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Britischer Ex-Finanzminister als Chefredakteur
Von der Politik in den Journalismus

Interessenverquickung: Dieser Vorwurf traf George Osborne von Anfang an. Im Mai wurde der ehemalige britische Wirtschafts- und Finanzminister Chefredakteur der wichtigen Londoner Zeitung "Evening Standard". Der Wechsel von der Politik in den Journalismus war heikel - doch Osborne hat sich gemacht, finden Beobachter.

Von Sandra Pfister | 09.08.2017
    George Osborne tritt am 25 November 2015 durch eine hölzerne Tür.
    George Osborne, ehemaliger britischer Schatzkanzler, hat von der Politik in den Journalismus gewechselt. (dpa / epa / Andy Rain)
    Am Anfang hatte Osborne noch behauptet, er könne den einen Job in der Frühschicht erledigen - der "Evening Standard" erscheint um 15 Uhr - den anderen in der Spätschicht. Aber schon wenig später legt Osborne legte sein Mandat für den Wahlkreis Tatton nieder. Gleichwohl: eine Interessenkollision bleibt, sagt Dominic Ponsford, Chefredakteur des britischen Medienmagazins "Press Gazette".
    "Es ist merkwürdig und nie dagewesen, einen Chefredakteur zu haben, der eine halbe Million Pfund von jemand anderem kassiert, mehr, als er in seinem Hauptjob verdient."
    Denn nach wie vor erhält Osborne sein Hauptsalär von dem amerikanischen Fondsverwalter Blackrock. Denn der ehemalige Schatzkanzler berät die Investmentgesellschaft nach wie vor. Das sei nicht ohne Beigeschmack, erläutert Medienkritiker Ponsford.
    "Die haben viel investiert in Dinge, über die der Evening Standard regelmäßig schreibt. Sie haben zum Beispiel viel Geld in Uber investiert, die Taxi-Firma, und der Evening Standard schreibt oft über Uber, weil deren Konkurrenz zu den Black Cab-Taxifahrern in London ein großes Thema ist. Das ist ein Problem, aber wenn Sie Osborne danach fragen, dann sagt er: Es gilt, was ich gesagt habe, als ich den Job übernommen habe: Ich werde mich für die Dinge starkmachen, die den Londonern wichtig sind. Und wir müssen einfach zu seinen Gunsten annehmen, dass das so ist. Aber Sie wissen ja…"
    Zeitung profitiert von Osbornes Insiderkenntnis
    Will heißen: Bislang hat der "Evening Standard" nicht auffällig kritische Themen umschifft, aber das könne ja durchaus noch kommen. Ansonsten findet der Journalist die Qualität der Gratis-Zeitung erstaunlich gut - auch unter Osborne. Zudem sei die Auflage gestiegen, seit er Chefredakteur ist: um etwa 25.000 Leser auf mehr als 900.000. Und das, obwohl Osborne kein gelernter Journalist ist. Hat er gezeigt, dass er trotzdem Journalismus kann?
    "Ich war einer derjenigen, die sehr skeptisch waren. Ich habe einen Kommentar geschrieben, wie lächerlich es ist, wenn jemand, der überhaupt keine Erfahrung hat, Chefredakteur einer Lokalzeitung wird. Nach dem, was ich bisher sehen kann, würde ich sagen: Er kann es. Die politische Berichterstattung war hervorragend, weil er einfach ein sehr gut informierter Mann ist. Die Leitartikel des Evening Standard sind absolut lesenswert, die sind so ziemlich das erste, was man dort liest, und fast alle ziemlich sicher von George Osborne."
    Die Zeitung profitiert also von Osbornes Insiderkenntnis der Politik. Zugleich aber ist Osborne ein waschechter Konservativer klassischer Prägung, inklusive Oxford-Diplom. Deshalb fürchteten viele, der "Evening Standard", in den vergangenen Jahren mit liberalen Tendenzen, werde unter dem ehemaligen Schatzkanzler wieder einen ordentlichen Rechtsdrall bekommen. Ist das eingetreten?
    Dominique Ponsford: "Im letzten Wahlkampf haben sie sich hinter die Konservativen gestellt, was für eine Londoner Zeitung erstaunlich ist, denn die Londoner sind eher links, damit hat die Zeitung sich gegen ihre Leser gestellt."
    Theresa May als "dead woman walking"
    Aber: "Zugleich hat er vor der Wahl Theresa May und ihren Wahlkampf und ihre Regierung mit am schärfsten kritisiert."
    Kurz nach der überraschenden Wahlschlappe im Juni bezeichnete Osborne die Premierministerin als "dead woman walking", als "zum Tode Verurteilte".
    Im Blatt lässt er europafreundliche Abgeordnete ausführlich zu Wort kommen und tritt auch damit der Frau, die ihn so rüde gefeuert hat, immer wieder ans Bein.
    "Er ist pro EU, während Theresa May den Brexit unterstützt. Er setzt da seine eigene Agenda, was vielleicht ein wenig problematisch ist. - Das ist wahrscheinlich die Kehrseite: Es ist ganz offensichtlich, was das Blatt will. Die Zeitung steht Theresa May extrem skeptisch gegenüber. George Osborne hat da definitiv noch eine Rechnung offen."
    Ansonsten hat der Medienkritiker wenig an George Osbornes neuer journalistischer Performance auszusetzen. Nur in der Lokalberichterstattung sei er unter seinen Möglichkeiten geblieben. Aus berührenden Jahrhundertereignissen wie den Terrorattacken in London oder dem Brand des Grenfell Tower, kritisiert Ponsford, hätten erfahrenere Chefredakteure deutlich mehr herausgeholt.
    "Da hat sich vielleicht seine Unerfahrenheit gezeigt. Man hätte erwartet, dass sie da wirklich etwas Berührendes machen. Aber sie haben da nicht jeden Stein umgedreht, da haben sie nicht alles gegeben."