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Brüderle: Ablehnung des EU-Hilfspakets führt zu Staatsbankrott

Rainer Brüderle bezeichnet die geplante Volksabstimmung Griechenlands zum EU-Hilfspaket als "merkwürdig". Bei einer Ablehnung müssten sich die anderen EU-Länder schützen und Griechenland "sehen, mit welchen Wegen es aus der Misere kommt", so der FDP-Fraktionschef im Bundestag.

Rainer Brüderle im Gespräch mit Bettina Klein | 01.11.2011
    Bettina Klein: Am Telefon begrüße ich Rainer Brüderle, der Vorsitzende der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag. Guten Morgen!

    Rainer Brüderle: Guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: Herr Brüderle, die Nachrichtenlage ist ja noch etwas dürftig, aber als Sie die Meldung hörten, waren auch Sie fassungslos?

    Brüderle: Ich war jedenfalls etwas irritiert, denn es ist ja ein merkwürdiges Vorgehen: Da verhandelt der Ministerpräsident mit den europäischen Partnerländern über ein Rettungspaket zugunsten seines Landes. Die anderen Länder bringen erhebliche Opfer für diese griechische Misswirtschaft – über Jahrzehnte ist das Land ja schlecht regiert worden und Fehlentscheidungen getroffen und sich in diese Krise hineinmanövriert. Das klingt danach, dass man irgendwie sich da raus winden will aus dem, was man selbst verhandelt hat. Ein merkwürdiges Vorgehen, aber man kann dann praktisch nur eins machen, dass man vorsorglich die Schutzeinrichtungen, wenn es zum Staatsbankrott in Griechenland kommt – denn wenn sie die Auflagen nicht erfüllen, jedenfalls so, wie sie im Kern vereinbart sind, dann ist auch der Punkt gekommen, wo es dann kein Geld mehr gibt, aus meinem Verständnis heraus, dann haben sie ihren Staatsbankrott. Und dann muss man jedenfalls die Ansteckungsgefahr, die für das europäische Bankensystem daraus entstehen könnte, begegnen können. Dies ist jetzt verstärkt anzupacken, zu sehen, ob das ernst gemeint ist, indem man nur das Volk fragen will, ob man Tricks sucht, um die Koalition zu mindern, die …

    Klein: Ja, Herr Brüderle, die Begeisterung bei den Griechen hielt sich ja doch in Grenzen, zumindest im Volk, was die Beschlüsse angeht. Man kann natürlich jetzt auch andersrum sagen: Aus Demokratie-Gesichtspunkten ist das eigentlich zu begrüßen, denn wenn das sozusagen vom Referendum abgesegnet wäre, dann hat die Regierung auch ein klares Mandat, zu handeln.

    Brüderle: Das kann man so sehen, ist völlig klar, so kann man es auch gut begründen, aber umgekehrt, das Demokratie-Mitwirkungsprinzip bedeutet auch nicht so, dass man unbegrenzten Zugriff in die Staatshaushalte, Steuergelder anderer Länder hat. Das kann man ja auf seinen heiklen Entscheidungsraum nur beziehen. Dann ist es eben so, dass Griechenland nicht mitmacht, die Bedingungen nicht erfüllt, dann haben wir die Situation des Staatsbankrotts, dann müssen die anderen Länder sich schützen, und Griechenland muss sehen, mit welchen Wegen es aus der Misere herauskommt, ob sie im Euro bleiben können, ob sie austreten, was sie dabei machen. Das ist die Konsequenz auch der demokratischen Entscheidung Griechenlands dann, die auch demokratisch zu tragen ist.

    Klein: Ja, also Sie sprechen da über das mögliche Szenario, das in diesem Referendum, von dem wir noch nicht ganz genau wissen, ob es denn wirklich stattfinden wird, wenn die Griechen da nein sagen. Sie haben schon angedeutet, was dann. Gibt es da noch Spielraum für die Europäische Union? Was ist dann zu tun?

    Brüderle: Ich glaube, dass es kaum noch großen Spielraum gibt, ja, ich denke, in Kleinigkeiten. Aber im Kern kann es nicht so sein. Die Ursache der griechischen Misere ist, dass das Land nicht wettbewerbsfähig ist, es über Jahre keine Strukturreform durchgeführt hat, dass sie keine anständige Steuerverwaltung haben, dass sie kein Grundstückswesen haben, das den Namen dabei verdient. Und jetzt kommt Europa und hilft großzügig in Solidarität, und wenn man also die Ursachen nicht bekämpft, sondern sagt, wir wollen weiterhin euer Geld haben, aber wir machen nichts, was als Konsequenz anzupacken ist, dann kann das keine Basis von unbegrenzt weiteren Hilfsmaßnahmen sein. Dann ist es so, dann geht Griechenland einen anderen Weg.

    Klein: Wir haben es auch gerade gehört: Offenbar werden auch im Finanzministerium wieder viele Szenarien auch durchgespielt werden müssen, wird dann auch das offenbar schon durchgespielt. Was ist vonseiten der deutschen Regierung dann erforderlich?

    Brüderle: Also was die jetzt konkret machen, weiß ich nicht, ich bin da nicht beteiligt. Aber auf jeden Fall muss die Regierung immer auch Pläne B und C haben. Man muss, wenn ein Land diesen Weg so geht, jedenfalls mal angekündigt, muss man auch durchdenken, aber nicht nur die deutsche Regierung, die europäische Kommission, die europäischen Partnerländer, welche Konsequenz das hat, wenn Griechenland nein sagt zur Bekämpfung seiner Strukturschwächen, zur Anpassung in der Wettbewerbsfrage zum Formprozess, dann wird das meines Erachtens zu einem Staatsbankrott kommen, auf den muss man dann vorbereitet sein. Natürlich muss man auch Plan B und C haben. Aber besser ist, mit den Griechen eine vernünftige Regelung umzusetzen, und bisher war die griechische Regierung ja durchaus mutig, hat ja mutige Beschlüsse gefasst dabei. Möglicherweise findet sie auch Zustimmung für ihre Entscheidung, aber das ist jetzt wirklich – Griechenland ist ein souveräner Staat – Entscheidung Griechenlands, das müssen sie entscheiden, sie müssen allerdings auch zu den Konsequenzen ihrer Entscheidung stehen, das gehört auch zur Demokratie.

    Klein: Wir müssen das abwarten. Vielen Dank zunächst für die Einschätzung dazu. Kommen wir zu einem Thema, das gestern die deutsche Innenpolitik sehr beschäftigt hat: Die CDU, die Kanzlerin, Minister, wollen Lohnuntergrenzen in Deutschland einführen – das ist nicht das ganz gleiche wie Mindestlohn, der im Koalitionsvertrag ausgeschlossen worden ist 2009 –, war das jetzt eigentlich mit Ihnen als FDP abgesprochen, dieser Vorstoß?

    Brüderle: Also zunächst mal: Parteien sind eigenständig, auch wenn sie Koalition haben. Das Recht nimmt auch die FDP sich in Anspruch, dass wir eigenständig in unseren Parteigremien diskutieren, was wir für diskussionswürdig halten, so tut es die Union, das hat jetzt direkt mit Regierungshandeln nichts zu tun. Übrigens haben wir ja nicht so eine Regelung getroffen, dass es überhaupt keine Mindestlöhne gibt. In vielen Bereichen gibt es branchenbezogene Mindestlöhne, ja? Vor Kurzem ist in dem Pflegebereich ein Mindestlohn vereinbart worden, den die Tarifvertragsparteien erarbeitet haben, branchenbezogen, der dann für allgemeinverbindlich erklärt wurde. So ist es nicht, es geht darum: Soll man quasi branchenübergreifend, einheitlich über alles einen gesetzlichen Mindestlohn festlegen? Und da war die übereinstimmende Auffassung bei der Formulierung des Koalitionsvertrags, dass will man nicht. Aber dass die Union im Kern so etwas diskutiert, auch im Wettbewerb zur anderen Massenpartei, der SPD, ist ihr legitimes Recht. Aber damit ist noch kein Regierungshandeln.

    Klein: Und wir hören mal kurz rein, was im Koalitionsvertrag 2009 drinsteht.

    CDU/CSU und FDP bekennen sich zur Tarifautonomie. Einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn lehnen wir ab. Die bestehenden gesetzlichen Regelungen zum Mindestlohn werden bis Oktober 2011 evaluiert. Dabei kommt es uns darauf an, diese daraufhin zu überprüfen, ob sie Arbeitsplätze gefährden oder neuen Beschäftigungsverhältnissen entgegenstehen.

    Klein: Die Regelungen werden bis Oktober 2011 evaluiert – wir haben jetzt Oktober 2011 gehabt, bis gestern, und die Prüfung hat ja ergeben, dass offensichtlich diese Regelungen nicht dazu führen würden, dass Arbeitsplätze verloren gehen. Also was hält die FDP noch davon ab, da zuzustimmen?

    Brüderle: Frau Klein, da wissen Sie mehr als die Regierung, denn bisher liegt der Bericht nicht vor, der ist verschoben worden auf November, der ist innerhalb der Regierung im Abstimmungsprozess …

    Klein: Aber die Regierung bezieht sich schon darauf - auf Inhalte dieses Berichtes.

    Brüderle: Der ist nicht vorliegend, der wird abgestimmt zwischen verschiedenen Ressorts, und das ist noch nicht abgeschlossen, und wird unter anderem auch abgestimmt zwischen dem Wirtschaftsressort und dem Arbeitsministerium. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Dass irgendwas wieder durch Indiskretion raus gespielt wird, je nach Interessenslage, ist leider politische Realität, aber deswegen ist er noch nicht abgeschlossen. Wenn er abgeschlossen ist und vorliegt, dann muss man sehen, was die Schlussfolgerungen sind: A, hat er was gebracht? B, war er schädlich? Das wäre der entscheidende Punkt für Arbeitsplätze. Ich glaube ohnehin, wenn man es ganz nüchtern, ökonomisch betrachtet, dass hier ein Stellenwert in die Diskussion reingebracht wird, die ja politisch hochgezogen ist, der von der Ökonomie gar nicht gegeben ist. Deutschland hat eine sehr schlechte Demografie, wir sind ein Land, das leider überaltert ist. Wir haben viel zu wenig Menschen. Wir haben einen Mangel in vielen Sektoren an Fachkräften, auch an einfacher Beschäftigung. Es wird sich da allen von der Arbeitsmarktsituation weiterhin eine positive Entwicklung ergeben. Insofern glaube ich, dass die Probleme weit weniger brisant sind, als sie diskutiert werden. Das Zweite ist, man hat sich entschieden, eine Kombination zu machen. Dort, wo Mindestlöhne niedrig sind und nicht hinreichend sind zum Leben, gibt es eben einen Sozialtransfer, Stichwort Kombilöhne, Hartz VI, die Aufstocker, denen man sagt: Wenn du am Arbeitsmarkt zu wenig verdienen kannst, dann geben wir dir von der Gemeinschaft etwas zu, weil es besser ist, Arbeit zu haben, selbst wenn sie nicht deinen notwendigen Bedarf für Lebensunterhalt voll deckt, als gar keine Arbeit zu haben, und der Ausgleich, damit du vernünftig leben kannst, geben wir dir über Sozialtransfer. Das ist ja die Politik, und solange sie nicht missbräuchlich werden, den Drehtüreffekt – Stichwort Schlecker damals und andere, was beseitigt wurde – ist es meines Erachtens das überlegene Modell. Ja, das kann ja sehr wohl sein, größerer Umfang, befürchtet auch der Arbeitgeber, dass dann in bestimmten Sektoren, wo sie die Kehrmaschine sehr schnell einsetzen können, statt eine Reinigungskraft zu nehmen, Arbeitsplätze wegfallen, gerade für geringqualifizierte, deshalb soll man das schon ökonomisch vernünftig abwägen, …

    Klein: Ja, Herr Brüderle, um mal kurz da ein Semikolon zu setzen: Die Kanzlerin operiert schon auch mit dem Begriff Würde der Arbeit, die sie eben nicht mehr gegeben sieht, wenn Arbeitskräfte von unter drei oder fünf Euro pro Stunde arbeiten müssen. Weshalb ist das für Sie nicht relevant?

    Brüderle: Natürlich die Würde der Arbeit. Aber die Würde der Arbeit habe ich auch, wenn mein Einkommen sich so darstellt, dass ich 80 Prozent aus der Arbeit direkt habe, 20 Prozent zahlt der Sozialtransfer – aber ich habe wenigstens Arbeit. Übrigens, diese Extremlöhne sind meines Erachtens auch sittenwidrig. Da gibt es auch rechtliche Regelungen dabei. Meines Erachtens ist es ein Thema, das aus Emotionalität ja politisch sehr hochgesetzt wird. Ökonomisch kommt es drauf an, dass man den Menschen hilft, dass sie Arbeit haben, und dass sie unterm Strich aus der Kombination Sozialtransfer plus Arbeitsentgelt auch vernünftig leben können. Aber es wird momentan auch anders diskutiert, das ist so in der Politik, und damit muss man fertig werden.

    Klein: Ja, also die Betroffenen werden es möglicherweise nicht als emotional hochgezogen betrachten, sondern sich durchaus auch betroffen fühlen, und hoffen ja auch auf diese Regelung. Noch mal abschließend gefragt: Wie weit geht die FDP da mit, oder warten Sie jetzt einfach den CDU-Parteitag in 14 Tagen ab und schauen, was da passiert?

    Brüderle: Nein, wir entscheiden hier nicht nach Parteitag in der Regierung. Wir haben einen Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode, der gilt. Ich habe gar keinen Zweifel, dass die Union vertragstreu ist. Wenn es neue, originelle Ideen gibt über Tarifvertragsparteien neue Wege zu gehen, dann kann man immer drüber diskutieren. Wir sind immer offen für Diskussionsprozess, aber ich halte den Weg, wie er jetzt diskutiert wird, nicht für eine Überlegung.

    Klein: Rainer Brüderle, der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion. Ich danke für das Gespräch, Herr Brüderle!

    Brüderle: Danke Ihnen!


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