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Bridget Jones - zehn Jahre später

"Das Leben kleben", so lautet der Titel des neusten Werkes der Autorin Marina Lewycka. Die Heldin des Buches ist Georgie Sinclair. Eine Frau mittleren Alters, die von ihrem Mann wegen einer jüngeren Frau verlassen wurde und nun im Kosmos suburbaner Lebenskultur gefangen ist.

Von Mortimer Korsch | 26.04.2011
    "Das Leben kleben", so lautet der Titel des neuesten Werkes der englischen Autorin mit ukrainischen Wurzeln Marina Lewycka. Lewycka, heute in Sheffield beheimatet nennt "Das Leben kleben" einen "britischen Landhausroman". Wer dahinter epische Dramen im Stil von Emily Bronte oder Jane Austen erwartet, liegt falsch. "Das Leben kleben" ist die Geschichte zweier Frauen und eines Hauses. Mit viel Feingefühl für die eigentümlichen Facetten ihrer Charaktere begibt sich die Autorin auf die Suche nach dem, was ihre Protagonisten verbindet. Um die Antwort gleich vorwegzunehmen: Es handelt sich um Klebstoff.

    Well I think the idea of glue is that we're all made of sticky stuff, we're designed to stick together. Part of our human nature is to find people and to bond with them. And so, in the book, the characters, in a way, are all looking for someone to bond with. The chemistry of glue is very interesting and it's not something I'm a great expert on, but the idea of valency in molecules is that each molecule has hands and it has to reach out and to grab other molecules, and if molecules didn't do that, matter wouldn't exist. And the most important thing is that actually molecules have to grab atoms, which are different to the ones that they're made up out of. In a way, we have to reach out for each other, we have to stick to each other and we have to form bonds with people who are not the same as us. So in a way that's the chemical level, you know, that's what the glue metaphor is about.

    "Nun, das Konzept des Klebers ist, dass wir alle aus klebrigem Stoff bestehen, wir sind prädestiniert, zusammen zu kleben. Ein Teil unserer Natur ist es, Menschen zu finden und Beziehungen mit ihnen zu formen. Die Charaktere im Buch sind alle auf der Suche nach menschlichen Verbindungen. Kleberchemie ist interessant, auch wenn ich da kein Experte bin, denn die Idee von Molekülvalenz ist, dass jedes Molekül Hände hat, mit denen es andere Moleküle angeht und hält – würden die Moleküle dies nicht tun, gäbe es keine Materie. Und das Wichtigste ist, das Moleküle Verbindungen mit Atomen eingehen müssen, die anders sind als jene, aus denen sie bestehen. Das heißt, wir als Menschen müssen nacheinander greifen, müssen aneinander kleben und Bindungen mit Menschen eingehen, die anders sind als wir selbst. Dies ist sozusagen die Klebermetapher auf chemischer Ebene."

    Hinter dem Bild des Klebers verbirgt sich die egalitäre Weltsicht der Autorin: In zwischenmenschlichen Beziehungen gibt es sehr viel mehr verbindende als trennende Elemente. Was auf menschlicher Ebene schon vielschichtig daherkommt, wird von Lewyka auf chemischer Ebene reflektiert. Der Mensch besitzt, gleich dem Klebstoffmolekül, Charakteristika, welche dazu prädestiniert sind, in Kontakt mit der Umgebung zu treten und Verbindungen herzustellen. Für den Laien hört sich das in etwa so kompliziert an, wie sich die menschliche Kontaktaufnahme in Lewyckas Roman gestaltet.

    Britain is a very multicultural country and we have lots of situations in which people who would normally quite dislike each other, for example we have Pakistanis and Bangladeshis, who live almost as neighbours in Sheffield, and their history would say that they shouldn't have anything to do with each other, but actually at a practical level of you know, what happens in the street, taking their children to school, fixing the cars, that the men do, I think, away from the sight of conflict, people can find out what it is they have in common as human beings.

    "Großbritannien ist ein multikulturelles Land, und es gibt viele Situationen in denen Leute, die sich normalerweise nicht mögen, zum Beispiel Pakistani und Bangladeshi, die in Sheffiled praktisch Nachbarn sind, herausfinden können, das sie als Menschen Gemeinsamkeiten haben, obwohl sie anhand ihrer Geschichte nichts miteinander zu tun haben sollten. Aber eigentlich, auf einer praktischen Ebene, seien es die Geschehnisse auf der Straße, das Zur-Schule-Bringen der Kinder oder das Reparieren von Autos, wie es die Männer machen, haben sie viel gemeinsam."

    Das Interesse der Autorin Marina Lewycka an dem Menschen und seinen vielfältigen Bindungen ist eine Suche nach Gemeinsamkeiten. Auf den ersten Blick offenbaren die Charaktere aus dem Roman "Das Leben kleben" jedoch vor allem Unterschiede. Da wäre zum Beispiel Georgie Sinclair, eine Frau mittleren Alters, die von ihrem Mann gerade wegen einer jüngeren Frau verlassen wurde. Georgie ist eine im Kosmos suburbaner Lebenskultur gefangene Frau. Alleingelassen mit einem pubertären Sohn, den die Angst vor der nahenden Apokalypse umtreibt, lebt sie ein typisch britisches Mittelklasseleben. Um dessen monotone Mechanismen auf die Spitze zu treiben, lässt Lewycka sie hauptberuflich für ein Fachmagazin namens "Klebstoffe in der modernen Welt" schreiben. Am Anfang jeden Kapitels kommt der Leser in den Genuss von Ausführungen chemischer Natur zu Klebstoffstrukturen und -eigenschaften, die den sonst unbeschwert daherkommenden Erzählfluss verlangsamen. Neben dieser eintönig wirkenden Beschäftigung frönt Georgie ihrer wahren Leidenschaft, dem Schreiben schnulziger Romane, welche sie in regelmäßigen Abständen an nicht interessierte Verlagshäuser schickt. Kurze Absätze Georgies schriftstellerischer Ambitionen durchsetzen die Erzählung immer wieder; mit einem Augenzwinkern gewährt Lewycka damit Einblick in Georgies teils arg verkitschte Gefühlswelt.

    Richtig in Schwung kommt die Geschichte, wenn Georgie mit der zweiten Protagonistin Bekanntschaft macht. In einem Anfall von Trotz über die Trennung von ihrem Mann beschließt Georgie, dessen Habseligkeiten als Sperrmüll vor ihrer Tür zu deponieren. Mrs. Shapiro, eine alte Dame, durchwühlt des Nachts jenen Sperrmüll auf der Suche nach Brauchbarem. Das ist die erste von vielen noch folgenden Begegnungen der beiden Frauen, welche einander im Laufe der Geschichte immer wieder brauchen, ohne dies wirklich zu wollen. Aus unterschiedlichen Gründen fällt es beiden schwer, ihren Alltag zu meistern. Mit mäßigem Erfolg versuchen sie, das Leben der jeweils anderen wieder in Ordnung zu bringen.

    Die Gestalt der Mrs. Shapiro ist komisch und macht nachdenklich zugleich. Ihr Schicksal und das ihrer Familie sind ernstere Zwischentöne in der sonst leichtherzigen Geschichte. Immer wieder strapaziert Mrs. Shapiro die Sprache ihres Gastlandes aufs Äußerste und so werden Passagen, in denen sie zu Wort kommt, zu wunderbarem Slapstick. Mrs. Shapiros chaotisches Wesen ist der amüsante Gegensatz zu Georgies geordneter Welt. Die Gegensätzlichkeit der beiden Protagonisten verleiht der Geschichte die nötige Spannung.

    Neben der Beziehung der beiden Protagonistinnen beleuchtet der Roman auch verschiedene historische und politische Konflikte. Die Geschichte der Juden im Zweiten Weltkrieg wird ebenso berührt wie der andauernde Nahostkonflikt. Sie sei sich bewusst gewesen, dass solche Thematiken nicht jeden Leser ansprächen. Doch mit ein bisschen Sex und Bondage in der Geschichte, so erklärt Lewycka lachend, habe sie den Leserkreis wieder erweitern wollen. So stürzt sich Georgie in eine leicht sadomasochistische Affäre mit einem Immobilienmakler, dessen besonderes Interesse eigentlich dem dritten Hauptdarsteller des Buches gilt, Canaan House.

    Dem Vorbild des britischen Landhausromans folgend, spielt die Behausung der Charaktere auch hier eine gewichtige Rolle. Canaan House ist ein größeres, verwunschen wirkendes Anwesen in Georgies Nachbarschaft: Hier wohnt Mrs. Shapiro. Als Dreh- und Wendepunkt diverser Interessenkonflikte wird dieses altehrwürdige Haus als dritter wesentlicher Charakter des Buches eingeführt. Der Leser nimmt dadurch nicht nur Anteil an dem Schicksal der beiden Frauen, sondern auch ganz wesentlich an dem des alten Gemäuers.

    Da Lewykca selbst ursprünglich als ukrainische Einwanderin nach Großbritannien gelangte, drängt sich die Frage auf, wie viel von sich selbst die Autorin in die Konzeption ihrer beiden Heroinen mit einfließen ließ.

    Well, a lot of people ask whether I have put myself into my two main characters, and they assume, that, because the story is told in the first person, that I resemble Georgie, and it's true that I have got some things in common with Georgie, I'm a mother, I'm sort of more within Georgie's age range, and like Georgie, I'm someone who really wanted to be a novelist but ended up doing a kind of hackwriting which Georgie didn't want very much, so all that sort of "Splattered Heart” and "adhesives history” is really part of my professional career. But I have to say that in very many other aspects I am quite like Mrs. Shapiro: I like to pull things out of skips, I'm a person that really likes bargains.

    "Nun, viele Leute fragen ob meine beiden Hauptcharaktere Teil meiner Selbst sind. Sie gehen davon aus, dass ich Georgie ähnele, da die Geschichte aus der Perspektive des Ich heraus erzählt wird. Und es stimmt, einiges habe ich mit Georgie gemeinsam: Ich bin Mutter, ungefähr in ihrem Alter, und wie Georgie bin ich jemand, der wirklich gerne Schriftsteller sein wollte, aber dann doch eher Schreiberling von Auftragsarbeiten wurde, was Georgie nicht wirklich wollte. So gesehen sind Georgies schriftstellerische Ambitionen wie im "Verspritzten Herz” oder in "Geschichte des Klebers” letztendlich Teil meiner Karriere als Schriftstellerin. Doch ich muss sagen, dass ich in vielen anderen Dingen Mrs. Shapiro gleiche: Ich hole gerne Sachen vom Sperrmüll, und ich bin ein Mensch, dem viel an Schnäppchen liegt."

    Besprochen von Mortimer Korsch.

    Marina Lewycka: Das Leben kleben. Übersetzung Sophie Zeitz. Deutscher Taschenbuch Verlag, 460 Seiten, 14,90 Euro.