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Brok: Neuwahlen in Bulgarien sind keine Lösung

Den bulgarischen Abgeordneten fehle noch das Gefühl für Kompromisse und demokratische Zusammenarbeit, sagt Elmar Brok, CDU-Europaparlamentarier. Daran würden auch die von Demonstranten geforderten Neuwahlen nichts ändern. Vielmehr müsse sich eine demokratische Mehrheitsbildung durchsetzen.

Elmar Brok im Gespräch mit Thielko Grieß | 24.07.2013
    Thielko Grieß: Erst vorgestern hatte es eine gute Nachricht aus Bulgarien gegeben. Das Land verzeichnet eine der niedrigsten Verschuldungsraten in Europa. Niedrige Verschuldung, das steht für ein ausgewogenes Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben, aber offenkundig nicht gleich auch für sozialen Frieden und Zufriedenheit. Das belegen die Proteste und Demonstrationen, die vor allem in der Hauptstadt Sofia seit mehr als einem Monat jeden Tag stattfinden und die in der vergangenen Nacht eine neue Stufe erreicht haben. Hunderte Menschen haben die Zu- und Abfahrten des Parlaments in der Hauptstadt blockiert. Einige Parlamentarier saßen fest, bis die Polizei den Weg freigemacht hat.

    Am Telefon ist jetzt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok von der CDU. Ihnen einen guten Tag!

    Elmar Brok: Guten Tag, Herr Grieß.

    Grieß: Wie würden Sie die Situation in Bulgarien charakterisieren, als ernst oder sehr ernst?

    Brok: Ich würde es als ein gutes Zeichen sehen, dass doch große Teile der Bevölkerung einen Staat mit Rechtsstaatlichkeit und vor allen Dingen ohne Korruption erkämpfen wollen und dass so dauerhaft dafür demonstriert wird. Das zeigt, dass die Bürger in Bulgarien große Hoffnung auch auf die Europäische Union setzen, dass dort die Dinge endlich in Ordnung gebracht werden.

    Grieß: Sie haben die Hoffnungen angesprochen, die auf die Europäische Union gesetzt werden. Aber trotzdem sind es ja gemessen an der Bevölkerungszahl eigentlich nur kleine Gruppen in Bulgarien. Warum gehen nicht mehr Menschen auf die Straße?

    Brok: Ja nun, man darf das, glaube ich, nicht unterbewerten. Das geht ja jetzt schon seit Wochen, und über Wochen solche Demonstrationen am Leben zu halten, ist schon außergewöhnlich. Und ich glaube, dass die Parteien sich daran gewöhnen müssen, einen normalen demokratischen Prozess in Gang zu setzen. Die Opposition muss Opposition machen und die Regierung muss Regierung machen. Aber ob eine Regierung dunkle Geschäftsmänner zu Geheimdienstchefs machen müssen, um auf die Art und Weise vielleicht Korruption noch abzuschützen, Regeln nicht einzuhalten, das Recht nicht als Schutz, sondern als Instrument der Macht zu benutzen, dass man mit einer rechtsradikalen Partei zusammenarbeitet als Sozialisten, das scheint mir doch alles schon verwegen zu sein und ich glaube, dass von daher diese demokratischen Prozesse sehr viel stärker gefördert werden sollten, wobei die Rechtsstaatlichkeit, glaube ich, eine besondere Rolle spielen kann.

    Grieß: Lassen Sie uns kurz noch mal auf Bulgarien blicken. Sie haben ja Kontakt zu Ihren Kollegen aus Bulgarien, die mit Ihnen im Europaparlament sitzen. Was hören Sie dort, was ist Ihr Eindruck, warum wird Bulgarien, so wie es scheint, schlecht regiert?

    Brok: Ich glaube, dass in manchen der früheren kommunistischen Länder noch kein Bewusstsein ist für die wirklichen Abläufe von Rechtsstaatlichkeit, dass da noch die alte Vorstellung ist, dass Recht das Instrument der Mächtigen ist und nicht der Schutz des Gemeinwesens und der Einzelnen gegenüber den Mächtigen. Das ist, glaube ich, ein Punkt. Der andere Punkt ist, dass dort noch sehr viele Kampfesgemeinschaften aus alter Zeit bestehen, die jetzt sich Geschäfte zuschieben und von daher letztlich ihre Bevölkerung auspressen und keine wirkliche Entwicklung zulassen, was auch dazu führt, dass Rechtsunsicherheit besteht, sodass ausländische Investitionen nicht in ausreichendem Umfange dort hingehen. Und ich glaube, dass hier einfach Tradition durchbrochen werden muss, und ich hoffe, dass das nicht noch eine ganze Generation dauert.

    Grieß: Sie haben diese Traditionen, vielleicht auch diese unseligen Traditionen angesprochen. Aber gleichwohl: Es gibt auch andere postsozialistische Staaten, Polen etwa, das Baltikum. Dort verzeichnen wir keine Proteste, dort sind vielleicht die sozialen Ungleichheiten auch etwas geringer. Was also zeichnet Bulgarien hier aus?

    Brok, ElmarBrok: Wir müssen, glaube ich, Bulgarien und Rumänien sehen. Das sind ja schon Länder, die aus gutem Grunde später in die Europäische Union hineingekommen sind, weil sie nicht so weit waren wie andere, und offensichtlich spielen dort in der Region aus kulturellen Gründen oder welchen Gründen auch immer die alten Dinge eine größere Rolle, als dies in der Vergangenheit der Fall war und als das in anderen Ländern der Fall ist, und dass aus diesen Gründen heraus wir hier diese Besonderheiten sehen. Ich glaube, wir hätten bei den Verhandlungen mit diesen beiden Ländern sehr viel stärker darauf achten müssen, dass bestimmte Dinge der Rechtsstaatlichkeit eingeführt werden. Das ist, glaube ich, auch ein Fehler auf unserer Seite gewesen.

    Grieß: Wenn diese Fehler gemacht wurden, dann sind sie nun schon gemacht. Was bleibt denn nun noch als Option, als Rolle der Europäischen Union?

    Brok: Wir haben ja Kontrollmöglichkeiten, soweit es um die Einhaltung europäischen Rechts geht. Aber um die Einhaltung von Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit hat die Europäische Union ja auch hier eine Rolle, sich einzusetzen, und die Kommission ist als Hüterin der Verträge natürlich gezwungen, sich mit diesen Dingen zu beschäftigen. Und wir müssen auch in den politischen Familien darauf achten, dass unsere Parteifreunde dort sich in diese demokratischen Prozesse einüben. Deswegen wäre es beispielsweise sinnvoll, dass die Sozialdemokraten, deren europäischer Vorsitzender Stanischev Vorsitzender auch der bulgarischen Regierungspartei ist, dass dort entsprechend deutliche Worte gesprochen werden, um auf diese Art und Weise die Prozesse in die richtige Richtung zu bekommen.
    Grieß: Sie haben die Sozialisten angesprochen. Sprechen wir auch noch über die Konservativen. Die enthalten sich im Parlament der Mitarbeit, was dazu führt, dass die Regierungskoalition keine eigene Mehrheit hat. Es fehlt ihr eine Stimme zur Mehrheit und deswegen ist sie nun abhängig von einer rechtsextremen Splitterpartei. Wäre es nicht sinnvoll, die Konservativen, Ihre Parteifreunde in Bulgarien zur Mitarbeit anzuhalten?

    Brok: Unsere Mitgliedspartei hat den Sozialisten eine Kooperation angeboten, diese Kooperation ist abgelehnt worden, sodass die Sozialisten sich entscheiden müssen, ob sie mit unserer Partei eine Koalition bilden und nicht nur auf die Stimmen warten. Allerdings bin ich der Auffassung, dass man im Parlament Opposition betreiben soll und dass deswegen die Gegenposition zu dieser Regierung deutlich im Parlament zum Ausdruck gebracht werden muss. Das habe ich auch zum Ausdruck gebracht.

    Grieß: Herr Brok, sollten die Parteien, sollten die Akteure in Bulgarien dafür sorgen, dass mit den bestehenden Mehrheitsverhältnissen eine neue Regierung gebildet wird, oder sehen Sie Neuwahlen als einen Ausweg?

    Brok: Das Beste ist immer, dass man erst mal versucht, mit den demokratischen Parteien eine Regierung zu bilden, was Kompromissbereitschaft einschließt. Das ist ja auch eines der Probleme, dass "the Winner takes it all", also das Durchziehen von Mehrheiten gegen den anderen, immer noch eine große Rolle spielt und noch nicht das Gefühl für Kompromisse und demokratische Zusammenarbeit zwischen den Parteien, denen der großen Gegnerschaft besteht, sodass aus diesem Grunde, glaube ich, eine solche Einübung in demokratische Mehrheitsbildung, die Kompromisse einschließen, da voranschreiten muss. Deswegen sind Neuwahlen zur Beschleunigung eines solchen inneren Prozesses keine Lösung, sondern nur neue Konfrontation. Man sollte erst mal den anderen Weg versuchen.

    Grieß: Wie käme das nach Ihrer Einschätzung bei den Demonstranten an, wenn sich die vorhandenen bewährten oder eben auch in Teilen vielleicht nicht bewährten politischen Kräfte neu sortieren, es aber keine Neuwahlen gibt?

    Brok: Ja nun, dies ist ja ein Ergebnis einer Wahl, die erst im Frühjahr stattgefunden hat. Deswegen hat es ja die Mehrheit der Bevölkerung für diese jeweiligen Parteien gegeben. Die Auseinandersetzung hat ja begonnen, als die sozialistische Partei mit dieser rechtsradikalen Partei ging und diese Nominierung für wichtige Ämter vorgenommen hat. Ich glaube, dass da die sozialistische Partei von ihrem Ross runterkommen muss und auf die frühere Regierungspartei, die heutige Opposition, zugehen muss, um auf die Art und Weise eine vernünftige Regierung möglich zu machen.

    Grieß: Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok (CDU), heute Mittag hier im Deutschlandfunk. Danke schön, Herr Brok, für Ihre Zeit.

    Brok: Ich danke auch, Herr Grieß.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Proteste in Bulgarien
    Proteste in Bulgarien (picture alliance / dpa /EPA)