Rufus Wainwright: "Unfollow the Rules"

Neues Album als Begleiter in schweren Zeiten

10:11 Minuten
Porträt von Rufus Wainwright am Klavier bei einem Konzert in Warschau.
Rufus Wainwright hat das Verruchte hinter sich gelassen und lebt jetzt mit Kind und Kegel - das merkt man auch seiner Musik an. © Imago / Eastnews
Christoph Reimann im Gespräch mit Martin Böttcher · 07.07.2020
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Nach acht Jahren hat Rufus Wainwright ein neues Pop-Album veröffentlicht. Darauf finden sich auch ungewohnt fröhliche Songs. Ein gutes Album, urteilt Musikredakteur Christoph Reimann, doch er hätte sich mehr Mut gewünscht, auch neue Wege zu gehen.
Martin Böttcher: "Unfollow The Rules" ist das erste Popalbum von Rufus Wainwright in acht Jahren. Er hatte ja zwischendurch eine zweite Oper geschrieben, das erklärt die Pop-Pause. Christoph Reimann aus der Deutschlandfunk-Kultur-Musikredaktion hat mit Wainwright gesprochen. Das Interview fand lange vor Corona statt. Aber wenn wir jetzt mal den Song "Trouble In Paradise" nehmen, dann legt der Titel ja entweder nahe, dass Wainwright ein Prophet ist oder sich auf andere Probleme bezieht.
Christoph Reimann: Ja, es sind tatsächlich ein paar Songs drauf, die auch in die Coronazeit passen, obwohl es natürlich nirgendwo konkret um das Virus geht. Was die Pandemie ja eine Zeit lang völlig überstrahlt hat, schon vorher schien vieles aus dem Lot geraten zu sein auf dieser Erde. Da bezieht sich auch Rufus Wainwright auf viele verschiedene Dinge.
Rufus Wainwright: Es sind dunkle Zeiten. Und dieses Album soll ein Begleiter sein für die Kämpfe, an denen wir uns alle beteiligen müssen, um die Seele unseres Planeten zu retten. Auf dem Album tauchen einige sensible Themen auf: Hass, Sucht und so weiter. Das Ziel ist es, den Hörerinnen und Hörern zu vermitteln, dass es Hoffnung gibt, dass es einen Platz für sie gibt. Damit sie für den bevorstehenden Kampf gewappnet sind.
Reimann: Das sind große Worte von Rufus Wainwright, der ja aber nie um Pathos verlegen war, weder in seiner Musik noch in Interviews. Und, um es zu konkretisieren: Mit Hass ist zum Beispiel auch der Hass in sozialen Netzwerken gemeint. Mit Sucht auch seine eigene Sucht. Wainwright war, als seine Karriere Anfang der Nullerjahre so richtig Fahrt aufgenommen hat, schwer drogensüchtig.
Böttcher: "Poses", "Want I" und "Want II" fallen in diese Zeit, das waren ja damals auch die Alben, die ihn zum Kritikerliebling gemacht haben. Das waren Alben zwischen Pop und Klassik.
Reimann: Ja, das waren oft sehr ambitionierte Songs. Wo andere Musiker mal einen Song mit einem Orchester aufnehmen, hat Rufus Wainwright gleich zwei Orchester in einem Song untergebracht. Das Gefühl, sehr begabt zu sein, das Wainwright ohne Zweifel in sich hat, im Grunde der Narzissmus, war auch immer eine Triebfeder für Songs, die die Grenzen dessen, was Popmusik sein kann, neu ausgelotet haben.

Ein Erfolgsrezept wiederholt sich

Böttcher: Und wie ist das jetzt auf dem neuen Album "Unfollow The Rules"?
Reimann: Da hätte ich mir eine stärkere Entwicklung gewünscht. Dieses Album ist das erste Pop-Album in acht Jahren. Es schließt allerdings sehr direkt an den Sound an, den Rufus Wainwright auf dem letzten Album, "Out Of The Game" kultiviert hat: Clevere Popmusik, mit Harmoniefolgen, die man wirklich nicht oft hört. Von Rufus Wainwright kannte man sie aber schon. Da wiederholt einer sein Erfolgsrezept. Und ich finde, das neue Album klingt zwar etwas frischer, aber auch das sind typische Wainwright-Songs. Der Song "Peaceful Afternoon" zum Beispiel: Der ist klug komponiert, hat diesen Chor, den man schon kennt aus alten Songs. Was er im Gegensatz zu älteren Songs von Wainwright nicht mehr hat, das ist vielleicht die Schwermut, die sein Frühwerk durchzogen hat.
Böttcher: "Peaceful Afternoon" ist ein sehr positiver Song. So fröhlich kennt man Rufus Wainwright gar nicht unbedingt, oder?
Reimann: Nein. In dieser Form nicht, obwohl das letzte Album schon in diese Richtung ging. Die neue Platte soll jetzt zwar ein Begleiter in schweren Zeiten sein, aber sie soll nicht herunterziehen. Wainwright sagt, dass auf der Platte gesellschaftliche Themen angesprochen werden. Aber das Album zelebriert doch genauso auch das private Glück. In dem Song eben geht es darum, dass Wainwright und sein Mann Jörn Weisbrod seit 13 Jahren glücklich zusammen sind.
Mittlerweile ja auch mit einer Tochter, die sie in Co-Elternschaft mit der Mutter großziehen. Auch die Tochter hat einen Song abbekommen. Ein schönes, kurzes Lied, nur am Klavier vorgetragen, aber auch kein aufregendes Lied. So wie Wainwright jetzt eben auch eher arriviert und saturiert ist. Das Drama ist aus seinem Leben verschwunden. An die Stelle getreten ist fast schon ein konservativer Lebensstil mit Kind und Kegel. Das ist etwas, das sich Wainwright nie hätte träumen lassen. Der neue Lebensentwuf unterscheidet sich so stark von seinem alten Ich, dass er hier sogar in der dritten Person von sich spricht.
Wainwright: Besonders der Rufus Wainwright zu der Zeit, als das Album "Poses" aktuell war, war fest entschlossen, seine Fantasie als dekadente Figur der Vernichtung zum Wechsel des Jahrtausends auszuleben. Mit Drogen, mit vielen Männern, das ganze Programm.

Traurige Gestalten in der Popkultur

Böttcher: Jetzt ist Rufus Wainwright dagegen Familienmensch. Arriviert, das Wort fiel eben schon. Er tritt längst in Räumlichkeiten auf, die eigentlich der sogenannten Hochkultur gehören. Ich kann mir vorstellen, dass sich frühere Fans da auch abgewendet haben. Leute, die das Verruchte und Verwegene in der Musik suchen.
Reimann: Möglich. Wenn man erkennt, dass der Lieblingsmusiker von früher auf einmal ein ganz anderes Leben führt, in dem man sich selbst nicht wiederentdecken kann, dann wendet man sich möglicherweise ab. Vielleicht wird man aber auch gemeinsam älter. Und ich will es so sehen: Schwule Menschen waren in der Popkultur oft traurige Gestalten. Sie waren anfällig für Drogen, waren einsam, das Herz wurde ihnen immer wieder neu gebrochen. Das Werk von Wainwright erzählt davon.
Wenn so eine Person auch ein anderes Leben führen kann, in dem sie allem Anschein nach glücklich ist, dann lässt sich daraus kein Vorwurf formulieren. Dann kann man nicht sagen: Diese Person ist langweilig geworden. Dann ist das vielmehr ein Hoffnungsschimmer, der vermittelt, dass man so auch leben kann. Es gibt ein Leben nach dem Exzess. Und ganz weg ist das Verwegene, das Verruchte auch nicht.
Böttcher: Und was ist das finale Urteil? Das waren ja jetzt einige Pro- und einige Contra-Argumente.
Reimann: "Unfollow The Rules" ist ein gutes Album. Für das nächste Mal wünsche ich mir aber, dass er musikalisch ein bisschen mehr versucht, neue Wege zu gehen.
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