Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Brüssel
EU geschwächt vor Mega-Herausforderungen

Nach dem Brexit-Referendum und dem Rückzieher bei der CETA-Ratifizierung steht EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schwächer da denn je. Wie will er da im möglichen Brexit-Verhandlungspoker ernst genommen werden?

Von Ralph Sina | 07.07.2016
    EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker während einer Sitzung des Europaparlaments.
    EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker während einer Sitzung des Europaparlaments. (AFP/ Patrick Hertzog)
    Stabil ist fast nichts mehr in den EU-Institutionen. Selbst der Stuhl von Martin Schulz wackelte gestern. Im Presseraum des Straßburger EU-Parlamentes. Sein Stuhl sei kaputt, er brauche einen neuen, so der Parlamentspräsident. Und fragil sei auch der Zustand der EU.
    "Die Europäische Union geht sicher in den nächsten sechs Monaten durch…"
    Ja, und da fehlten selbst dem höchst eloquenten Martin Schulz zunächst die passenden Worte, um die nähere Zukunft der EU zu beschreiben.
    "Sehr diskussionsfreudige, teilweise sehr kontroverse und sicher auch sehr schwierige Prozesse" stünden der Union bevor, da ist sich Martin Schulz sicher. Kurz zuvor hatte in Straßburg bereits der zurückgetretene UKIP-Vorsitzende und Brexit-Propagandist Farage bereits die nächsten EU-Dramen lustvoll herbeibeschworen.
    "Am zweiten Oktober, da stimmen die Ungarn per Referendum über die Flüchtlingsquote ab, und die Österreicher wiederholen ihre Bundespräsidentenwahl."
    Der Anti-EU-Trend sei in den Meinungsumfragen nicht zu stoppen, frohlockte Rechtspopulist Farage. Ob in Dänemark, in den Niederlanden oder in der Tschechischen Republik, überall lägen die Befürworter des Austritts vorn.
    "Sogar in Italien."
    EU-Institutionen vor großen Herausforderungen
    Nichts bleibt mehr, wie es war in der EU nach dem Brexit-Referendum der Briten: In dieser Diagnose sind sich Europagegner und -befürworter in Brüssel einig. So sahen sich Kommissionspräsident Juncker und seine Handelskommissarin Malmström nach der Brexit-Entscheidung der Briten und nach Merkels Signal "ohne den Bundestag läuft nichts" gezwungen, entgegen ihrer Überzeugung das CETA-Freihandelsabkommen der EU mit Kanada zum gemischten und damit national mitbestimmungspflichtigen Handelsvertrag umzudeklarieren.
    Wenn die EU-Kommission politisch aber nicht einmal mehr in der Lage ist, einen Freihandelsvertrag mit Kanada auf einen aussichtsreichen Ratifizierungsweg zu bringen, wie will sie dann einen Vertrag für die nach Brexit-Phase mit London aushandeln?
    "Wann passiert jetzt, nachdem da eine Mehrheit von Bürgerinnen und Bürgern Großbritanniens für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt hat?" fragt sich auch EU-Parlamentspräsident Schulz. Die Gefahr ist groß, dass das, was die EU-Institutionen in Brüssel in Zukunft mit Großbritannien aushandeln, anschließend in den nationalen Parlamenten scheitert.
    Nur Brexit-Propagandist Farage sieht das gelassen. Deutsche Auto- und französische Champagnerproduzenten würden im Wahljahr 2017 schon für ausreichend Druck in Paris und Berlin sorgen, damit zügig ein vernünftiger Vertrag mit dem wichtigen Exportkunden Großbritannien zustandekomme, so Nigel Farage in Straßburg. Und selbst wenn nicht: Alles sei für Großbritannien besser als eine weitere Mitgliedschaft in der Europäischen Union.