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Präsidentschaftswahl in Frankreich
"Le Pen ist unfähig zu regieren"

Frankreich sei tief gespalten, sagte der Präsident der Europäischen Volkspartei, Joseph Daul, im DLF. Die etablierten Parteien hätten den Kontakt zum Wähler verloren. Doch trotz hoher Arbeitslosigkeit, hoher Steuern und der EU-Skepsis glaubt er nicht, dass der rechtsgerichtete Front National die Wahl gewinne.

Joseph Daul im Gespräch mit Christiane Kaess | 05.05.2017
    Daul spricht vor einer blauen Wand mit dem EPP-Schriftzug in zwei Mikrofone und hebt beide Zeigefiner in Schulterhöhe.
    Der EU-Parlamentarier Joseph Daul im DLF: "Die Leute glauben der Politik nicht mehr." (DPA / EPA / JULIEN WARNAND)
    Christiane Kaess: Endspurt im französischen Wahlkampf. Vor der Stichwahl zur Präsidentschaft an diesem Sonntag absolvieren Emmanuel Macron und Marine Le Pen ihre letzten öffentlichen Auftritte. Davor hatten sie sich am Mittwochabend eine heftige Debatte im französischen Fernsehen geliefert. Ein juristisches Nachspiel gab es auch noch. Die Pariser Staatsanwaltschaft hat vorläufige Ermittlungen eingeleitet zu versuchter Einflussnahme auf die Präsidentenstichwahl durch Fake News. Das ist die Reaktion auf eine Klage von Macron. Er wirft Le Pen vor, sie habe in der Fernsehdebatte den Eindruck erweckt, er könne ein Offshore-Konto auf den Bahamas haben. Auch in Brüssel blickt man gespannt auf die Wahl am Sonntag.
    Joseph Daul gehört den Republikanern an, die Francois Fillon ins Rennen um die Präsidentschaft geschickt hatten. Joseph Daul ist Präsident der Europäischen Volkspartei, kurz EVP, und er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Daul.
    Joseph Daul: Guten Morgen!
    Kaess: Ich nehme an, Sie wünschen sich Macron als Wahlsieger, oder?
    Daul: Ja, natürlich! Das ist ja keine Frage. Wir müssen doch aufstehen gegen die Extremen, die lügen. Das haben wir gesehen mit dem Brexit, das sehen wir jetzt wieder in Frankreich mit der Debatte. Natürlich unterstützen wir Macron.
    "Der große Teil wählt Macron"
    Kaess: Die Führung Ihrer Partei, der Republikaner, die hat ja auch dazu aufgerufen, für Macron zu stimmen. Aber wie denkt denn eigentlich die Basis Ihrer Partei? Dort sollen die Stimmen ja durchaus gemischt sein.
    Daul: Ja, da werden wahrscheinlich Stimmen gemischt sein. Das sind die extremen Katholiken, die sich viele Fragen stellen. Da werden wahrscheinlich einige einen weißen Zettel reinmachen. Aber der große Teil der Partei wählt Macron.
    Kaess: Dennoch wissen wir, Herr Daul, dass im Moment diese sogenannte republikanische Front nicht mehr funktioniert, wie das 2002 noch der Fall war. Damals ist ja der Vater von Marine Le Pen in die Stichwahl gekommen und dann haben sich alle Parteien geschlossen gegen ihn gestellt und für den konservativen Amtsinhaber Jacques Chirac dazu aufgerufen, ihn zu wählen. Er ist es dann auch geworden. Jetzt hat sich der extrem Linke Jean-Luc Mélenchon schon zu keiner Wahlempfehlung mehr durchringen können. Warum funktioniert das nicht mehr?
    Daul: Wir haben jetzt 40 Prozent extrem rechts und links, über 40 Prozent, und natürlich, die fünf Jahre Sozialisten in Frankreich, das hat noch mehr Arbeitslose gegeben, die Steuern sind sehr hoch gegangen, und das macht so eine Stimmung in Frankreich, wo dann die Extremen profitieren davon.
    "Die Debatte im Fernsehen war sehr gut"
    Kaess: Was glauben Sie in diesem Zusammenhang, wie hilfreich ist ein Aufruf von Gregor Gysi, dem Vorsitzenden der Europäischen Linken? Der hat jetzt auch dazu aufgerufen, für Macron zu stimmen. Könnte das eventuell als deutsche Einmischung gedeutet werden?
    Daul: Nein. Ich glaube, wissen Sie, die Leute sagen heute, was sie wählen. Sie gehen nicht mehr dem nach, was man sagt, was sie wählen sollen. Das ist auch ein bisschen eine neue Stimmung. Die Jugend – es ist viel Jugend, die Le Pen gewählt haben im ersten Wahlgang. Das ist auch das erste Mal, dass das passiert ist. Wir haben eine ganze Veränderung von den Wahlen in Frankreich.
    Kaess: Also können wir sagen, Marine Le Pens Entteufelung – so wird es ja immer genannt – des Front National, die war durchaus erfolgreich?
    Daul: Das ist erfolgreich. Nur die Debatte im Fernsehen war sehr gut. Da hat man die Unfähigkeit gesehen von Marine Le Pen, ein Land zu regieren.
    "Die Leute sagen, wenn schon, denn schon"
    Kaess: Und warum wählen trotzdem so viele für sie?
    Daul: Die Leute sagen, es sind viele Leute, die mir sagen so auf der Straße, ja wenn schon, denn schon. Dann soll es ganz runtergehen und dann müssen wir neu anfangen. So reden die Leute auf der Straße.
    Kaess: Aber warum Le Pen so viele anzieht – Sie haben das gerade noch mal angesprochen mit dem Fernsehduell. Da konnte man das wieder sehen. Sie bietet kaum Lösungen an, aber sie klagt immer an im Namen der Benachteiligten. Warum haben denn die etablierten Parteien da den Menschen nichts zu bieten?
    Daul: Da haben wir ein Problem auch bei den Republikanern. Wir haben die Arbeiter verloren. Die Arbeiter fühlen sich nicht mehr verteidigt von unserer politischen Partei. Das ist effektiv ein Problem für uns in der nächsten Zeit.
    Kaess: Und wenn Sie das erkannt haben, warum ist dagegen nichts getan worden?
    Daul: Da wird viel gestritten in der EU gegeneinander und ich glaube, wir müssen jetzt wieder die richtige Frage stellen.
    Kaess: Und die ist?
    Daul: Die ist, wir müssen wieder in das Bürgerliche reinkommen mit den Reden. Die haben uns nicht verstanden, was wir wollen.
    "Fillon hätte gewonnen, wenn seine Affäre nicht gewesen wäre"
    Kaess: Und da war wahrscheinlich Francois Fillon auch nicht gerade der Repräsentant der Arbeiter?
    Daul: Francois Fillon hätte gewonnen, wenn seine Affäre nicht gewesen wäre. Er hätte hoch gewonnen, davon bin ich überzeugt, heute noch, und das hat man auch gesehen in den Umfragen. Aber natürlich, da sind die Leute. Wenn die Leute einen Mindestlohn von tausend Euro verdienen und sehen dann die Summen, die da im Fernsehen oder in den Zeitungen stehen, die können das nicht verstehen und da haben wir viel verloren.
    Kaess: Wir wissen nicht und wir können jetzt im Nachhinein nicht mehr nachprüfen, wie es gewesen wäre, wenn Francois Fillon diese Affäre nicht gehabt hätte. – Lassen Sie uns nach vorne schauen. Sollte Emmanuel Macron diese Wahl tatsächlich gewinnen, dann stehen als Nächstes an die Parlamentswahlen im Juni, und da braucht Macron eine Mehrheit in der Nationalversammlung. Aber die Konservativen und die Sozialisten werden wohl nicht auf ihre eigenen Kandidaten verzichten, oder?
    Daul: Ja, natürlich nicht. Sonst ist unsere Partei überhaupt nicht mehr da.
    Kaess: Aber wie soll das dann funktionieren?
    Daul: Da werden wir schauen, dass wir arbeiten können so wie in Deutschland. Es gibt gar keine andere Möglichkeit, wenn wir Frankreich retten wollen.
    Kaess: Das wäre für Frankreich neu.
    Daul: Das wäre ganz neu und ich weiß nicht, ob das funktioniert. Das werden wir sehen im Juni.
    Kaess: Was ist denn Ihre Einschätzung?
    Daul: Das muss so vorwärts gehen., dass wir miteinander arbeiten, die großen Themen für Frankreich wieder klar darzustellen.
    Kaess: Dann sagen Sie doch mal. Was glauben Sie denn bei Ihrer eigenen Partei, wie groß wäre denn die Bereitschaft von den Abgeordneten der Republikaner, den Kurs von Macron mitzutragen?
    Daul: Wir müssen jetzt mal sehen, wie unsere Partei steht nach der Legislativwahl. Das ist die große Frage. Da kann ich Ihnen auch heute noch keine Antwort geben. Ich bin überzeugt, wenn ich jetzt meine Region sehe, dann sehe ich meine Abgeordneten, die gute Arbeit gemacht haben. Ich bin überzeugt, die werden wiedergewählt.
    Kaess: Und was glauben Sie von denen?
    Daul: Und zum zweiten: Wir kommen ja zusammen im Moment. Zum zweiten müssen wir die Umsetzung von dem, was Macron positioniert für Frankreich und was gut ist für Frankreich, da müssen wir mitstimmen. Das ist jetzt meine Meinung.
    Kaess: Und glauben Sie, dass das eine Mehrheitsmeinung in Ihrer Partei ist?
    Daul: Ich glaube ja.
    Kaess: Das Zweite ist, dass Emmanuel Macron, sollte er jetzt Präsident werden, auch mit dem Widerstand gegen seine Politik auf der Straße rechnen muss. Kann er das durchhalten?
    Daul: Das ist auch eine große Frage. Aber das ist eine große Möglichkeit, dass dann die Leute von den Extremen aufgeweckt werden und dann auf die Straße gehen, und das müssen wir aushalten. Sonst ist das nächste Mal die Marine Le Pen gewählt.
    "Wir müssen jetzt mal machen, was wir sagen"
    Kaess: Sie haben es ja angesprochen, dieses gespaltene Land, dass 40 Prozent im ersten Wahlgang für EU-Gegner gestimmt haben, für Le Pen und Jean-Luc Mélenchon. 40 Prozent waren das im ersten Wahlgang, die für EU-Gegner gestimmt haben. Dieses gespaltene Land, wie kann oder könnte, muss man sagen, Emmanuel Macron das wieder zusammenbringen?
    Daul: Ich glaube, wir müssen jetzt mal machen, was wir sagen, und sagen, was wir machen. Das ist jetzt mal klar. Die Leute glauben der Politik nicht mehr bei uns in Frankreich. Jeder sagt, es muss geändert werden und geändert werden, und jedes Mal wird nichts geändert.
    Kaess: Wer hat da Schuld dran?
    Daul: Ja alle!
    Kaess: Konservative und Sozialisten?
    Daul: Alle!
    Kaess: Sie haben es gerade angedeutet: Wenn Macron es nicht schafft, wenn er Präsident werden sollte, das Land zu reformieren, dann würde Le Pen in fünf Jahren in den Élysée-Palast einziehen?
    Daul: Ja. Wenn die Le Pen gewählt wird, wird die einziehen. In fünf Jahren weiß ich nicht, aber die wird einziehen.
    Kaess: Meine Frage war jetzt in fünf Jahren, sollte Macron jetzt die Wahl gewinnen und es nicht schaffen zu reformieren.
    Daul: Ja. Dann bin ich überzeugt, dann werden die 40 Prozent dann 50 oder 60 Prozent.
    Kaess: Letzte Frage. Für wie groß halten Sie die Wahrscheinlichkeit, dass entgegen der Umfragen am Sonntag doch noch Marine Le Pen gewinnt?
    Daul: Heute glaube ich das nicht mehr. Das war nach dem ersten Sonntag, als die angekündigt haben, 64 Prozent. Da habe ich gesagt, nein. Wenn wir 54 oder 55 Prozent haben, werden wir schon gut stehen. Aber heute glaube ich, dass das ein bisschen mehr wird. Aber bleiben wir doch ruhig und warten die Wahlen ab am Sonntag.
    Kaess: ... sagt Joseph Daul von den Republikanern. Er ist Präsident der Europäischen Volkspartei. Danke für das Gespräch heute Morgen.
    Daul: Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.