Freitag, 29. März 2024

Archiv

Britisches Parlament
Am Speaker scheiden sich die Geister

John Bercow ist Speaker im britischen Unterhaus. Seine "Order! Order!"-Rufe haben ihn über das Unterhaus hinaus bekannt gemacht. Seit neun Jahren ist er im Amt und will seine Amtszeit nun verlängern, um bei wichtigen Brexit-Verhandlungen teilnehmen zu können. Nicht alle sind mit dieser Entscheidung einverstanden.

Von Friedbert Meurer | 22.06.2018
    John Bercow, Unterhaus-Speaker am 23. Oktober 2013.
    John Bercow, Unterhaus-Speaker am 23. Oktober 2013. (imago / Zuma Press / Tolga Akmen )
    John Bercow in Aktion: energisch und theatralisch leitet er die Sitzungen im britischen Unterhaus. Dass es dort lebhafter und emotionaler zugeht als im vergleichsweise nüchternen deutschen Bundestag, ist auch das Verdienst des Speakers. Zuletzt legte er sich mit den Angeordneten der Schottischen Nationalpartei an und wies ihren Fraktionsvorsitzenden aus dem Saal.
    Bercow gibt einfachen Abgeordneten mehr Redezeit
    Bercow beharrte gegenüber den Schotten auf den Verfahrensregeln. Das tut der Speaker auch gerne im Umgang mit der Regierung. Die Energie-Staatssekretärin Claire Perry beantworte gerade eine Frage nicht schnell genug, da traf sie der Bannstrahl des wortgewaltigen Bercow.
    Kurze Fragen und kurze Antworten, darauf bestehe er, maßregelte er die Staatssekretärin. Bercow gibt überhaupt einfachen Abgeordneten mehr Redezeit. Aber die geschurigelte Staatssekretärin Claire Perry beklagte sich anschließend in der BBC. John Bercow lege sich gerne mit jungen und weiblichen Regierungsmitgliedern an, die schwächer seien:
    "Er macht das oft, meistens mit Frauen. Er hat die Ministerin für das Unterhaus eine dumme Frau genannt. Etliche Kollegen sagen mir, sein Verhalten sei sexistisch und erniedrigend."
    Mobbingvorwürfe gegen Bercow
    Dass er Andrea Leadsom, die Ministerin, als "stupid woman", "dumme Frau", bezeichnet haben soll, stellt John Bercow etwas anders dar. Er habe die Debatte als stupid bezeichnet, nicht die Ministerin. Vor knapp zwei Monaten geriet Bercow aber noch mehr in die Bredouille, als ehemalige Mitarbeiter ihm Mobbing vorwarfen:
    "Er hämmerte auf den Tisch, schrie und wurde absolut ausfällig gegen mich. Er hat mich sogar als Antisemiten beschimpft, wofür er sich hinterher entschuldigt hat."
    Eine andere Kollegin gab nach einem Jahr im Büro des Speakers auf. Sie war mit den Nerven völlig am Ende, sagt sie. Die Vorwürfe werden nicht überprüft. Ein Gremium des Unterhauses lehnte das mit knapper Mehrheit ab. Bercow verfügt über genügend Freunde.
    Aber er hat sich auch Gegner gemacht: seine Auftritte als Speaker im Parlament werden ihm als Eitelkeit ausgelegt. Er, dessen Tory-Mitgliedschaft ruht, wolle sich nur lieb Kind bei der Opposition machen, z.B. mit seiner berühmten Philippika gegen Donald Trump. Alec Shelbrooke, ein konservativer Abgeordneter, bezeichnet das als Doppelmoral und Heuchelei. Bercow habe Diktatoren hofiert, denen man definitiv Rassismus und Sexismus vorhalten kann:
    Times fordert seinen Rücktritt
    "Ich verstehe nicht, warum er den Emir von Kuwait mit allen Ehren empfangen hat. Das Land bestraft Homosexualität mit langen Haftstrafen und unterdrückt Frauen. Er ist da einfach widersprüchlich in seinen Vorwürfen."
    Bercow wollte eigentlich nach neun Jahren Amtszeit zurücktreten. Jetzt will er doch weitermachen, weil er die komplizierten Brexit-Debatten im Unterhaus zu Ende führen wolle. Die "Times" fordert seinen Rücktritt und wirft ihm vor, er sei in seine eigene Stimme verliebt. Dabei sei doch sein Job, andere reden zu lassen. Bercow möge sich daran halten, was er den Abgeordneten zuruft:
    "Bewahren Sie Ruhe und entspannen Sie sich beim Yoga!"