Dienstag, 19. März 2024

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Die internationale Ordnung mit Trump
"Nicht das Ende der demokratischen Welt"

Der Politikwissenschaftler Volker Perthes warnt davor, die US-Wahl überzubewerten. Deutschland müsse sich an eine NATO gewöhnen mit "weniger liberalen Staaten, als wir uns das wünschen", sagte der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik im Deutschlandfunk. Besonders die Erwartungen an die EU und die Bundesregierung, mehr Verantwortung zu übernehmen, seien gestiegen.

Volker Perthes im Gespräch mit Klaus Remme | 13.11.2016
    Der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Volker Perthes, im Jahr 2015
    Der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Volker Perthes (dpa / picture alliance / Klaus-Dietmar Gabbert)
    "Wir sollten die Europäische Union nicht abschreiben", betonte Perthes im Interview der Woche; so bleibe Großbritannien nach der Brexit-Entscheidung Partner in der EU und NATO. Und auch ein künftiger US-Präsident Donald Trump werde lernen, wie relevant die EU sei. "Wenn ich das Trump erklären kann, kann ich das vielleicht auch meinen Bürgern tun." Hierzu müsste aber auch die Zusammenarbeit in "Kernbereichen" wie Außenpolitik, Innerer Sicherheit und Arbeitsmarktpolitik verbessert werden. Besonders gestiegen seien dabei die Erwartungen an Deutschland, das mit Angela Merkel die "Politikerin mit der größten Erfahrung" an seiner Spitze habe.
    "Die Probleme der Welt bleiben erst mal die gleichen", sagte Perthes zu den Herausforderungen für die kommende US-Administration. Washington werde sich weiterhin mit Russland, China und dem Nahen Osten auseinandersetzen müssen. "Und: Ob Trump daran glaubt oder nicht - auch mit dem Klimawandel." Ändern werde sich wohl der diplomatische Stil. Trump setze nicht auf multinationale Allianzen, sondern "Geschäfte auf persönlicher Ebene", erwartet der SWP-Direktor, "nach der Idee großer Führer, die Probleme schon irgendwie miteinander lösen können."
    So werde Trump wohl schnell auf Russlands Präsident Wladimir Putin zugehen und "erst mal Deals machen". So erwarte er ein gemeinsames Vorgehen der beiden in Syrien "zu Lasten der Opposition und zu Gunsten des Assad-Regimes". Ob dieser Politikstil "langfristig gut ist, weiß ich nicht", so Perthes.
    Der Politikwissenschaftler verteidigte die Bundesregierung gegen die Kritik, so wenig wie jemals zuvor über einen künftigen US-Präsidenten zu wissen. Zwar könne man den Diplomaten vorwerfen, sich nicht mehr mit Trump beschäftigt zu haben. Doch habe dieser auch nur wenige Personen in seinem Umfeld gehabt, die man hätte ansprechen können. Nun befinde man sich auf "Treibeis" und habe nur "begrenzte Möglichkeiten zu beeinflussen, wo es hintreibt".

    Das Interview in voller Länge:
    Klaus Remme: Ich grüße Sie, Herr Perthes.
    Volker Perthes: Guten Tag, Herr Remme.
    Remme: Guten Morgen, schön, dass Sie da sind. Lassen Sie uns ausführlich über das Ereignis der zurückliegenden Woche sprechen, nämlich natürlich das Ergebnis der US Präsidentschaftswahlen. Um die Ausgangslage für uns zu klären, sind Sie auch am Dienstagabend in die Wahlnacht gegangen und haben mit Hillary Clinton als Präsidentin der Vereinigten Staaten gerechnet?
    Perthes: Also die ehrliche Antwort ist, nach dem Brexit-Votum in Großbritannien bin ich davon ausgegangen, dass Donald Trump es zumindest werden könnte und bin zunehmend stärker davon ausgegangen. Und so etwa zwei Wochen vor der Wahl habe ich mich von den Meinungsforschern einlullen lassen und gedacht: Na ja, es wird doch Hillary Clinton.
    Remme: Jetzt mit vier Tagen Abstand – und ich bin sicher vielen Gesprächen – haben Sie inzwischen eine Erklärung dafür, warum sich so viele, so kenntnisreiche und erfahrene Leute in den USA, aber auch darüber hinaus so getäuscht haben?
    Perthes: Na, die kenntnisreichen Leute in den USA kennen die falschen Leute – sagen wir es mal so. Die ganze politische, auch kulturelle mediale Elite in den USA ist letztlich doch in einer zwar großen, aber von Teilen des Landes weit entfernten Wolke, befindet sich in dieser Wolke und kennt Teile ihres eigenen Landes nicht besonders gut. Kein Wunder, dass Hillary Clinton in Washington, D.C. eine große Mehrheit der Stimmen bekommen hat, dass sie in vielen der Ostküstenstaaten und in Kalifornien eine Mehrheit der Stimmen bekommen hat. Aber da lagen die Meinungsforscher auch richtig und da gab es keine großen Verwunderungen. Aber es gibt ja in den USA dieses etwas despektierliche Wort von den Flyover States, also von den Staaten in der Mitte zwischen Ost- und Westküste, die eigentlich nicht richtig wichtig sind. Das ist ein arrogantes Wort und in gewisser Weise haben wir die Rache der Flyover States am Establishment an der Ost- und Westküste erlebt.
    "Wir machen keine Vorhersagen über die Zukunft"
    Remme: Sie und Ihre Kollegen am Institut sind Regierungsberater. Sie werden von Entscheidungsträgern nach Einschätzungen gefragt. Nach dem Brexit – Sie haben ihn genannt – gilt Trump eigentlich als das zweite Waterloo der sogenannten Experten. Wie groß ist die eigene Verunsicherung?
    Perthes: Ich denke, wenn wir versuchen, Politik guten Rat zu geben, dann gehört dazu immer zu sagen: Wir wissen es auch nicht. Wir machen keine Vorhersagen über die Zukunft. Wir weisen auf mögliche Bruchstellen hin. Wir weisen auf Risiken hin. Und auf das Risiko Brexit und auf das Risiko der Wahl eines populistischen Präsidenten in den USA haben wir tatsächlich seit einer ganzen Zeit hingewiesen, ohne zu sagen, das ist jetzt das wahrscheinlichste aller Szenarien. Aber gute Beratung heißt einfach auch, sich vorzubereiten darauf, dass ein unwahrscheinlicheres, aber vielleicht risikoreiches Szenario eintreten kann.
    Remme: Also für Sie stellen sich hier nicht grundsätzliche Fragen hinsichtlich Ihrer eigenen Arbeit?
    Perthes: Es stellt sich nicht die Berufsfrage für mich, nein.
    Remme: Jetzt mangelt es sicher nicht an Warnungen hinsichtlich einer Zäsur, einem Bruch. Sind wir transatlantisch wirklich in Neuland?
    Perthes: Wir sind – wenn Sie eine solche geographische Metapher haben wollen – vielleicht auf Treibeis. Wir wissen nicht so genau, wo es hintreibt. Und wir haben nur begrenzte Möglichkeiten. Wir haben Möglichkeiten, aber wir haben nur begrenzte Möglichkeiten, die Richtung zu beeinflussen in die man treibt oder sich eben nicht treiben zu lassen.
    Remme: "Das Ende der Welt, wie wir sie kennen", Spiegeltitel – Panikmache, Überreaktion?
    Perthes: Mediale Reaktion.
    "Krise verkauft sich gut"
    Remme: Was heißt das?
    Perthes: Krise verkauft sich gut. Und damit sind wir ein Stück weit auch bei den vielen weiteren Erklärungen für den Sieg von Trump. Auch ein Skandalpolitiker verkauft sich gut. Auch jemand, der polarisiert, verkauft sich gut. Selbst die sogenannten seriösen Medien lassen sich ja anstecken davon, wenn einer polarisiert, wenn einer rumschreit, wenn einer mit frauenfeindlichen, rassistischen oder anderen Äußerungen Feindschaft hervorbringt. Das sind Schlagzeilen wert. Das verkauft sich gut. Und "Ende der Welt" verkauft sich gut. Nein, wir sind nicht am Ende der Welt. Wir sind in einem neuen, schwierigen Verhältnis mit den USA. Die Probleme, mit denen die USA sich beschäftigen müssen und mit denen wir uns beschäftigen müssen, bleiben erst einmal die gleichen im Rest der Welt. Also die Welt ist ja ein bisschen größer als das transatlantische Verhältnis – müssen wir gelegentlich mal zugeben. Die USA wird sich mit China auseinandersetzen müssen und wird sich mit Russland auseinandersetzen müssen, mit den Problemen im Nahen Osten auseinandersetzen müssen, aber auch weiterhin – ob Trump nun dran glaubt oder nicht – mit Klimawandel, mit Entwicklungsfragen, mit Umweltfragen.
    Remme: Dann schauen wir auf diese anderen Orte. Die außenpolitische Bilanz Barack Obamas ist ja wahrlich nicht ohne Makel. Sie kennen sich insbesondere im Nahen und Mittleren Osten aus – Syrien, Irak, Libyen, Afghanistan. Die Krisenherde, die sind ja schnell ausgemacht und wir sehen doch ein fast unentwirrbares Knäuel von Interessen in der Region, ein zunehmend konfrontatives Verhältnis zwischen Moskau und Washington. Wenn Sie die Dinge sortieren sollen und in der Analyse entwirren sollen, wo fangen Sie an und sehen Sie dann mit Blick auf den Machtwechsel in Washington eher Risiken oder auch Chancen?
    Perthes: Ich sehe eher Risiken. Die gibt es auch oder hätte es auch gegeben, wenn Frau Clinton gewählt worden wäre. Das sind die laufenden Krisen und Konflikte im Nahen und Mittleren Osten – Sie haben sie angesprochen – mit denen wir uns beschäftigen müssen, die sich einfach nicht eindämmen lassen. Das haben wir in Europa ja im letzten Jahr vor allem festgestellt, dass, wenn … Das ist jetzt ein bisschen eine banale Aussage, aber wenn man sich nicht um den Nahen und Mittleren Osten kümmert, dann kommt der Nahe und Mittlere Osten eben zu uns. Das gilt für die Amerikaner nicht ganz so, aber sie haben feste Interessen in der Region. Wir wissen, dass es geopolitische Spannungen im ostasiatisch-pazifischen Raum gibt, und dass es dort auch Akteure gibt. Und ich meine nicht China, auf das sich Herr Trump immer so stark fokussiert hat, sondern zum Beispiel Nordkorea, was sehr schnell eine neue amerikanische Administration testen könnte. Wenn Nordkorea plötzlich eine ballistische Rakete vorführt, die die Ostküste … Entschuldigung, die die Westküste der USA erreichen kann, dann ist das eine Herausforderung – egal, wer gerade im Weißen Haus sitzt. Damit wird sich Präsident Trump bzw. seine Umgebung, seine Administration, von der wir ja noch nicht genau wissen, wie sie aussieht, werden sich damit beschäftigen müssen.
    "Trump will grundsätzlich den gesamten Stil von Politik verändern"
    Remme: Diese Frage, wo fängt man an, das zu entflechten mit Blick auf einen neuen Präsidenten, ist da das Verhältnis zu Russland mit einer Schlüsselfunktion behaftet?
    Perthes: Das ist schon wichtig, weil die Spannung mit Russland ja tatsächlich gerade auch für uns in Europa in den letzten zweieinhalb Jahren ein ernsthaftes Problem gewesen ist. Wir haben in Europa mit großem Recht geglaubt, dass wir das beste und am höchsten institutionalisierte regionale Sicherheitssystem in der Welt haben mit der OSZE und dem Europarat und dem NATO-Russland-Rat und vielen anderen Institutionen und plötzlich feststellen müssen, dass diese ganzen Institutionen auch verlorenes Vertrauen nicht zurückbringen, uns vor Überraschungen nicht schützen können. Und jetzt geht jemand hin als neugewählter Präsident der USA, der viel Unterstützung schon im Wahlkampf von Präsident Putin bekommen hat, und sagt: Das wird eine meiner ersten Aufgaben sein, das Verhältnis des Westens oder der USA zu Putin und zu Russland in Ordnung zu bringen. Ich glaube, kurzfristig kann das sogar gut sein, wenn man Spannungen überwindet. Ich denke, Präsident Trump und Präsident Putin werden versuchen, Deals zu machen, Abmachungen zu machen über das eine oder andere Problem, wo man über Kreuz liegt. Ob es langfristig gut ist, das weiß ich nicht. Es wird vor allem auch Unruhe auslösen in Staaten wie der Ukraine oder Moldau oder Georgien und den baltischen Staaten und Polen.
    Remme: Warum ist der Reset-Knopf nicht wirklich erfolgreich gedrückt worden, den Obama schon damals im Verhältnis zu Moskau und zu Putin drücken wollte und kann Trump daraus lernen?
    Perthes: Trump könnte daraus lernen, aber ich glaube, das ist nicht so richtig sein Modus Operandi, sich die politischen Entscheidungen und Dynamiken der letzten acht Jahre anzugucken und zu sagen: Was genau muss ich anders machen? Sondern er hat das Gefühl … und das ist jedenfalls seine Botschaft. Er will grundsätzlich den gesamten Stil von Politik verändern, also nicht so viel auf multilaterale Verträge, auf das Arbeiten durch Allianzen setzen, wie das die USA traditionell als Führerin dieser Allianzen tut, sondern persönliche transaktionale Deals, also Geschäfte auf Gegenseitigkeit machen, gelegentlich sicherlich auch zulasten Dritter. Er will das personalisierte, das persönliche Element in der Politik stärker betonen, sozusagen ein bisschen zurück zu der Idee, dass Weltpolitik letztlich das Geschäft von großen Führern ist, die irgendwie die Probleme schon miteinander lösen.
    Remme: Ich habe einzelne Krisenherde eben aufgezählt. Man könnte möglicherweise auch noch einmal Israel nennen. Eine ganz schwierige Beziehung zwischen Netanjahu und Obama, die da auf politischer Ebene zu Ende geht. Welcher Konflikt, welcher Krisenherd hat Ihrer Meinung nach das größte Potenzial für Lösung oder Befriedung?
    Perthes: Der Israel-Palästina-Konflikt sicher nicht. Da haben auch in den letzten zwei, drei Jahren kaum noch westliche oder internationale Politiker hingeschaut. Nicht, weil es dort keine Gewalt gäbe oder keine Gefahr von Gewalt, sondern weil er einfach in den Schatten von anderen Kriegen und Konflikten im Nahen und Mittleren Osten geraten ist. Syrien ist sicherlich ein Punkt, wo Putin und Trump sehr schnell drüber reden werden. Und ich denke, es gibt die Bereitschaft auf beiden Seiten, hier etwas fortzusetzen, was sozusagen auf Expertenebene zwischen Amerikanern und Russen in den letzten Monaten sich schon angedeutet hat, nämlich ein gemeinsames Vorgehen für Syrien zu finden. Ich nehme an, das wird zulasten der oppositionellen Kräfte und zugunsten der Regierung unter Präsident Assad gehen. Es gibt Trade-Offs, die man machen muss. Trump wird sagen: Ich habe hier einen Stein des Anstoßes mit den Russen beseitigt und was interessieren mich eigentlich die Einzelheiten, wer, wo im Nahen Osten regiert.
    "Bundesregierung hätte sich mehr kümmern müssen, das Lager um Trump kennenzulernen"
    Remme: Wenn Sie zurückblicken, ist das eigentlich beispiellos, dass eine Bundesregierung nach einer maßgeblichen Wahlentscheidung im Ausland derart kenntnislos über das künftige Programm und die Mannschaft hinter dem Wahlsieger ist? Oder gibt es Parallelen, aus denen man möglicherweise lernen kann?
    Perthes: Es gibt jedenfalls keine Parallelen der Größenordnung. Das ist ja nicht so, als wenn ein Herr Berlusconi in Italien die Wahl gewinnt. Wir können zwar, wenn wir über den Stil reden, gewissermaßen von der "Belusconisierung" internationaler Politik sprechen. Trump ist da ja durchaus ähnlich sozusagen, diese Verbindung von Showgeschäft und Politik oder den Einstieg in die Politik über das Showgeschäft. Aber es macht eben einen Unterschied, ob die Amerikaner, ob die nach wie vor größte Macht der Welt von einem populistischen Politiker ohne echte Administrationserfahrung regiert wird, oder ob ein Land wie Italien dieses Schicksal erfährt oder die Moldau oder noch kleinere Länder.
    Remme: "Wir wissen nichts von Trump", sagt die Bundesregierung. "Wir wissen nichts über ihn und über seine Mannschaft." Taugt das für einen Vorwurf? Immerhin wussten wir spätestens, seitdem er Kandidat ist, dass es die Möglichkeit gibt, dass er ins Weiße Haus einzieht.
    Perthes: Ja, ich denke, man kann zu Recht den Vorwurf draus machen, sagen: Ihr hättet euch mehr kümmern müssen, das Lager um Trump kennenzulernen. Der Vorwurf ist nicht ganz falsch, aber er zieht nicht hundertprozentig, weil Trump – anders als Frau Clinton – eben auch wenig Personen in seiner Umgebung gehabt hat, die tatsächlich ansprechbar gewesen wären. Was immer es wert ist, was jemand wie ich weiß oder wen ich kenne, aber ich könnte sagen, aus der Mannschaft von Frau Clinton, Personen, die irgendein Amt bekommen hätten, kenne ich wahrscheinlich 25, 30 Leute persönlich. Aus der Mannschaft von Herrn Trump kenne ich vielleicht ein oder zwei. Und die werden auch nur in den Zeitungen gehandelt und haben in der Kampagne keine Rolle gehabt. Und so geht es natürlich unseren Diplomaten auch. Und Trump hat auch gesagt, er braucht keine Berater. Er ist selber sein bester Berater. Das heißt, es gab nicht die Personen, von denen er gesagt hat, redet doch mal mit denen, wenn ihr wissen wollt, wofür ich stehe.
    "Allianzen geben Einfluss"
    Remme: Donnerstag/Freitag kommt Barack Obama ein letztes Mal als Präsident nach Berlin. Er ist noch im Amt. Seine Politik ist abgewählt. Was erwarten Sie von dem Besuch?
    Perthes: Es ist ja nicht so, dass man in den zehn Wochen etwa, die noch bleiben für Barack Obama, nicht noch ein paar wichtige Herausforderungen hätte, die erledigt werden können oder wo Dinge auf den Weg gebracht werden können. Es hat Kommentatoren gegeben, die sich sogar gefragt haben, ob Barack Obama in dieser Zwischenzeit noch das transpazifische Handelsabkommen durch den Kongress bringen werde. Ich nehme an, er wird das nicht tun, weil er ja Trump sozusagen einen sanften Übergang versprochen hat, also nicht Dinge tun wird, die Trump hundertprozentig abzulehnen behauptet. Aber gerade in Sachen Syrien, wo diplomatische Verhandlungen zwischen Russen und Amerikanern und anderen laufen, kann sich zum Beispiel noch etwas tun. In Sachen Ukraine kann sich durchaus noch etwas tun. Das ist für uns wichtig. Und natürlich ist es wichtig, wenn Obama bei einem Besuch in Europa auch noch mal die Bedeutung der transatlantischen Beziehung für die USA deutlich macht – also der eigenen politischen Öffentlichkeit, einschließlich des neugewählten Präsidenten und seiner Umgebung deutlich macht: Allianzen sind nicht etwas, wo man in erster Linie drauf guckt, wie viel man dafür zahlt und wie viel man zurückkriegt, sondern Allianzen geben Einfluss. Allianzen zeigen … und die Amerikaner haben eben mehr Allianzen als jedes andere Land in der Welt – Allianzen zeigen, dass man Freunde überall in der Welt hat.
    Remme: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk. Wir sprechen mit Volker Perthes, dem Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Herr Perthes, aktuelle Schlagzeile in der New York Times: "Die letzte Verteidigerin des liberalen Westens" – damit ist Angela Merkel gemeint. Die Erwartungen an die Bundeskanzlerin sind jetzt – so scheint es – noch einmal gestiegen. Zu Recht?
    Perthes: Ja, es ist tatsächlich so. Und das haben ganz viele Kommentatoren auch sozusagen aus der Politik selbst nach der Wahl von Donald Trump gesagt, dass die Europäer mehr zusammen tun müssen und mehr tun müssen. Sie müssen sich darauf vorbereiten, dass Donald Trump die transatlantische Allianz zumindest für weniger wichtig hält, dass sie selbst mehr tun müssen für europäische Außenpolitik, für europäische Sicherheitspolitik. Großbritannien ist dabei, sich zu verabschieden aus Europa. Brüssel ist geschwächt, weil es die nächsten zwei Jahre mit den Austrittsverhandlungen Großbritanniens beschäftigt werden wird. Also wird mehr Verantwortung auf den größten Staat in der Europäischen Union zukommen und mehr Erwartungen richten sich auf die erfahrendste Politikerin, die langjährigste Regierungschefin, die wir in Europa haben. Da kommt ganz vieles zusammen und das läuft sozusagen aus jeder Richtung auf Frau Merkel zu.
    Druck auf Angela Merkel wird größer
    Remme: Aber "mehr Verantwortung" das ist das Motto seit Beginn dieser Legislaturperiode. Ist das gleichzeitig eine Überforderung?
    Perthes: Es ist eine harte Forderung und ich glaube, wir sind … wir hier in Deutschland sind heute besser aufgestellt, als wir das vor vier oder vor acht Jahren waren. Aber natürlich hat … als man vor vier Jahren anfing – Münchener Sicherheitskonferenz, Sie erinnern sich – darüber zu sprechen, dass Deutschland bereit sei, mehr Verantwortung zu übernehmen, da haben wir an Verantwortung in einer Europäischen Union gedacht, zu der Großbritannien als wichtige politische und militärische Macht gehört und an eine Europäische Union in einer festen transatlantischen Allianz mit einem amerikanischen Präsidenten oder einer Präsidentin, der oder die den Wert dieser Allianz schätzt.
    Remme: Kleiner Ausflug in die Tagespolitik, Herr Perthes. Erhöht sich durch die Präsidentschaftswahl und das Ergebnis aus Ihrer Sicht der Druck auf Angela Merkel noch mal anzutreten?
    Perthes: Ja.
    Remme: Rechnen Sie damit, dass sie diesem Druck nachgibt?
    Perthes: Ich finde, das sollte die Kanzlerin wirklich lieber selbst beantworten.
    Remme: Ist sie denn wirklich so allein, wie es diese Schlagzeile der New York Times suggeriert? Wo sind mögliche Verbündete auf liberaler Bühne?
    Perthes: Na ja, es gibt … Also es ist ja nicht so, dass wir die Europäische Union abschreiben sollten. Es gibt in Europa sehr viele Verbündete. Auch Großbritannien bleibt weiterhin ein befreundeter und verbündeter Staat. Wir reden letztlich darum, welche Form des Zugangs zum Binnenmarkt Großbritannien haben wird, wenn es nicht mehr den Institutionen der EU angehört. Aber es bleibt ein NATO-Land. Man redet auch viel über bilaterale außen- und sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Großbritannien. Auch die USA sind ja nicht völlig abgeschwirrt. Es gibt in der amerikanischen Elite, die weiterhin eine Rolle haben wird, ganz, ganz viele Kräfte, gerade auch in der republikanischen Partei, die dem neuen Präsidenten erklären werden, wie wichtig es ist, mit Europa zusammenzuarbeiten. Und es gibt außerhalb dieses traditionellen transatlantischen Rahmens Partner für bestimmte wichtige Politikbereiche. Es scheint fast so, als würde China der wichtigste Partner Europas in Klimafragen. Es hat lange gedauert, bis China den Diskurs aufgegeben hat zu sagen, wir sind ein Entwicklungsland und deshalb müssen wir jede Woche ein neues Kraftwerk ans Netz bringen. Mittlerweile haben sie festgestellt in China, wie gefährlich ein ungebremstes Wirtschaftswachstum ist, das keine Rücksicht auf die Umwelt nimmt. Und sie sind selber vor den USA dabei gewesen, das Pariser Abkommen zu ratifizieren und sind hier vielleicht ein Partner. Und ich glaube, das müssen wir lernen, dass wir uns Partner in weiteren Teilen der Welt suchen und nicht in erster Linie da hin gucken, ob die USA mitmachen oder nicht.
    "Letztlich ist das deutsche politische System ziemlich durchlässig"
    Remme: Ich will noch kurz bei der innenpolitischen Lage bleiben. Das Ergebnis in den USA, das wird jetzt viel – und Sie haben das ganz am Anfang auch kurz mal anklingen lassen – mit dem Eigenleben einer Elite erklärt und ihrem Unvermögen, ganze Wählerschichten anzusprechen. Von den "Abgehängten" wird da geredet. Die AfD haut hierzulande ja in die gleiche Kerbe. Le Pen macht es genauso. Überzeugt Sie diese Erklärung?
    Perthes: Es ist was dran, ja. Es gibt die "Abgehängten". Es gibt diejenigen, die einfach das Gefühl gehabt haben, dass die Elite für sie nicht da ist. So, wie es in der Europäischen Union – da sollten wir ja ganz klar sein – einen großen Teil der Bürger und Bürgerinnen gibt, die … zu Recht oder zu Unrecht, aber die jedenfalls fragen "was tut denn die Europäische Union für uns", die das nicht wahrnehmen. Und da ist es richtig, wenn die Europäische Union, insbesondere die starken Mitgliedsstaaten in der Europäischen Union, jetzt sehr schnell sich fragen und Antworten darauf geben: Wie können wir die Europäische Union relevant machen, und zwar gleichzeitig für unseren Partner auf der anderen Seite des Atlantik? Wenn ich Herrn Trump erklären kann, warum die Europäische Union relevant ist, kann ich das vielleicht auch meinen Bürgern erklären. Und wir wissen, dass es relativ hohe Zustimmung auch – sagen wir mal – europakritischer Bürger und Bürgerinnen gibt dafür, dass die Europäische Union etwas für die äußere Sicherheit der Mitgliedsstaaten tun soll. Europäische Küstenwache im Mittelmeer als Stichwort beispielsweise. Das heißt, wenn wir zeigen können, es gibt ein paar Kernbereiche europäischer Politik – äußere Sicherheit, gemeinsame Außenpolitik, gemeinsame Prioritätensetzung in der Außenpolitik, innere Sicherheit und Jobs, Arbeitsplätze – dann glaube ich, kann man einen großen Teil dieser Skepsis auch wieder einfangen.
    Remme: Wie groß ist die Gefahr, dass wir einen ähnlich aggressiven, auf dem Qualitätsniveau eher unteren Wahlkampf erleben in den nächsten Monaten hin zur Bundestagswahl hier in Deutschland?
    Perthes: Ich glaube, die Gefahr ist nicht sehr groß. Ja, Populisten überall in der Welt fühlen sich ermutigt. Ich rede da gar nicht von der AfD bei uns oder von Frau Le Pen. Das gilt auch für Herrn Erdoğan oder andere, die sagen, die USA entwickeln sich eigentlich in Richtung illiberaler Demokratie und das ist, was wir auch für richtig halten. Warum dieser ganze Liberalismus? Gleichzeitig ist es – denke ich – so in Deutschland, dass die Elite nicht so sehr in einer "Bubble", nicht so sehr in einer Wolke ist, wie das in den USA der Fall ist. Letztlich ist das deutsche politische System ziemlich durchlässig. Gucken Sie sich an, wo unsere Politiker herkommen. Das sind keine Politiker-Familien-Establishments, wo sozusagen über Generationen Macht vererbt wird.
    "Wir können uns unsere Partner nicht immer aussuchen"
    Remme: Mit Erdoğan geben Sie mir ein letztes Stichwort. Der Bundesaußenminister wird morgen Abend nach Ankara fliegen. Ein schwieriger Besuch. Die bilateralen Beziehungen sind schwer belastet, die zur EU auch. Die Meinungen darüber, wie mit diesem Mann umzugehen ist, gehen weit auseinander. Was denken Sie?
    Perthes: Es geht hier nicht nur um den Mann. Es geht um die Türkei. Und die Türkei bleibt ein wichtiger Partner. Wir können uns unsere Partner nicht immer aussuchen. Vor allem … wir können uns nicht die Politiker aussuchen, die in unseren Partnerländern regieren. Wir wissen, dass wir mit Ländern umgehen müssen, deren Regierungen gelegentlich Teil des Problems und Teil der Lösung sind. Und wir werden die Türkei nicht verändern, wenn wir sie isolieren. Und insofern finde ich es völlig richtig, dass deutsche und europäische Politiker den Kontakt zur türkischen Regierung auch in einer Zeit halten, wo wir zu Recht ernsthafte Kritik an den innenpolitischen Maßnahmen der Türkei haben.
    Remme: Wenn Jean Asselborn sagt, die Beitrittsgespräche sind de facto ausgesetzt, wenn Frank-Walter Steinmeier ein Paket mit unterstützenden Maßnahmen für die Zivilgesellschaft mitbringt, wenn gleichzeitig der Bundeswehreinsatz in Incirlik aufrecht erhalten wird, sind das klare Botschaften oder sind das gemischte Signale?
    Perthes: Das sind erst mal gemischte Signale, die eben auch einen Sinn haben. Dass es für die Türkei oder für die türkische politische Führung nicht so aussieht, als hätten die Europäer nur ein "Take-it- oder Leave-it-Angebot", also als könnten sie nur sagen, hier ist das Paket und ihr nehmt es an oder ihr lehnt es ab. Nein, wir können das Verhältnis mit der Türkei justieren. Die Türkei sollte wissen, dass es bestimmte innenpolitische Maßnahmen gibt, die, falls sie sie treffen sollten, eine Mitgliedschaft in der EU unmöglich machen. Also "Einführung der Todesstrafe" ist hier das Stichwort. Das ist ein absolutes "NO-no/Nein-nein" für die Europäische Union. Aber die Türkei kann selber natürlich auch bestimmen, wie eng und wie viel Europa sie haben will.
    Remme: Vom Verhältnis zur EU ist immer viel die Rede. Kann denn die Türkei in diesem Zustand mit den offensichtlichen Demokratiedefiziten unbeschadet NATO-Partner bleiben? Denn auch das ist doch eine Wertegemeinschaft.
    Perthes: Die NATO ist in erster Linie eine Interessengemeinschaft, die allerdings auch gemeinsame Werte hat. Und das ist interessant, dass wir jetzt am Ende über Herrn Erdoğan reden. Frau Merkel hat ja in ihrer Glückwunschbotschaft an Herrn Trump zuerst einmal gesagt, welches die gemeinsamen Werte sind, die wir haben. Ich glaube, wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir ein paar NATO-Partner haben, die zwar grundsätzlich weiterhin Demokratien sind – da hat sich ja auch in den USA nichts geändert. Also Donald Trump ist demokratisch gewählt worden und ich nehme auch an, dass es in vier Jahren und in acht Jahren wieder demokratische Wahlen in den USA gibt. Also es ist tatsächlich nicht der Weltuntergang oder das Ende der demokratischen Welt, aber Demokratie wird in einigen der Mitgliedstaaten der NATO weniger liberal definiert, als wir das in Deutschland oder in Schweden oder in Holland gerne hätten.
    Remme: Herr Perthes, ich bedanke mich für das Gespräch.
    Perthes: Herzlichen Dank, Herr Remme.