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Brückenkopf der Ameisen-Invasion

Biologie. - Ameisen sind nützliche Tiere – jedenfalls, solange sie in ihrer ''Heimat'' bleiben, in dem Ökosystem, aus dem sie stammen. Werden sie jedoch zufällig in ein fremdes Gebiet verschleppt, offenbaren gerade diese staatenbildenden Insekten ein verheerendes Schadenspotential. Einer dieser Schädlinge ist die Argentinische Ameise. Immer im Schlepptau des Menschen hat sie nach und nach von Südamerika ausgehend Nordamerika, vor allem Kalifornien, Afrika und Australien und nun auch Europa erobert. Hier kam sie 1920 mit Pflanzenimporten an und hat sich inzwischen im Mittelmeerraum zur Plage entwickelt. Die südeuropäische Kolonie der Argentinischen Ameisen gilt derzeit als die größte in der Welt – und sie hat damit eine andere Kolonie in Kalifornien als Spitzenreiter abgelöst. Nur – wie will man dieser Tiere Herr werden ?

29.04.2003
    Von Dagmar Röhrlich

    Die europäische Superkolonie der Argentinischen Ameisen erstreckt sich über mehr als 6000 Kilometer: von Genua das Mittelmeer entlang bis zur portugiesischen Atlantikküste. Zu ihr gehören Milliarden von Tieren in Millionen von Nestern. Es scheint unvorstellbar. Dieser Siegeszug gelang den Insekten, weil sie in dem fremden Lebensraum ihr Verhalten ändern: Statt gegeneinander zu kämpfen, arbeiten sie zusammen. Eine erfolgreiche Strategie. Was dahinter steckt und warum sie so reagieren, erklärt Rüdiger Wittenberg von CAB International, einem Umweltforschungsinstitut im schweizerischen Délémont:

    Diese argentinischen Ameisen, die sind sehr nah verwandt miteinander, und die einzelnen Kolonien bekämpfen sich deswegen nicht. Durch diesen Umstand sind die Kolonien hier sehr viel näher beieinander. Wenn man jetzt nach Argentinien geht und sich dort die Kolonien ansieht, die sind weiter auseinander, weil eben die einzelnen Kolonien sich bekämpfen. Sie erkennen sich am Geruch: "Aha, das ist eine fremde Ameisen", und dann bekämpfen sie sich.

    In ihrer Heimat könnte es also keine Superkolonie geben. Die Tiere hätten sich längst in verschiedene "Familien"" aufgeteilt, aber genau das passiert im "Neuland" nicht, denn alle Mitglieder teilen weiterhin eine Duftmarke. Grundsätzlich ist das möglich, weil bei Argentinischen Ameisen ein Volk mehrere Königinnen hervorbringt und sich auf verschiedene Standorte aufteilen kann, ohne die Familienbande zu zerreißen. Die Folgen sind bemerkenswert: Forscher haben Argentinische Ameisen aus Italien einige Meter von spanischen Nestern entfernt ausgesetzt – und die Tiere akzeptierten einander. In ihrer südamerikanischen Heimat wären sofort tödliche Kämpfe entbrannt. Dass dieses Regulativ in Europa fehlt, hat schlimme Folgen.

    Da diese Dichten so stark erhöht sind, also nicht mehr natürlich sind, gibt es zum Einen, dass sie einheimische Insekten fressen, aber eben auch Konkurrenz mit einheimischen Ameisen direkt haben, und damit die Ameisen, die einheimischen Ameisen vertreiben.

    Die spanische Superkolonie hat bereits 90 Prozent aller anderen Ameisenarten verdrängt. Gegenwehr scheint zwecklos. Eine ähnliche Erfahrung haben die Forscher bereits mit einer anderen Ameisenart gemacht, der Roten Feuerameise, oder Solenopsis invicta, die Unbesiegbare. Auch sie stammt aus Südamerika und ihr Auftauchen in Australien und in den südlichen USA war verheerend. Die Rote Feuerameise überwältigt bodennistende Vogel, Eidechsen, selbst Schildkröten. Fatalerweise passt sie sich anscheinend sogar an das kältere Klima an. Bislang starben die Feuerameisen bei Minustemperaturen – aber neuerdings vertragen einige Staaten den Winter zunehmend besser. Was man auch immer gegen sie unternommen hat, es war ein Fehlschlag. Jetzt hofft man auf einen natürlichen Feind der Feuerameisen:

    In Südamerika gibt es eine Fliegenart, die ihrer Eier in die Ameisen hineinlegen, die sitzen an den Straßen der Ameisen und springen da auf die Ameisen rauf und legen ein Ei in die Ameise hinein. Die Ameisen sind wohl offensichtlich sehr irritiert, wenn sie die Fliege schon sehen, so dass sie sich nicht normal verhalten, nicht aus dem Bau herauskommen. Und da kann man wahrscheinlich auch das Verhalten manipulieren. Aber wieweit das jetzt erfolgreich sein wird, muss man sehen.

    Laborversuche, bei denen man das Sozialverhalten der Feuerameisen gezielt stören will, laufen. Aber die Wissenschaftler sind sehr skeptisch, ob diese Strategie ausreicht. Bei der Argentinischen Ameise hegen die Entomologen noch die Hoffnung, dass der Erfolg der Superkolonie langfristig ihr Ende bedeutet. Je größer die Kolonie wächst, desto geringer wird die Verwandtschaft zwischen den Königinnen – und vielleicht bekämpfen sich die Völker dann irgendwann gegenseitig. Erste Anzeichen gibt es. In Katalonien gibt es eine noch kleine Kolonie, die alle Tiere aus der Superkolonie bekämpft.