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Paragraf 219a
Parteien fordern ersatzlose Streichung

Werbung für Schwangerschaftsabbrüche ist in Deutschland gesetzeswidrig - erst kürzlich wurde eine Ärztin dafür verurteilt. SPD, Grüne und die Linke setzten sich für eine Abschaffung oder zumindest Änderung des Paragrafen ein. Eine fraktionsübergreifende Einigung scheint greifbar.

Von Gudula Geuther | 05.12.2017
    Mit einem Plakat sprechen sich Demonstrantinnen am 24.11.2017 vor dem Amtsgericht in Gießen (Hessen) für eine Abschaffung des Abtreibungsparagfen 218 und den Paragrafen 219 aus. Im Gericht muss sich die Ärztin Kristina Hänel verantworten.
    Mit einem Plakat sprechen sich Demonstrantinnen am 24.11.2017 vor dem Amtsgericht in Gießen (Hessen) für eine Abschaffung des Abtreibungsparagfen 218 und den Paragrafen 219 aus. (Boris Roessler / dpa)
    Die wenigsten Deutschen dürften gewusst haben, dass es im Strafgesetzbuch § 219 a überhaupt gibt. Der lautet - in gekürzter Form:
    Wer seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs anbietet, ankündigt oder anpreist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
    Zu Verurteilungen kam es praktisch nicht. Trotzdem hatte die Fraktion die Linke ihn schon in der vergangenen Legislaturperiode auf dem Schirm. Und fragte die Bundesregierung nach der Praxis von Behörden und Gerichten. Mit dem Ergebnis, so berichtet die Abgeordnete Cornelia Möhring:
    "... dass dieser § 219 a, der ja so ein Schattendasein geführt hat, trotzdem von den so genannten Lebensschützern genutzt wurde, um ganz gezielt Ärztinnen und Ärzte anzuklagen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen."
    Urteil mit landesweiter Resonanz
    Auch eine Gießener Ärztin war angezeigt worden. Ihr Fall hatte vor zehn Tagen für Aufsehen und eine breitere Diskussion gesorgt. Sie hatte auf ihrer Internetseite darüber informiert, dass sie die ärztliche Leistung anbot. Die Staatsanwaltschaft verlangte, dass sie den Hinweis entfernen möge. Das tat sie nur zum Teil. 6.000 Euro Geldstrafe lautete das Urteil des Amtsgerichts Gießen. Am Tag der Entscheidung legte die Fraktion Die Linke ihren fertigen Gesetzentwurf vor. Demnach soll der Paragraph ersatzlos gestrichen werden.
    Auch SPD und Grüne wollen einen Entwurf vorlegen. Bundesjustizminister Heiko Maas, SPD, bezeichnete den einschlägigen Paragrafen 219a als ein "Relikt aus der NS-Zeit", das Frauen in Notlagen den Zugang zu Informationen erschwere. Sein Grüner Kollege aus Berlin Dirk Behrendt will über den Bundesrat Druck machen.
    Aus der Union allerdings kommt teils scharfer Widerspruch. Bayerns Justizminister, CSU, Winfried Bausback warnt, würde das Werbeverbot gestrichen, dürften Schwangerschaftsabbrüche regulierungsfrei beworben werden - und sei es in noch so anstößiger und kommerzialisierender Art und Weise. Es gehe um den verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz des ungeborenen Lebens.
    Entscheidung der Gerichte, nicht der Ärztekammern
    Bei der rechtspolitischen Sprecherin der Unions-Bundestagsfraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker, klingt es ein wenig anders. Sie lehnt vor allem die ersatzlose Streichung des Paragraphen ab. Die will auch die FDP nicht. Trotzdem zeigen Fachpolitiker sich dort offen für Gesetzesänderungen. Stephan Thomae etwa will nur ein Wort im Gesetzestext streichen. Mit dem Ergebnis, dass nur noch die Werbung in grob anstößiger Weise strafbar wäre. Damit müssten weiterhin staatliche Gerichte, nicht nur die Ärztekammern nach Standesrecht entscheiden.
    "Wir sollten eine derart schwer wiegende und auch schwierige Entscheidung, denke ich, nicht den ärztlichen Standesorganisationen überlassen. Immerhin ist der Schwangerschaftsabbruch auch etwas, das im Strafgesetzbuch verankert ist. Die Strafandrohung kann gerne bleiben. Aber durch die Änderung, die wir vorschlagen, wäre eine Entscheidung, wie sie jetzt das Amtsgericht Gießen getroffen hat, so nicht möglich gewesen."
    Kommt ein fraktionsübergreifender Antrag?
    Mindestens die FDP müssten die Befürworter einer Gesetzesänderung ins Boot holen, SPD, Grüne und Linke hätten allein keine Mehrheit. Die Linken-Politikerin Möhring kann sich dafür auch Kompromisse vorstellen - ihr eigener Antrag sah sogar selbst vor, das Werbeverbot notfalls nur einzuschränken, falls sonst gar nichts geschieht.
    "Das ist unser Hauptanliegen - also dass Ärztinnen und Ärzte nicht mehr in diese Situation kommen, und Frauen, die betroffen sind, in der Situation ihr Recht auf Information wirklich wahrnehmen können."
    SPD-Fraktionsvize Eva Högl strebt einen fraktionsübergreifenden Antrag an. Gerade bei frauenpolitischen Themen habe sich das bewährt, sagt sie mit Blick auf die Verschärfung des Sexualstrafrechts oder des Stalking-Paragrafen in der vergangenen Legislaturperiode.