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Britische Band Royal Blood
Triumphzug mit Bass und Schlagzeug

Das Debüt vom Sommer 2014 war eine Sensation: Nummer 1 der britischen Album-Charts, Brit-Award, präsentiert auf einer zweijährigen Welttournee. "How Did We Get So Dark?" heißt das neue Album der Band Royal Blood, mit dem das Duo aus Brighton ein furioses Erbe antritt.

Von Marcel Anders | 02.07.2017
    Zwei Männer stehen mit Sonnenbrillen vor einer blauen Steinwand.
    Royal Blood wurden im Sommer 2014 mit dem Brit-Award ausgezeichnet (Jan Schueler)
    Musik "Don´t Tell"
    "Da ist so viel, das es zu reflektieren gilt. Und wahrscheinlich werde ich das alles erst zu schätzen wissen, wenn ich älter bin. Aber mir ist klar, dass ich extremes Glück habe. Ich fühle mich ein bisschen so, als hätte ich die Rock'n'Roll-Lotterie gewonnen. Und alles, was Ben und ich tun können, ist den Moment in vollen Zügen genießen und so viel Spaß zu haben wie eben möglich. Denn da sind zig Bands, die ganz scharf darauf sind, dieselben Erfahrungen zu machen, wie wir."
    Mike Kerr schwebt auf Wolke Sieben. Ein schmächtiger Brite in Jeans, T-Shirt und Lederjacke. Mit gepflegtem Dreitagebart und Dauergrinsen. Einfach, weil er seinen Traum lebt. Weil die letzten drei Jahre seit Gründung der Band der absolute Wahnsinn waren. Weil er sich zuvor mit jeder Menge schlechtbezahlter Gelegenheitsjobs über Wasser halten musste. Und weil er gut Freund von allerlei Rockprominenz ist - wie den Arctic Monkeys, den Foo Fighters oder Led Zeppelin-Gitarrist Jimmy Page.
    "Unser Manager hat ihn zufällig in einem Hotel in New York getroffen. Er meinte zu Jimmy: "Royal Blood spielen morgen Abend." Und darauf er: "Ich schaue vorbei." Was ich erst nicht glauben wollte. Aber kurz vor der Show waren plötzlich drei oder vier Security-Leute im Backstage-Bereich, wodurch uns klar wurde: Er kommt wirklich. Und er war der netteste, coolste und entspannteste Typ, den man sich vorstellen kann. Wir haben ewig über Musik geredet, was sehr interessant war. Außerdem hat er ein paar nette Dinge über uns gesagt."
    Musik "Hole In Your Heart"
    Power-Rock mit Bass und Schlagzeug
    An Komplimente von Kollegen und Kritiken sollte sich Mike Kerr inzwischen gewöhnt haben. Schließlich wurde das Debüt von Royal Blood allerorts mit Begeisterung aufgenommen, als eines der wichtigsten Alben des Jahres 2014 gefeiert und mit dem Werk der Black Keys und White Stripes verglichen. Eben ein Duo, das rudimentären, kantigen, bluesgetränkten Power-Rock spielt, mit Schlagzeug, einem Bass, der auch wie eine Gitarre klingt, durchgetretenem Gaspedal und eingängigen Melodien zum sofortigen Mitsingen. Ein königlicher Krach, der weltweit offene Türen eingerannt hat und nun in die zweite Runde geht. Wieder mit viel Power, aber auch neuen Elementen wie E-Piano und dem einen oder anderen ruhigen Moment, was dem Gesamtbild sichtlich gut tun: Es sorgt für Abwechslung und Vielfalt.
    "Das ist genau das, was wir wollten. Eben unseren Sound erweitern und variabler sein. Dieses Album ist ein bisschen mehr HD, ein bisschen dreidimensionaler als das erste, das wie ein richtiger Schlag ins Gesicht war - während dieses eher etwas von einer Reise hat und mehr Dynamik besitzt. Es ging uns um Songs, die auch mal langsam, aber gleichzeitig immer noch heavy sind. Denn wir haben erkannt, dass Rage Against The Machine das genauso machen. Und mittlerweile haben wir die nötige Erfahrung, um uns ebenfalls an solchen Sachen zu versuchen."
    Musik "I Only Lie When I Love You"
    Musik "She´s Creeping”
    Breites musikalisches Spektrum
    Doch nicht nur das musikalische Spektrum ist breiter geworden. Auch die Texte haben sich verändert. Ging es auf dem Debüt um eine Jugendliebe, deren Scheitern - in bester Blues-Manier - für Verzweiflung, Herzschmerz und Wut gesorgt hat, so zeigt "How Did We Get So Dark?" eine ganz andere Seite von Mike Kerr. Als gefeierter Rockstar hat er in den letzten Jahren jede Menge Affären und One-Night-Stands gehabt und ist zum richtigen Womanizer geworden. Als solcher glänzt er mit Indiskretionen aus seinem Sexualleben - auf augenzwinkernde Weise.
    "Ich bin nicht besonders einfallsreich, wenn es ums Lügen geht. Also muss ich mich bei dem bedienen, was ich erlebe. Und in den letzten drei oder vier Jahren habe ich so viele Erfahrungen in Sachen Beziehungen gesammelt, dass ich genug Material habe. Ganz abgesehen davon, ist das ein Thema, über das ich sehr gerne schreibe. Denn es bringt mich zum Lachen, wie der Song "I Only Lie When I Love You". Darin geht es um diese Unreife, die man hat, wenn man in seinen 20-ern ist und all diese desaströsen Beziehungen hat, die so tragisch sind, dass sie schon wieder komisch anmuten. Darüber zu schreiben, finde ich viel spannender, als mich darüber auszulassen, was es heißt, in einer erfolgreichen Rockband zu spielen. Ich meine: Wen interessiert das? Und ich will über echte Dinge schreiben."
    Royal Blood sitzen lachend auf der unteren Stufe einer roten Treppe.
    Royal Blood - Mike Kerr, Ben Thatscher (v.l.n.r) (Jan Schueler)
    Musik "Lights Out"
    Die Zeit seines Lebens
    Bleibt die Frage, was es mit dem merkwürdigen Albumtitel auf sich hat - mit "How Did We Get So Dark?", zu deutsch: "Wie konnten wir nur so düster werden?" Denn Mike, genau wie Partner Ben Thatcher, ist eine echte Frohnatur, die den aktuellen Erfolg in vollen Zügen genießt und nach eigenem Bekunden die Zeit seines Lebens hat. Insofern handelt es sich hier um einen Insider-Witz, um eine Anspielung auf die Aufnahmen im legendären ICP Studio in Brüssel, wo Royal Blood unter regelrechtem Lagerkoller litten.
    "Die Stadt ist sehr grau. Und irgendwie scheint es da nie zu regnen, obwohl die Luft immer feucht ist. Außerdem hat Brüssel etwas Mittelalterliches und ist totlangweilig. Wir sind da fast verrückt geworden und fühlten uns regelrecht gefangen. Im ersten Monat haben wir noch viel gefeiert und allen möglichen Blödsinn gemacht, um das zu verdrängen. Aber im zweiten Monat haben wir keinen Alkohol mehr angerührt und das Album in einem Rutsch eingespielt - nur, um da schnellstmöglich rauszukommen."
    Musik "How Did We Get So Dark?"
    Goldener Mittelweg
    Aktuell belegt "How Did We Get So Dark?" Platz Eins der britischen Charts und wird mit Lobeshymnen überschüttet. Ein Indiz dafür, dass Mike Kerr und Ben Thatcher alles richtig machen, dass sie den goldenen Mittelweg zwischen neuen und vertrauten Klängen gefunden haben und ihr Publikum nicht enttäuschen. In den nächsten Wochen und Monaten ist das Duo wieder live unterwegs, mit einer Passion und Leidenschaft, die ihresgleichen sucht.
    "Wir werden wie verrückt touren. Und zwar auf der ganzen Welt. Wir werden jedes Festival und jedes Land besuchen – und mindestens zwei Jahre unterwegs sein."
    Musik "I Only Like When I Love You"