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Briefe an den Verleger

"Werden Sie der Sache nicht müde, wir werden es auch nicht", schreibt der Verleger Siegfried Unseld 1967 an Peter Handke. Über 40 Jahre arbeiteten Handke und Unseld eng zusammen und wurden Freunde. Ihr Briefwechsel erzählt von Krisen und Höhepunkten des gemeinsamen Schaffens.

Von Ursula März | 02.12.2012
    "Frankfurt am Main. 10. August 1965. Sehr geehrter Herr Handke, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass wir nach genauer Lektüre Ihres Manuskripts uns entschieden haben, Ihre Arbeit in den Suhrkamp Verlag zu übernehmen. Ich glaube, dass sich Ihre Arbeit neben denen von Peter Weiss und Ror Wolf gut ausnehmen und die Perspektiven dieser Autoren weiterführen wird".

    Mit diesem Brief beginnt eine der erfolgreichsten Partnerschaften der deutschen Nachkriegsliteratur. Geschrieben wurde er von Siegfried Unseld, dem damaligen Leiter des Suhrkamp Verlages. Adressiert war er an den Österreicher Peter Handke, damals noch Student der Rechtswissenschaften in Graz - aber mit seinen Gedanken, Wünschen und Zielen längst nicht mehr bei der Juristerei, sondern bei der Literatur.

    "Nun scheint mir freilich…. "

    …fährt Unseld in seinem Initiationsbrief fort …

    "… ein Gespräch über Einzelheiten erforderlich zu sein. In ihrem Manuskript befinden sich manche Austriazismen und auch einige umständliche Formulierungen, an denen noch gefeilt werden sollte. Es wäre das Beste, könnte dies in einem Gespräch geschehen. Führt Sie Ihr Weg ohnehin einmal nach Frankfurt? Wenn wir im Laufe der Monate September oder Oktober eine Verständigung darüber herbeiführen könnten, so würden wir das Buch noch in der ersten Hälfte 1966 herausgeben. Ich freue mich sehr, dass ich Ihnen dies mitteilen kann. Ich sehe Ihr Manuskript gern bei uns als Buch. Mit freundlichen Grüßen, Siegfried Unseld".

    Das Buch, um das es geht, ist der Roman "Die Hornissen", Peter Handkes Debüt, das im Jahr 1966 bei Suhrkamp erschien. Alfred Kolleritsch hatte das Manuskript seines jungen Freundes an die Lektorin Elisabeth Borchers geschickt. Sie hatte eine Veröffentlichung im Luchterhand Verlag, dem sie damals noch angehörte, zwar abgelehnt, aber den Text an den Frankfurter Nachbarverlag Suhrkamp weitergereicht. Auf Umwegen landeten "Die Hornissen" auf Siegfried Unselds Schreibtisch, und dieser erkannte sofort, womit er es hier zu tun hatte: Mit einem großen literarischen Versprechen, mit einem unbekannten Neuling, der nicht mehr lange unbekannt bleiben würde. Peter Handke erhielt Unselds Zusagebrief nicht persönlich. Er machte mit seiner Freundin und späteren Ehefrau Libgart Schwarz gerade Sommerurlaub an der bulgarischen Schwarzmeerküste. Seine Mutter öffnete den Brief und übermittelte dem Sohn die frohe Botschaft: Handke war Suhrkamp-Autor, mit 22 Jahren. Er ist es bis heute, mit 70 Jahren. Dazwischen aber liegen mehrere Jahrzehnte, in denen er bis zum Tod seines Verlegers Siegfried Unseld im Jahr 2002 mit diesem einen regen Briefwechsel pflegte - eine Korrespondenz, die nun veröffentlicht wird und die ein wenig verblüfft. Alles Mögliche hatte man sich erwartet vom schriftlichen Austausch des hochempfindsamen Dichters und des Repräsentanten der legendären Suhrkamp-Kultur, aber eines nicht unbedingt: Den Gestus handwerklicher, konzentrierter Sachlichkeit, der diese Briefe - natürlich nicht immer - aber zu weiten Teilen prägt.

    "Graz, 25. August 1965. Sehr geehrter Herr Doktor. Ihre Nachricht hat mich über die Maßen gefreut. Zu dem Gespräch über die Einzelheiten bin ich gerne bereit, zumal mir in der Zwischenzeit selbst einige kleine Stellen verdächtig erschienen sind. Ich möchte zu diesem Zweck am 13. oder 14. September nach Frankfurt kommen. Bitte lassen Sie mich wissen, ob der genannte Termin Ihnen recht ist. Mit herzlichen Grüßen. Peter Handke"

    Natürlich gab es Spannungen. Natürlich gab es auch Krach, gewaltigen Krach sogar. Das konnte bei einem Autor wie Peter Handke, der, um es vorsichtig zu sagen, über ein recht reizbares Temperament verfügt, nicht ausbleiben. Es ist also keineswegs überraschend, in dieser Korrespondenz Passagen oder ganze Briefe zu lesen, die von Ärger, Verstimmung und von Krisen zeugen. Zu einer solchen Krise kommt es im Februar/März 1975. Peter Handke lebt zu dieser Zeit mit seiner kleinen Tochter Amina in Paris. Er hatte gerade das Manuskript seines neuen Romans "Die Stunde der wahren Empfindung" beendet und es Siegfried Unseld übergeben. Nun wartet er auf eine Reaktion mit - menschlich verständlicher - Nervosität. Taugt der Text? Ist es ein gelungenes Buch? Was denkt Unseld? Warum lässt Unseld nichts von sich hören? Handke wird ungeduldig. Er ruft von Paris aus im Verlag an und spricht mit Siegfried Unseld. Der Unmut darüber, dass er als erfolgreicher, inzwischen berühmter, fast schon weltberühmter Hausautor den Verleger an dessen Lektüre seines neuen Werkes erinnern muss, scheint den Unmut über das Telefongespräch zumindest verstärkt zu haben. Am 21. Februar 1975 schreibt Peter Handke an Siegfried Unseld eine lange, bittere Beschwerde:

    "Hier will ich, was mich seit einiger Zeit beschäftigt, nicht verschweigen: als ich das Manuskript Dir zukommen ließ, hast Du Dich nicht, wie bis dahin immer, nach der Lektüre vor mir geäußert. Ich sage offen, dass ich unruhig war und deshalb von mir aus in Frankfurt anrief. Du sagtest darauf nichts als (was mir außerdem - misstrauisch? – eher pflichtbewusst klang) dass Du "begeisterst" seist - und dann hörte ich einen Satz, den ich nie vergessen werde: Du sagtest einem Autor, der ja immerhin schon einigermaßen gelesen wird: "Dieses Buch wird seine Leser finden". Was Du da sagtest, schlug mir ein richtiges Loch ins Bewusstsein - es war nicht nur nichtssagend und erschreckend unpersönlich, sondern auch bezeichnend. In völligen Stumpfsinn versetzt durch Deine einzige Bemerkung zu der Erzählung konnte ich nur damals am Telefon (das vielleicht zur Erheiterung) "Glaubst Du?" fragen. Nun ja, so war´s und es hat mich betroffen, dass Du mir bis jetzt (da es im Verlag keinen rechten Lektor für mich gibt, bist Du es halt mit der Zeit geworden) nur diesen Satz zu dem Buch verlautbart hast. Der stolzeste, selbstbewussteste Autor wäre zumindest verdutzt. Mir war es jedenfalls, ich hätte nichts als ein Produkt abgeliefert, zur versprochenen Zeit und dieses Produkt "würde nun seine Käufer finden".

    Das klingt dramatisch. Das klingt nach einem Konflikt, der seine Zeit dauern wird. Das wird er aber keineswegs. Denn die Briefe, die nun folgen, sind in ganz erstaunlicher Weise getragen von dem Bemühen, das Konfliktlein so schnell wie möglich aus der Welt zu schaffen, bloß nicht ins Neurotische, Dauerbeleidigte ausufern zu lassen; ein Bemühen von beiden Seiten. Beeindruckend und erstaunlich an dieser Korrespondenz ist die spürbare Entschlossenheit zweier sehr starker, sehr souveräner Männer, der gemeinsamen Sache zuliebe alles persönlich Heikle oder Trennende im Zweifelsfall zurückzustellen; hinter die Sache, die sie verbindet: Die Literatur. Knapp zwei Wochen später, am 3. März 1975 schreibt Siegfried Unseld einen nicht minder langen, fast beschwörend versöhnlichen Brief an Peter Handke.

    "Lieber Peter, Deinen Brief vom 21. Februar habe ich mehrmals gelesen. In meiner, von Dir so gesehenen Beziehung zu Deinem neuen Buch "Die Stunde der wahren Empfindung" tust Du mir schmerzhaft unrecht …"

    Unseld beruhigt, beschwichtigt, erklärt, erläutert die energischen Werbemaßnahmen, die für die "Stunde der wahren Empfindung" unternommen werden sollen werden.

    "Ich habe Dein Buch bewusst bei allen internen Überlegungen an die Spitze unseres Programms im 1. Halbjahr gestellt, absolut an die Spitze des Jubiläums-Programms des Verlages.

    Nur vier Tage später antwortet wiederum Peter Handke:

    "Lieber Siegfried, vielen Dank für Deinen schönen, ausführlichen Brief. Mein letztes Schreiben wirst Du als einen exemplarischen Autorenbrief bewahren können …. Trotzdem liegt mir schon daran, zum Beispiel zu erklären, dass ich vom Verlag nun keine außerordentliche Werbung verlangte - ich wollte nur so Ideen vermeiden wie vor Zeiten die als Fußball-Aufstellung kostümierte Annoncen-Skizze für "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter"…. Meine Sorge war also keinesfalls, dass zu wenig Werbung betrieben werden könnte. Deine Ankündigung scheint mir eher zu freigiebig: Auf eine Anzeige in der "Welt am Sonntag" zum Beispiel sollte man verzichten können. Ich wollte auch keinesfalls hindeuten, dass mir mein Buch in Katalogen etc. vernachlässigt vorkäme: im Gegenteil, so wie es ist, alphabetisch etc., ist es mir sehr recht. Wenn ich die vor-fabrizierten Verkaufsbücher andrer Verlage sehe, wird mir schon schlecht. Während ich jetzt tippe, denke ich mir Dich im Schweizerischen Schnee und mit einem anderen Lebensgefühl als ich es im Moment habe, der in den ziemlich finsteren Garten hinausschaut und ab und zu eine von Ast zu Ast hüpfende Amsel sieht, während hinter ihm die Gasheizung rauscht"

    Handke lässt, absichtlich oder unabsichtlich, seinen Versöhnungsbrief mit einer Genreszene des etwas vereinsamten, etwas verdüsterten Dichters ausklingen, dem man gelegentliche Überspanntheiten doch bitte nachsehen möge. Sie liegen in der Natur der Dichterexistenz. Zehn Tage später schickt Peter Handke, wohl um die Geste des Einlenkens noch zu verstärken, einen zweiten, noch persönlicher gehaltenen, handschriftlichen Brief nach Frankfurt. Er macht gerade ein paar Tage Urlaub am Meer und denkt an den Mann in Frankfurt, der seit zehn Jahren sein Verleger und längst auch Freund ist.

    "Grand Hotel, Cabourg. Lieber Siegfried, hier in der Schublade war so schönes Briefpapier, und weil auch das Meer so heimelig rauscht vor dem Fenster am düsteren Vormittag, will ich das zu einem kleinen Brief nutzen. Ich bin mit Amina, die gerade im Badezimmer Muscheln gewaschen hat, in dem Hotel, von dem ich Dir in Paris erzählt habe. Dein Freund Proust ist hier fein-sinnig oder -sinnlich gewandet und jetzt steht auf der Rezeptionstheke sein Marmorkopf, und das Restaurant, in dem man als Vorspeise Bündner Fleisch essen kann (Viande de Grison), heißt "Balbek". Das Meer ist tiefgrau, und gestern bin ich mit diesem Rauschen friedlich zu Bett gegangen, in dem Gedanken, ein Geräusch zu hören, das deshalb so einwiegend in eine andere Welt ist, weil es so viel tiefer tönt als die üblichen Naturgeräusche des plätschernden Wassers oder des Windes, wo einem doch noch alles allzu menschlich erscheint. Ende des Monats bin ich vielleicht in Frankfurt und werde natürlich noch anrufen. Für heute. Dein Peter".

    Selten sind Handkes Briefe an Siegfried Unseld so poetisch. Dass es dieser ist, dürfte kein Zufall sein. Nachdem der kleine Konflikt endgültig ausgestanden ist, lenkt Handke den Blick noch einmal auf den Gegenstand der Zusammenarbeit: Die Poesie. Auch die Erwähnung des Namens Marcel Proust hat im Subtext dieses Briefes eine bestimmte Bedeutung. Er ist die Chiffre für literarische Größe, für das Literaturniveau, auf dem sich der Verlagsmensch und der Dichter begegnen. Die Botschaft dieses Briefes lautet: Auch, wenn uns manches trennt und unterscheidet - was uns verbindet, die Literatur, ist zu groß, um Kleinliches zwischen uns kommen zu lassen. In den 80er und 90er Jahren hat sich das Rollenmuster der gelegentlichen Spannungen eingespielt: Hier der empfindsame Dichter Handke, dort der banausenhafte Geschäftsmann Unseld, der sich unter anderem schwer damit abfinden kann, dass Peter Handke seine Manuskripte nie anders denn mit Bleistift verfasst und entsprechend schwer entzifferbar an den Verlag überreicht. Die Zuschreibung des merkantilen Grobians dürfte für den Frankfurter Verleger nichts Neues gewesen sein. Sie gehörte gleichsam zu seinem Arbeitsalltag - wie man aus den Korrespondenzen mit anderen Autoren, mit Max Frisch oder Thomas Bernhard weiß, die sich ihrem Hausverlag gegenüber bisweilen wie ansprüchliche Kinder benahmen. Zu Peter Handke, man erahnt dies aus Unselds Briefen, war das Verhältnis allerdings besonders innig, ja liebevoll bemüht.

    "4. Januar 1993. Lieber Peter, unsere gescheiterte Verabredung am 3. Januar tut mir wirklich leid, aber da meine Anrufe in Chaville erfolglos waren und auch Du mich nicht angerufen hast, rechnete ich nicht damit, dass wir uns noch sehen, disponierte für unseren Heimflug anders, und nun kam auch noch ein Unheil dazu: es war ein allgemeiner Rückreisetag; von Biarritz nach Paris war kein Platz mehr zu bekommen, am Flugplatz ohnehin eine Klein-Katastrophe wegen Ausfall von Flugzeugen und neu eingesetzter Flugzeuge mit stundenlangen Verspätungen. Wir hörten, dass Orly auch eine Zeit lang gesperrt war wegen der Zwischenlandung des amerikanischen Präsidenten, kurzum, es wäre ohnehin kaum möglich gewesen, dass wir uns an diesem Abend getroffen hätten. Wie ich Dir schon sagte: ich bin jederzeit bereit, Dich zu treffen; wenn es Dir dringend erscheint, komme ich nach Paris. Du kannst mir auch sagen, ob Du irgendwelche Reisen vorhast, damit wir uns in Ruhe sprechen können".

    Fehlt nur noch, dass Unseld die Flugnummern der verpassten oder verschobenen Flüge mitteilt, um Handke die gescheiterte Verabredung plausibel zu machen. Man erlebt hier den Verleger als Feuerwehrmann, der jedes Flämmchen erstickt, bevor es zum Konflikt auflodern oder gar als Krach explodieren kann. Den, einen gewaltigen Krach, haben der Dichter und sein Verleger zu diesem Zeitpunkt schon hinter sich. Es ist die schwerste Auseinandersetzung im Lauf von vier Jahrzehnte. Und es ging auch hierbei um nichts Nebensächliches, sondern um die zentrale Reizfigur des deutschen Literaturbetriebs, um Marcel Reich-Ranicki. Er war bekanntlich kein Handke-Fan. Er verglich in einer FAZ-Kritik im Jahr 1976 die Erzählung "Die linkshändige Frau" mit Hedwig Courths-Mahler und er rezensierte den Roman "Langsame Heimkehr" aus dem Jahr 1979 in Grund und Boden. Nun findet er eines Tages im Hause Unseld einen Aufsatzband mit Widmung eben dieses Kritikers. Handke findet sich durch Unseld verraten. Handke weiß, dass Siegfried Unseld den mächtigen Kritiker, den er hasst wie keinen anderen, in seinem Haus empfängt. Zwei Jahre später sieht er erneut Anlass, sich verraten zu fühlen. Jetzt reicht es ihm, Handke donnert los:

    "Salzburg, 25. Februar 1981. Lieber Siegfried (immer noch), die Zeit der Lügen muss ein Ende haben. Schon an jenem Tag, als ich am Frühstückstisch in Frankfurt in dem Sammelwerk des übelsten Monstrums, das die deutsche Literaturbetriebsgeschichte je durchkrochen hat, die Widmung an Dich, meinen Verleger, gelesen habe: "In alter Verbundenheit", da hätte ich die Pflicht vor mir und dem, was mir noch vorschwebt, gehabt, für immer meine Arbeiten aus Deiner sogenannten Obhut zu nehmen. Danach kam noch die verantwortungslose Hetzerei bezüglich der sogenannten "Leseexemplare" von "Langsamer Heimkehr", wo ich am Zwang des Termins, den ich dann einhielt, fast krepiert wäre. Jetzt der Skandal mit meinem Stück, das Du unfertig, gegen meinen Willen in fremde Hände gegeben hast. Und wie elendig durchschaubar wieder einmal sind die Motive des Verlegers. Ich muss, das ist meine Pflicht vor meiner Freude, das dauernde Schöne zu schaffen, und gegen das säuische, verkrebste Zeitalter, in dem ich das vorhabe - endlich auftreten, als der, der ich bin, als der Schriftsteller in jedem Sinn, auch was die Fürsorge für das schon Geschriebene, das Weitergeben, das Verbreiten betrifft. Unsere Wege trennen sich hiermit, unwiderruflich. Peter Handke".

    Unwiderruflich? Natürlich nicht. Sie haben noch elf Jahre Zusammenarbeit und viele Briefe vor sich. Viele Briefe beziehen sich auf vergangene oder geplante Treffen, in Paris, Frankfurt, Österreich, am Küchentisch, im Restaurant, mit und ohne Gattinnen und Kinder, selbstredend mit guten Weinen. Man darf annehmen, dass unter vier Augen Persönlicheres zur Sprache kam. Denn die Briefe klammern es in auffälliger Weise aus. Kaum ein Wort über Liebschaften, wenig Literaturbetriebsklatsch. Nein, in diesen Briefen geht es primär handwerklich zu. Es geht um die Arbeit am Buch, um Schriftgrößen, Titelgestaltung, Cover, um Auflagenhöhe und Autorenverträge, also auch um Geld. Handke ist, was dies betrifft, selbstbewusst, aber nicht anmaßend. Man nimmt dies, zumal nach der Lektüre der Korrespondenz von Thomas Bernhard und Siegfried Unseld, gern zur Kenntnis. Handke weiß, was er künstlerisch will und setzt es hartnäckig durch. Unseld weiß, dass es sinnlos ist, einen Mann wie Handke künstlerisch zu knebeln und gibt sehr oft nach. In beidem aber erweist sich Respekt vor dem Tun und Können des anderen. Handke will, dass Wim Wenders sein Skript "Falsche Bewegung" aus dem Jahr 1975 verfilmt. Unseld hat dafür den französischen Regisseur Louis Malle und den Weltstar Romy Schneider im Auge. Handke behält recht, Unseld lernt, es einzusehen. "Falsche Bewegung", verfilmt von Wim Wenders, besetzt mit Hannah Schygulla, zählt heute zu den Klassikern des deutschen Autorenfilms.

    "Werden Sie der Sache nicht müde, wir werden es auch nicht".

    …schreibt Siegfried Unseld am 18. Mai 1967. Es ist vielleicht der Schlüsselsatz dieser Korrespondenz. Es ist wohltuend, sie zu lesen. Im vergangenen Jahrzehnt schien es bisweilen, als lösten sich die Konturen dieser beiden Literaturheroen in Gerüchten, Anekdoten und Sensationen auf; als hätte sich die Existenz Unselds darin erschöpft, morgens mit einem schnittigen Auto zum Schwimmen zu fahren, abends Schach zu spielen und sich dazwischen mit seinem Sohn herumzustreiten, und als sei Peter Handke in erster Linie ein politisch verirrter Narr. Hier werden die Konturen noch einmal deutlich und wir sehen, mit wem wir es zu tun haben: Mit einem überragenden Verleger und einem überragenden Schriftsteller, die zur Augenhöhe fanden. Den letzten Brief an seinen Autor Handke schreibt Siegfried Unseld, vermutlich schon schwer erkrankt, am 11. Dezember 2001. Es ist eine handschriftliche Karte, die er einem Exemplar von Peter Handkes neuem Roman "Der Bildverlust" beilegt.

    "Frankfurt am Main. 11. Dezember 2001. Lieber Peter, hier das erste, handgebundene Exemplar: das hast Du für drei Tage allein. Es ist ein schönes Buch geworden, ein großartiges Werk, eine bedeutende Dichtung. Ich gratuliere Dir (und mir!) Herzlich, Dein Siegfried."


    Literaturhinweis: "Peter Handke, Siegfried Unseld, der Briefwechsel". Hrsg. Von Raimund Fellinger und Katharina Pektor, Suhrkamp Verlag 2012, 700 Seiten, 39, 95 Euro