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Brieffreundschaft
Denkwürdige Plauderei über die modernen Medien

2008 haben sich die beiden Autoren bei einem australischen Literaturfestival kennengelernt: Seitdem verbindet Paul Auster und J.M. Coetzee eine Brieffreundschaft. Das Buch "Von hier nach da" vereint ihre Briefe aus drei Jahren, herausgekommen sind reizende Kurzessays.

Von Shirin Sojitrawalla | 04.11.2014
    Bücher, deren Ende man sehnlich verhindern möchte, liest man seltener, als zu wünschen wäre. Dieses hier gehört in diesem Jahr aber ganz unbedingt dazu. Ein Briefwechsel, nicht mehr. Paul Auster und J.M. Coetzee haben irgendwann, genauer: im Juli 2008 angefangen, sich regelmäßig Briefe zu schreiben, keine E-Mails wohlgemerkt, sondern Briefe. Von Brooklyn, New York, dem Wohnsitz von Auster nach Adelaide, Australien, wo der Südafrikaner Coetzee seit vielen Jahren lebt. Der vorliegende Band vereint ihre Briefe aus drei Jahren, von 2008 bis 2011.
    Essstörungen, Muttersprachen, Weihnachtstraditionen
    2008 hatten sich die beiden bei einem australischen Literaturfestival kennengelernt und kurz nachdem Auster wieder zu Hause ankam, erhielt er einen Brief, in dem der Ältere ihm seine Brieffreundschaft antrug. Allein für diese Idee möchte man ihm einen weiteren Literaturpreis andichten. Denn was sich aus der schriftlichen Konversation dieser beiden Herren ergibt, sind reizende Kurzessays, die sich mit Hingabe unterschiedlichen Themen widmen: Sei es die Finanzkrise, die Filmfestspiele in Cannes, Kritiker, Nahostkonflikte, Quellen der Inspiration, Essstörungen, Muttersprachen, Weihnachtstraditionen oder Sport im Fernsehen:
    "Brooklyn, 16. März 2009, Lieber John, (...) Die Begeisterung, mit der Du von Federer in seinen Glanzzeiten schreibst, kann ich nur zu gut verstehen. Unglaublich, dass ein Mitmensch so etwas leisten kann, dass wir (als Spezies) nicht nur die Würmchen sind, als die wir häufig erscheinen, sondern gelegentlich auch geradezu Wunder vollbringen können - im Tennis, in der Musik, in der Dichtung, in der Wissenschaft -, und dass Neid und Bewunderung sich in eine Empfindung überwältigender Freude auflösen. Ja, ich stimme Dir vollkommen zu. Und genau hier kommen Ästhetisches und Ethisches zusammen. Ich habe kein Gegenargument, denn oft habe ich exakt dasselbe empfunden. Mit ganz besonders herzlichen Grüßen, Paul"
    Jeweiliger Gegenüber wird zum "abwesenden anderen"
    Selbstverständlich reden zwei Schriftsteller auch über das Schreiben und das Schriftstellerleben an sich, seine Fallstricke und Unmöglichkeiten. Dann wieder wecken Schlafprobleme, Schreibmaschinen und Kinofilme ihr Interesse. Dabei begegnen sich die beiden Großschriftsteller nicht nur auf Augenhöhe, sondern sind einander herzlich zugewandt, treffen sich auch privat samt ihren Ehefrauen, nehmen Anteil am Leben des anderen, seiner Familie, seinen Krankheiten und Erinnerungen und werden für das jeweilige Gegenüber zum "abwesenden anderen". Daraus entstehen Auseinandersetzungen über dies und das, die immer auch die Eigenarten des jeweiligen Schriftstellers entlarven.
    Auster erzählt von rätselhaften Begegnungen mit Charlton Heston, die geradewegs aus einem seiner Romane stammen könnten, und Coetzee erweist sich auch in seinen Briefen als scharfer Denker und genauer Analyst unserer Gegenwart. Auster ist der Verspieltere von beiden, Coetzee wahrscheinlich der Korrektere. Dabei gewähren sie auch einen Blick in die Werkstatt, Auster spricht über die Reaktionen auf seinen 2009 veröffentlichten Roman "Unsichtbar" und sitzt später an seinem "Winterjournal".
    Ungeheurer Charme eines Briefwechsels
    Coetzee begleitet und kommentiert die Entstehung wie Veröffentlichung der Werke wie Auster umgekehrt auch die Verfilmung von Coetzees Bestseller "Schande" sieht und ihm berichtet, was New Yorker Zeitungen darüber geschrieben haben. Da benehmen sie sich dann wie liebenswürdige Tanten, die dem anderen Rezensionen aus der Zeitung ausschneiden und zukommen lassen. Die aufmerksame Zärtlichkeit der beiden trägt nicht wenig zum ungeheuren Charme dieses Briefwechsels bei, der auch von großer Menschlichkeit zeugt. Auch darin erweisen sich die beiden ein wenig wie aus der Zeit gefallen, altmodisch gar. Doch sie wären nicht, wer sie sind, wenn sie nicht auch das zur Sprache bringen würden:
    "14. März 2011, Lieber Paul, Du benutzt kein E-Mail-Programm und Du hast kein Handy (vermute ich). Ich nehme an, dass das prinzipielle Entscheidungen Deinerseits sind. Es interessiert mich überhaupt nicht, was das auf persönlicher Ebene bedeutet. Was mich beschäftigt, ist, was es bedeutet, ein Mensch des 21. Jahrhunderts zu sein und eine Prosa zu schreiben, in der Kommunikationsmittel des 21. Jahrhunderts wie das Handy nicht vorkommen. (...) Auch ich bin unversehens zu einem Menschen des 21. Jahrhunderts geworden, doch ich schreibe Bücher, in denen Papierbriefe geschrieben (und gemailt) werden, Bücher, in denen das modernste benutzte Kommunikationsmittel (hin und wieder) das Telefon ist, das zufällig eine Erfindung des 19. Jahrhunderts darstellt."
    Aus diesem gedanklichen Anstoß ergibt sich eine denkwürdige Plauderei über die modernen Medien und ihre Auswirkungen auf den Roman von heute. Nicht unerwähnt lässt das Buch aber auch eine E-Mail von Coetzee an Siri Hustvedt, Paul Austers Ehefrau, die darin gebeten wird, einen angehängten Brief auszudrucken und ihrem Mann vorzulegen, weil das eben schneller geht. Eine Ausnahme.
    Der Briefwechsel der beiden gleicht einem langen Gespräch, dabei sind sie keineswegs immer einer Meinung, aber wer wollte sich schon mit jemanden austauschen, der immer der eigenen Meinung ist?
    Die Brieffreunde Auster und Coetzee unterhalten sich quasi vor Publikum und schreiben so geistvoll, lehrreich und witzig, dass man richtiggehend traurig wird, nachdem man den letzten Brief des Buches gelesen hat. Kurz: Bitte mehr davon!
    Paul Auster und J.M. Coetzee: Von hier nach da. Briefe 2008-2011. Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke und Werner Schmitz. S-Fischer. 285 Seiten, € 12,99.