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Britische Hochschulen und der Brexit
"Wir kennen die Haltung der Regierung dazu noch nicht"

Britische Universitäten sind nicht begeistert vom Brexit-Votum. Die Präsidentin des Verbandes britischer Hochschulen hatte davor gewarnt. In Deutschland verhandelt sie nun mit Hochschulrektoren darüber, wie es weitergehen könnte. Aber noch ist vieles unklar - vor allem, was die britische Regierung eigentlich will.

Von Christiane Habermalz | 11.11.2016
    Aufnahme vom 24.04.2005
    Sorgen um die Zukunft muss sich die Elite-Universität Cambridge wohl nicht machen. Andere britische Hochschulen schon. (picture alliance / dpa / Chris Radburn)
    Julia Goodfellow, Präsidentin von Universities UK, lässt keinen Zweifel daran, dass sie sich einen anderen Ausgang des Referendums im Juni gewünscht hätte. Doch das Volk hat gesprochen - jetzt geht es um Schadensbegrenzung. In dieser Mission ist sie jetzt auch in Deutschland unterwegs - um in Verhandlungen mit deutschen Hochschulrektoren Lösungen zu entwickeln, wie es doch weitergehen könnte nach dem Zeitpunkt X, wenn die Briten die Europäische Union verlassen. Man tue alles, versichert sie, um deutschen Studierende zu signalisieren, dass sie weiterhin willkommen seien.
    "Wir haben mit der Regierung ausgehandelt, dass wir auch noch den Studierenden, sie sich im Herbst 2017 bei uns bewerben, zusichern können, dass sie unter den gleichen Bedingungen wie bisher studieren können, dass sie auch weiterhin Zugang zu Studienkrediten erhalten, bis zum Ende des Semesters."
    Basis der weiteren Arbeit ist unklar
    Doch auf welcher Grundlage wird es ab 2017 weitergehen? Bislang zahlen EU-Ausländer so viel wie ihre britischen Kommilitonen, um die 9.000 Pfund im Jahr. Nach dem EU-Austritt werden sie aber nach dem britischen Gleichstellungsgesetz wahrscheinlich wie außereuropäische Studenten behandelt werden müssen – die Gebühren bis zu 30.000 Pfund im Jahr zahlen müssen. Für viele wird das kaum aufzubringen sein. Derzeit sind rund 14.000 Deutsche an britischen Hochschulen eingeschrieben, 4.400 allein im Erasmus-Programm, bei dem die Europäische Union die Studiengebühren übernimmt. Grundsätzlich kann man sagen, dass britische Universitäten stark international ausgerichtet sind: Ein Drittel der Dozenten stammt aus dem Ausland, davon 15 Prozent aus der EU. Brauchen sie bald eine Aufenthaltsgenehmigung, müssen sie nachweisen, dass ihr Job nicht auch von einem Briten ausgeübt werden könnte, wie das Premierministerin Teresa May kürzlich forderte? Und was bedeutet es für Forschungsverbünde, für britische Wissenschaftler, die künftig an europäischen Partneruniversitäten arbeiten wollen? Julia Goodfellow zuckt die Achseln.
    "Beschämenderweise müssen wir auf jede Frage, was nach dem Brexit kommt, antworten: Wir wissen es nicht. Es ein einzigartiger Prozess, wir kennen die Haltung der britischen Regierung dazu einfach noch nicht. Wir hoffen sehr, und versuchen die Regierung dahingehend zu beeinflussen, dass es auch danach weiter einen freien Austausch von Studenten und Wissenschaft zwischen England und Europa geben wird."
    Noch können EU-Forschungsgelder beantragt werden
    Fast beschwörend klingt es, wenn sie die Stärke britischer Universitäten beschreibt. Oxford und Cambridge müssen sich um ihre Attraktivität in der Tat sicher nicht sorgen. Für die vielen weniger berühmten britischen Hochschulen dürfte das anders aussehen - an erster Stelle die schottischen, die bislang bei EU-Ausländern gar keine Studiengebühren erhoben haben. Während es den Studenten also einfach zu teuer werden könnte, leiden die Dozenten vor allem unter der rechtlichen Unsicherheit, der Einschränkung der Niederlassungsfreiheit und der Arbeitserlaubnis. An ihrer Hochschule, der Universität Kent, täten sie alles, um internationale Wissenschaftler zu halten, versichert Goodfellow.
    "Wie viele Universitäten versuchen wir, Hilfe anzubieten. Mit Rechtsberatung oder mit Krediten, damit sie im Zweifel die britische Staatsangehörigkeit beantragen können, was Geld kostet. Wir helfen unseren Mitarbeitern, wo immer wir können."
    Der britische Wissenschaftsminister heißt Jo Johnson, Bruder von Boris Johnson. Anders als Boris hat Jo sich nicht für den Brexit erwärmen können. Kein Wunder, denn Großbritannien gehört neben Deutschland zu den Ländern, die am meisten von EU-Forschungsgeldern profitiert haben. Zwischen 2007 und 2013 erhielten britische Wissenschaftler 8,8 Milliarden Euro aus Brüssel - gegenüber 5,4 Milliarden, die das Land einzahlte. Im kommenden Jahr werden im Rahmen des EU-Forschungsförderprogramms "Horizon 2020" weitere 8,5 Milliarden Euro ausgeschrieben werden. So lange Großbritannien in der EU sei, werde man sich darum bewerben wie alle anderen Mitgliedsländer auch, kündigte Julia Goodfellow an. Nach dem Brexit muss dann die Regierung einspringen und die Weiterfinanzierung aus eigener Tasche garantieren. Ob die Mittel dazu reichen, wird sich zeigen.