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Brücken bauen zwischen Klassik und Pop

André de Ridder ist ein Grenzgänger zwischen Klassik, Neuer Musik und Pop. Er ist Mitbegründer von Stargaze, einem Berliner Kollektiv von Musikern. Am Sonntag gibt es in der Berliner Volksbühne das erste Konzert.

Das Interview führte Florian Fricke | 18.05.2013
    Florian Fricke: André de Ridder, mein erstes Album war "News Of The World" von Queen. Ihr erstes Album war die fünfte Symphonie von Dimitri Schostakowitsch. Wie alt waren sie da?

    André de Ridder: Das war allerdings die erste Schallplatte, die mir geschenkt wurde, nicht die erste, die ich gekauft habe, da würden wir jetzt in ganz andere Bereiche noch mal vorstoßen. Ganz schwierig zu sagen, vielleicht acht Jahre alt war ich da. Genau.

    Fricke: Und da konnten Sie mit Schostakowitsch schon was anfangen?

    de Ridder: Ich fand das schon, das ist ja orchestral unglaublich mitreißend und geht richtig los. Und was ein Orchester machen kann, das kommt in einem solchen Werk unglaublich toll zur Geltung. Das hat mich schon von Anfang an fasziniert.

    Fricke: Welche Voraussetzungen muss ein Dirigent mitbringen?

    de Ridder: Abgesehen von den musikalischen Fähigkeiten, die vielleicht klarer sind: Er muss eine sehr starke Persönlichkeit mitbringen und Fähigkeiten zur Personenführung, logische Geschicklichkeit mit einer ganzen Menge von Leuten umzugehen, vor allem mit einer großen Menge von Musikern, die ja da vor einem ist in Form eines Orchesters, und in solch einer großen Menge verhalten sich Menschen immer anders. Das ist wie in der Schule mit einer Schulklasse. Da muss man schon großes Geschick zeigen.

    Fricke: Gibt es auch Beispiele in ihrer Karriere, wo Sie auch eine gewisse Feindseligkeit sofort gespürt haben, weil sich das Orchester mit Werken beschäftigen musste, wo es sich vielleicht eher gesträubt hat?

    de Ridder: Absolut. Das ist teilweise auch zugegebenermaßen undankbare Musik, und es ist sehr viel Arbeit für meistens nur eine Aufführung. Damit sind wir auch schon beim Problem der Aufführung Neuer Musik, und man muss sich damit sehr, sehr beschäftigen, auch mit den verschiedenen Spieltechniken. Das sind oft Spieltechniken, die die Musiker nicht in ihrem Studium gelernt haben, und die auch nicht unbedingt bedeuten, dass das, was sie auf ihren Instrumenten spielen, schön klingt. Und das ist immer noch das, auf das wir trainiert werden im Instrumentalunterricht und den offiziellen Institutionen. Und ja, das widerstrebt sehr vielen Musikern, ich würde sagen, den meisten. Es gibt zwar die Spezialensembles Neuer Musik, und die leben das natürlich komplett. Die suchen immer nur nach neuen Techniken und neuen Klängen und interessanten neuen Stücken. Und das ist dann was ganz anderes, aber es ist ja auch wichtig, die neue Orchestermusik aufzuführen.

    Fricke: Sie haben jetzt schon mit sehr großen aus dem Popbereich zusammengearbeitet, die eben auch Grenzgänger sind oder so einen ganzheitlichen Musikansatz verfolgen: Damon Albarn, Herbert. Haben diese Musiker irgendwas gemeinsam?

    de Ridder: Zwei Dinge haben sie gemeinsam: Einmal eine unendliche Offenheit für musikalische Genres, Strömungen, Klänge, von denen sie sich inspirieren lassen. Und eine Inspiration für die Musik, die da draußen überall ist, und Respekt für die Musiker, die das herstellen, verschiedener Kulturen oder auch klassische Musik jeglicher Art. Und dann ein unglaubliches Hinhören und Arbeiten mit ihrer eigenen Musik. Da wird an einem Track, wird da wochenlang gearbeitet, erst mal an der Komposition und das immer wieder weiterentwickelt.

    Die Metamorphosen, die so eine Skizze, die jetzt vielleicht nur in einem Demo vorliegt, erfährt, ist wirklich unglaublich. Ist zu vergleichen mit dem, wie man sich Beethovens Skizzenbuch anguckt für Symphonien und was für Metamorphosen einzelne Motive da durchgehen. Das ist bei diesen Leuten ganz, ganz ähnlich und dann, wenn die Produktion beginnt, produktionstechnisch die Aufnahme und dann die Nachbearbeitung: Das ist wiederum ein Prozess, wo die Leute sich zerreißen und nächtelang im Studio verbringen, um wirklich das Klangresultat, wie sie es sich vorstellen, dann wirklich auf dem Album herzustellen.

    Fricke: Sie sind Mitbegründer des Ensembles Stargaze. Was ist so die Grundidee von Stargaze, und wo sehen sie die Lücken, die Sie füllen wollen?

    de Ridder: Die Grundidee von Stargaze ist, dass es eben nicht ein reines Musikerensemble ist und auch kein festes Musikerensemble, sondern eher so eine Art Label, Think Tank, ein Kollektiv von Menschen, die im weitesten Sinne des Wortes im Musikbereich arbeiten, Musik denken, lieben. Zumeist Musiker, die klassisch ausgebildet sind auf ihren Instrumenten, aber eben auch mit Rock, Electronica, Folk, Indierock aufgewachsen, aber gleichzeitig auch an zeitgenössischer klassischer Musik sehr stark dran sind und diese Welten irgendwie überbrücken wollen und vielleicht auch Spieltechniken und Klänge aus der Neuen Musik mit einbinden bei der Entwicklung von Songs und elektronischer Musik.

    Und ich denke, in Berlin ist auch unbedingt ein Publikum dafür da und ist auch eine Musikerszene schon da. Aber wir möchten dran arbeiten, das ein bisschen zu organisieren und auch Veranstaltungsreihen zu entwerfen zusammen mit Institutionen wie jetzt der Musikbühne der Volksbühne, die so ein geschultes Publikum schon haben. Und auch vielleicht im Bereich der Hochkultur eine Anerkennung zu schaffen für diese Projekte, um sie eben auch entsprechend fördern und unterstützen zu lassen. Weil das sind nun mal aufwendigere Projekte mit Ensembles, die bezahlt werden müssen.

    Fricke: Im Corsogespräch heute André de Ridder, Dirigent, Grenzgänger zwischen Klassik, Neuer Musik und Pop. Stargaze wird jetzt eine Reihe in der Volksbühne kuratieren. Das erste Konzert findet diesen Sonntag statt mit The Magnetic North aus Schottland. Was wird den Zuschauer da erwarten?

    de Ridder: Dieses Projekt ist eigentlich ein neues Projekt mit bekannten Musikern. Zum Beispiel der Simon Tong, der früher bei The Verve gespielt hat und bei The Good, the Bad and the Queen. Ich habe ihn aber eben durch Damon Albarn kennengelernt. Der andere Musiker ist der Sänger Erland Cooper, mit dem Simon Tong vorher eine andere Band hatte: Erland and the Carnival. Erland Cooper stammt von der Insel Orkney. Der Legende nach ist ihm im Traum eine Figur, eine Legendenfigur, dieses junge Mädchen Betty Corrigall, erschienen und hat ihm gesagt: "Du musst das Album machen über deine Heimatinsel."

    Und dann sind sie tatsächlich auch nach Orkney gefahren, haben sich inspirieren lassen von der Geschichte der Insel und auch so gewissen Folkeinflüssen. Wobei das sehr subtil ist, das ist jetzt keine Folkplatte geworden. Das ist eigentlich eine wunderschöne Popplatte geworden mit interessantem Songwriting, eigentlich wie ein Liedzyklus. Ja, und das bringen wir jetzt am Sonntag zum ersten Mal eigentlich in dieser ausladenderen Form mit allen Musikern, mit einem Ensemble von Streichern und Bläsern und auch einem Chor, einem Berliner Chor, Cantus Domus, auf die Bühne.

    Fricke: André de Ridder, glauben Sie, dass wir vor einer Wachablösung stehen? Die Hörer und Besucher klassischer Konzerte, die stehen ja wirklich vor dem Aussterben – ich will jetzt nicht dramatisieren, aber die Tendenz ist da. Kann die klassische Musik nur überleben, wenn sich der Betrieb öffnet, so wie sie es tun?

    de Ridder: Also der Betrieb muss sich auf jeden Fall öffnen. Was das jetzt bedeutet musikalisch, das ist noch mal eine andere Frage. Ich bin jetzt zum Beispiel nicht ein Fan von Klassik im Klub. Ich finde, es gibt fantastische Konzertsäle, und es ist die Frage, ob die Leute, die diese Konzertsäle regieren und leiten, ob die auch zulassen, dass Leute aus anderen musikalischen Bereichen in die Konzertsäle kommen. Ich sehe das ganz viel, dass das in Deutschland der Fall ist. Zum Beispiel die Kölner Philharmonie macht ein ganz tolles Programm, kollaboriert mit der c/o Pop, der großen Popmesse in Köln. Es ist in anderen Konzertsälen schon der Fall. Ich würde vielleicht sagen, in Berlin finde ich es ein bisschen schwierig. Also wenn ich mir angucke die Berliner Philharmonie, einer der tollsten Konzertsäle: Früher war das Jazzfest da, ist aber auch nicht mehr der Fall.

    Fricke: Stirbt auch aus.

    de Ridder: Stirbt auch aus, leider. Aber da sehe ich nicht, dass solche Aktionen passieren. Konzerthaus bin ich mir nicht ganz sicher, aber ist mir auch nicht bewusst, dass das passiert. Es ist der Admiralspalast, die Volksbühne. Ich glaube, da muss noch was passieren, auch in den Köpfen. Vielleicht können wir das beschleunigen. Und meine Erfahrung ist, bei vielen diesen Projekten, wo überhaupt das Publikum ein Orchester das erste Mal live hört, dass die aus dem Konzertsaal komme und sich ihr Leben geändert hat.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.