt haben, können das auch nach dem Brexit tun – für sie wird sich nichts ändern. Gleiches gilt für Briten, die auf dem Kontinent leben. Großbritannien hat zugesichert, alle finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen, die sich aus seiner fast 44-jährigen EU-Mitgliedschaft ergeben.
    Übergangsfrist von knapp zwei Jahren
    Außerdem ist eine Übergangsfrist vereinbart worden, die mit dem Brexit am 29. März 2019 beginnt und bis zum 31. Dezember 2020 dauert. In dieser Übergangsphase ändert sich fast nichts – abgesehen davon, dass die britische Regierung innerhalb der EU kein Mitspracherecht mehr hat. Diese knappen zwei Jahre des Übergangs sollen genutzt werden, um ein umfassendes Abkommen über die zukünftigen Beziehungen auszuhandeln. In diesem Abkommen soll auch festgelegt werden, wie eine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland verhindert werden kann. Keine Grenzposten, keine Zollkontrollen.
    Und damit zum Inhalt des überaus wichtigen dritten Protokolls: Sollte sich Mitte 2020 zeigen, dass die Zeit für die Aushandlung eines Partnerschaftsabkommens nicht ausreicht, kann die Übergangsphase verlängert werden. Und erst, wenn auch das nicht zum Ziel führt, greift der sogenannte Backstop, den Barnier folgendermaßen beschrieb:
    "Wir haben vereinbart, in diesem Fall ein gemeinsames Zollgebiet zu schaffen. Nordirland wird Teil dieses Zollgebiets sein, genauso wie der Rest des Vereinigten Königreichs. Zusätzlich behält Nordirland alle EU-Regeln bei, die nötig sind, um Grenzkontrollen überflüssig zu machen."
    Alle Binnemarktregeln für Agrarprodukte und andere Güter also. Der Backstop kreiert also einen Unterschied zwischen Nordirland und dem restlichen Vereinigten Königreich, was die nordirischen Koalitionspartner der britischen Tories immer abgelehnt haben. Barnier bemühte sich allerdings, diesen Unterschied als unwesentlich darzustellen.
    Backstop würde Großbritannien eng an EU binden
    Innerhalb dieses Zollgebiets werden britische Waren vollen Zugang zum EU-Binnenmarkt haben. Im Gegenzug sichert Großbritannien zu, alle Spielregeln einzuhalten, die auf einem Level Playingfield gelten, also Regeln, die das unterlaufen etwa von Umwelt- oder Sozialstandards verbieten. Sollte dieser Backstop je in Kraft treten, wäre Großbritannien auch nach der Übergangsphase sehr eng an die EU angebunden. Enger, als dies den Brexit-Befürwortern lieb ist. Zumal London nicht einseitig den Austritt aus dieser Zollgemeinschaft beschließen könnte.
    Deshalb versicherte Michel Barnier, dass dieser Backstop eigentlich nie in Kraft gesetzt werden soll. Der Weg zu einem Vertrag über die künftige Partnerschaft sei noch lang und schwierig, sagte Michel Barnier, und stellte doch klar: Das Vereinigte Königreich bleibt unser Freund, unser Partner, unser Verbündeter. Und dann sagte er den Satz, der notwendig ist, um die Ereignisse voranzutreiben:
    "In meiner Eigenschaft als Chefunterhändler stelle ich fest, dass wir entscheidenden Fortschritt erreicht haben."
    Und damit kann jetzt ein EU-Sondergipfel einberufen werden. Vom EU-Ratspräsidenten Donald Tusk. Mit dem trifft sich Barnier in aller Herrgotts Frühe. Um 7 Uhr 50.