Aus den Feuilletons

Über Neonazis und Ex-Flüchtlinge als AfD-Politiker

Die rechtspopulistische Partei Pro NRW hatte zu der Kundgebung unter dem Motto Kein Fußbreit der opportunistischen Pro-Erdogan-Politik in NRW! auf dem Bahnhofsvorplatz mit anschließendem Marsch durch die Kölner Innenstadt aufgerufen. Mehr als 1000 Polizisten waren im Einsatz, um Zusammenstöße mit linken Gegendemonstranten des Bündnis Köln gegen Rechts zu schützen. Köln, 04.09.2016
Rechtspopulisten bei einer Kundgebung. © imago stock&people / Hardt
Von Paul Stänner · 10.12.2017
Fremdenhass und die AfD sind überall - das dokumentieren Texte in der "Süddeutschen" und in der taz. Schauplätze sind das brandenburgische Zehdenick und das niedersächsische Delmenhorst: In der norddeutschen Kleinstadt etwa sitzt ein Flüchtling aus Syrien für die Rechtspopulisten im Stadtrat.
Die "Gesellschaft" beschäftigt die Feuilletons. Bekanntermaßen behauptete Margaret Thatcher als britische Premierministerin, es gäbe sie gar nicht, sondern nur den Konkurrenzkampf egoistischer Individuen. Als deren Stütze verstand sie sich, daran kann kein Zweifel herrschen. Die FAZ zieht in der Besprechung von Henriks Ibsens "Stützen der Gesellschaft" in Düsseldorf Margret Thatcher, Georg Simmel und Max Weber zu Rate. Im Drama läuft es darauf hinaus, dass die "Stütze der Gesellschaft" durch eine Jugendsünde gestürzt wird. Dann zeigt sich, dass die Stützen der Gesellschaft eigentlich die Spielbälle der Gesellschaft sind.
So bilanziert die FAZ, dass allein der Rückzug des Individuums aus gesellschaftlicher Verantwortung das Individuum befreit - Zitat: "… keine tragende Stütze mehr sein müssen, sondern nur noch stiller Teilhaber am Ganzen."

Bono und die Panama-Papers

Als tragende Stütze der Gesellschaft galt U2-Frontmann Bono, bis er in die Panama-Papers der Steuervermeider geriet. Eben noch gefeiert, wird er nun Spielball der Gesellschaft: Seine Erklärungen seien dürftig, meint der TAGESSPIEGEL, er schwadroniere nur, ergo: "Die Reue wirkt rhetorisch." Noch sarkastischer reagiert die Tageszeitung taz – sie druckt zwei Zitate.
Bono lässt sie sprechen: "Ich nehme diese Anschuldigungen wahnsinnig ernst. Das betrifft mich und alles, wofür ich stehe, im tiefsten Inneren." Daneben stellt sie den historischen Kanzler Adenauer, der klingt wie eine Ibsensche Stütze der Gesellschaft: "Machen Sie sich erst einmal unbeliebt, dann werden Sie auch ernst genommen."
Hat Adenauer recht, hat Bono eine große Zukunft.

Hui und Pfui in der Berliner Staatsoper

Die Berliner Staatsoper ist noch nicht ganz fertig, spielt aber wieder. DIE WELT besuchte die Eröffnungsstücke, nämlich Hänsel und Gretel und eine Monteverdi-Oper. Hänsel und Gretel konnten nicht überzeugen, da sah DIE WELT "wenig Poesie und keine Erkenntnis..." Der scheidende Intendant Jürgen Flimm fährt in dieser Spielzeit weitgehend eine Rentnerregieriege auf. Über die Oper von morgen mag er nicht mehr nachdenken", schreibt sie. Und die Akustik sei nicht gut.
Für die taz hat die Akustik den Test glänzend bestanden. Aber die Architektur! Im Inneren sehe man "die Restauration des schlechten Geschmacks herrschender Klassen aller Systeme". Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG stellt klar:
"Eines … zeigte dieser Wiedereröffnungspremierenreigen in aller Deutlichkeit: …wie überfällig der im Frühjahr anstehende Wechsel in der Intendanz ist."
Im Sinne Ibsens hat die NZZ dem Intendanten Flimm als Stütze der Kultur bedeutet, er wäre doch besser ihr stiller Teilhaber.

Wie Fremdenhass eine Stadt erfasst

Die SÜDDEUTSCHE besuchte mit der Schriftstellerin Manja Präkels den Ort Zehdenick. Präkels hat beschrieben, wie schon in der DDR, erst recht aber nach der Wende der Fremdenhass ihre Heimatstadt erfasste - und der Terror der Neonazis. Präkels hat die Geschichten als Lokalreporterin recherchiert und nun in einem Roman verdichtet. Ihr Heimatbesuch zusammen mit der Kollegin von der SÜDDEUTSCHEN nimmt sich aus wie eine Expedition in Feindesland, wo die AfD 18,6 Prozent gewann.
Die taz besuchte Delmenhorst, wo der syrisch-orthodoxe Christ Yakup Seven für die AfD im Stadtrat sitzt. Mit Gaulands Partei eine ihn, so heißt es, "eine diffuse Mischung aus Wut, Angst und Misstrauen – gegenüber dem demokratischen System, gegenüber der Presse und vor allem gegenüber Muslimen." Ungefähr 3000 Aramäer leben in Delmenhorst. Sie kamen als Gastarbeiter und als Flüchtlinge. Dem taz-Reporter hat der syrischstämmige AfD-Stadtrat ein Bild gegeben, das sein Gesellschafts-Gefühl beschreibt, Zitat:
"Wenn nachts draußen Hunde bellen, wisse ein Aramäer, da macht sich jemand an das Haus heran. Man wappne sich. 'In Deutschland dagegen steht man auf, erschießt den Hund und geht wieder ins Bett.' Yakup Seven ist sich sicher: Er muss Deutschland, das Haus in dem er doch eigentlich so gerne lebt, um jeden Preis weiter warnen."
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