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Brünnhilde in der Comedy-Falle

An der Münchner Staatsoper setzt Andreas Kriegenburg dem Operngiganten Wagner Inszenierungs-Minimalismus entgegen. Es muss nicht gedacht, es darf geschaut werden. Auch wenn die aufgekratzten Märchenbilder oft bloßes Zierwerk sind, musikalisch bleiben in München keine Wünsche offen.

Von Jörn Florian Fuchs | 28.05.2012
    Öfters muss man sich an diesem Abend vergewissern, dass das hier tatsächlich nicht die Probebühne der Bayreuther Festspiele ist, wo seit ein paar Jahren Wagner für Kinder geboten wird. Ein allerliebstes Waldvöglein wird von einer hübschen jungen Dame am Stecken geführt, man sieht ein Sonnenblumenfeld, dazu einen Himmel voller Schäfchenwolken, die von fleißigen Helferlein in die Höhe gehalten werden – all das und noch sehr viel mehr gibt es in Andreas Kriegenburgs jüngstem Münchner Wagner-Streich zu bestaunen. Am Anfang wogt ein menschlicher Wald, in dem die ziemlich blutige Geburt Siegfrieds gezeigt wird, während der schon erwachsene Held dumm daneben steht, etwas später schmiedet er sein Schwert auf ganz eigene Art: die gesamte Bühne ist bevölkert mit unzähligem Humanmobiliar, das einen gigantischen Blasebalg bedient, wild herum hopst oder dieses und jenes tut. Riesige Wurmwesen stolpern auch noch durch die Gegend. Aufgekratzte Märchenbilder sind das, manchmal erweitern sie die Handlung durchaus sinnvoll und sinnlich, häufig jedoch bleiben sie bloßes Zierwerk.

    Ganz unmärchenhaft bedrohen sich bald die ungleichen Kontrahenten Alberich und Wanderer mit recht heutigen Schießprügeln, der Drache Fafner ist wiederum eine fliegende Menschenskulptur mit Reißzähnen und auch bei Siegfried und Brünnhildes großer Liebesszene wuselt ständig irgendwer herum, es leuchtet hier und raschelt dort. Kriegenburgs schon bei Rheingold und Walküre kräftig eingesetztes Bewegungsensemble spielt im Siegfried zweifellos die Hauptrolle, was man den virtuos umher turnenden Massen auch gerne gönnt, nur handelt es sich bei Wagners Oper eigentlich nicht um ein – fünfstündiges – Sportstück. Dazu kommen weitere Probleme. Wenn man verschwitzten Protagonisten zur Erfrischung eine Wasserflasche reicht, ist das jetzt ein oberflächlicher Scherz oder geht es um die Vermischung unterschiedlicher Ebenen? Dass alle hier bloß Theater spielen, wird immer mal so nebenbei, aber letztlich inkonsequent thematisiert. Seltsam ist auch Kriegenburgs Umgang mit Humor und Ironie. Beim Finale bekommt Siegfried derart Panik vor seiner Entjungferung, dass er buchstäblich aus dem Himmelbett fällt, sich hinter Kopfkissen und Plumeau versteckt. Dies hat schon Charme, passt aber kaum zum ernsten und düsteren Geschehen vorher. In vielen seiner Schauspielinszenierungen arbeitete der Regisseur an einer fast kindlich naiven Wiederverzauberung der Welt, die auf luzide Weise doch unsere reale, brutale Gegenwart widerspiegelte. Solch ein Konzept liegt vermutlich auch dem Ring zugrunde, doch merkt man auf der Bühne nur in Ansätzen etwas davon. Immerhin ist die technische und akrobatische Umsetzung von Kriegenburgs Bildideen auf überwältigende Weise gelungen und vielleicht gibt die Götterdämmerung dem brüchigen Ganzen ja doch noch eine etwas festere Sinn-Struktur.

    Musikalisch bleiben in München wieder einmal keinerlei Wünsche offen. Lance Ryan stemmt die Titelpartie mit leicht metallischem, dennoch geschmeidigem Melos, Catherine Naglestads Rollendebüt als Brünnhilde ist fulminant, Wolfgang Ablinger-Sperrhackes Mime überzeugt ebenso wie der Alberich von Wolfgang Koch oder Anna Virovlanskys Waldvogel. Kent Naganos Dirigat wurde nach einem sehr zähen, dickflüssigen Kopfakt eleganter, dynamischer und gegen Ende wirklich virtuos.