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Briten im französischen Périgord (2/5)
Ein Ire macht Foie gras

Ein Ire übernimmt einen französischen Gänsehof und stellt Stopfleber her? Für manchen kulinarischen Patrioten war das erst schwer vorstellbar. Inzwischen lebt Patrick Gorman länger in Frankreich als in Irland. Seine Frau ist sogar Ratsfrau. Vielleicht werden die beiden wegen des Brexit demnächst Franzosen.

Von Simonetta Dibbern | 21.10.2017
    Patrick und Maggie Gorman aus Irland. Sie betreiben einen Gänsehof im französischen Périgord
    "Jeder von uns macht seinen Job hier, manchmal treffen wir uns sogar", sagt Maggie Gorman. Gemeinsam mit ihrem Mann Patrick betreibt die Irin einen Gänsehof im französischen Périgord (Simonetta Dibbern)
    Dienstags ist Markttag in Le Bugue. Auf allen Straßen des Städtchens haben die Händler ihre Stände aufgebaut. Was Martin Walker nicht in seinem eigenen Garten ernten kann, kauft er hier – möglichst früh am Morgen, dann ist es noch nicht so voll.
    "Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist, ich jedenfalls esse dreimal am Tag. Essen ist eine der wenigen Aktivitäten, denen wir frönen MÜSSEN. Ich verbringe ein Fünftel meines Tages damit, über Gerichte nachzudenken, zu kochen, zu essen. Und seit ich hier lebe, bin ich immer mehr eingetaucht – die Verwendung von Entenfett und Trüffel kann die Sicht auf Essen verändern."
    Heute kauft der Schotte nur den Ziegenfrischkäse von seinem Freund Stéphane. Gleich daneben: der Stand von Patrick. Er hat gerade Kundschaft. Patrick Gorman ist Ire. Er ist vor 25 Jahren ins Périgord gezogen:
    "Enten und Gänse haben wir, wir ziehen sie auf und mästen sie, dann schlachten wir sie auf unserem Hof und verwandeln sie in diese Produkte: Stopfleber, im ganzen und in Stücken, Pasteten, Rillette, Confit ..."
    Für die französischen Delikatessen gibt es keine deutsche Übersetzung. Auch keine englische übrigens.
    Anfängliche Irritation, dass Ausländer hier Fois Gras herstellen
    In den meisten Ländern Europas ist es verboten, Tiere so übermäßig zu mästen, dass ihre Leber verfettet. Den Franzosen dagegen gilt Foie Gras als Delikatesse, je nach Qualität kostet das Kilo 80 bis 150 Euro.
    "Anfangs fanden unsere Nachbarn es ziemlich komisch, dass jemand aus dem Ausland herkommt, um Foie Gras herzustellen. Aber inzwischen haben wir einen ganz guten Ruf. Als wir hierherzogen, war es sicherlich das Letzte, was wir machen wollten, doch der Bauernhof, den wir damals kaufen konnten, war ein Gänsehof, mit einem entsprechenden Kundenkreis. Und so haben wir es übernommen, haben uns nach und nach in das Metier hineingearbeitet und Kurse besucht, auch um die EU-Normen zu erfüllen, was Küchenhygiene angeht. Unsere Vorbesitzerin hat alles in ihrer Scheune produziert, ganz traditionell. Das geht heute nicht mehr."
    Schild Gänseaufzucht "Le Grand Pré" im Périgord, Zusatz "English spoken"
    "English spoken": Der Hof der Gormans ist auch ein Anlaufpunkt für britische Touristen. Seit der Brexit droht, sind es aber weniger geworden (Deutschlandradio / Simonetta Dibbern)
    Es ist eine kleine Farm: 900 Enten und 300 Gänse pro Jahr, Puten, Hühner, auch ein paar Schafe. Gerade so, dass sie die Arbeit zu zweit bewältigen können, sagt Patrick, der schmale scheue Ire. Klein und quirlig steht seinen Frau neben ihm. Maggie. Robuster Overall, Gummistiefel.
    "Jeder von uns macht seinen Job hier, manchmal treffen wir uns sogar …"
    "Und wir streiten nie, schon gar nicht heute nachmittag."
    Maggie grinst, zieht ihre Arbeitshandschuhe an und verschwindet im Stall.
    "Den Tieren geht es gut bei uns"
    100 junge Gänse sind gestern geliefert worden, gerade einmal acht Tage alt – in zwei Monaten beginnt für sie das, was in den meisten anderen europäischen Ländern verboten ist: "Le Gavage". In England würde man Zwangs- oder Sonderernährung dazu sagen, in Deutschland "Stopfen". Die französischen Tierschutzgesetze gelten in diesem Fall nicht für das Périgord – Foie Gras wurde 2005 von der französischen Nationalversammlung zum nationalen und gastronomischen Kulturerbe erklärt
    "Es gibt sehr unterschiedliche Formen von Gavage hier in Frankreich. Manche Betriebe benutzen Maschinen, um das Futter in die Tiere hineinzupumpen. Das machen wir nicht: um den Mais in den Kropf zu bringen, füttere ich jede einzelne Gans und jede einzelne Ente am Morgen – dann haben sie den ganzen Tag Zeit zum Verdauen. Und wenn abends immer noch Mais im Kropf ist, stopfe ich nicht nach."
    Den Tieren geht es gut bei uns, sagt Patrick beim Spaziergang über den Hof, sie sind entspannt bis zum letzten Atemzug. Er übernimmt das Töten und Schlachten, Maggie die Qualitätskontrolle der entnommenen Leber. Von Tierschützern wurden sie noch nicht attackiert.
    "Aber unsere Kunden in Großbritannien wurden so unter Druck gesetzt, dass sie unsere Produkte nicht mehr kaufen können. Einem haben sie die Schaufensterscheiben eingeschmissen. Was die Briten aber nach wie gerne kaufen, ist Confit und Rillette – was absurd ist, denn das sind eigentlich nur Nebenprodukte von Foie Gras."
    Wegen des Brexit erwägen sie doppelte Staatsbürgerschaft
    "I leave you with the ball and the dog … Tim! That's Tim ..."
    Maggie bringt einen Ball und den Hund Tim, sie hat sich umgezogen und die Autoschlüssel in der Hand. Sie ist im Rat ihres Städtchens Saint Alvère, bei der letzten Kommunalwahl hat die Britin die meisten Stimmen bekommen. Eine schöne Anerkennung, auch für Patrick.
    "Ich lebe hier länger als irgendwo anders. Ich mache Sport mit Franzosen, alle meine Freunde sind Franzosen, mein Unternehmen ist französisch – jetzt mit dem Brexit überlegen wir, ob wir die doppelte Staatsbürgerschaft beantragen."
    Was möglich wäre, sagt Patrick. Die ersten Auswirkungen des Brexit sind schon zu spüren – wegen des Wechselkurses sind in diesem Sommer sehr viel weniger Touristen gekommen. Doch eines hat sich nicht geändert: Jeder Besucher ist begeistert von der ländlichen Idylle.
    "Wunderschön, wenn du Ferien hast. Kommen Sie mich gern besuchen, morgens um halb 5 oder abends um 10 – dann sehen Sie, wie entspannt es hier wirklich ist."