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Brüssel und der Brexit
Wie die EU mit dem Austritt Großbritanniens umgehen will

Es ist ein Tag, den die Brexit-Befürworter herbeigesehnt haben: Heute beginnt die Trennung zwischen Brüssel und London. Für beide Seiten stehen in den anstehenden Verhandlungen schwierige Zeiten an. Es geht um Geld, Aufenthaltsbestimmungen und wachsenden Populismus.

Von Jörg Münchenberg | 29.03.2017
    Ein englisches Einbahnstraße-Schild, im Hintergrund sind die Europaflagge und ein Union-Jack zu sehen.
    Der Union-Jack und die Europaflagge zusammen: Am Mittwoch, den 29.03.2017 beginnt ihre Trennung. (picture alliance / Yui Mok/PA Wire/dpa)
    Geschlossenheit – das ist das oberste Ziel, wenn es ab heute ernst wird mit den Scheidungsgesprächen zwischen der EU und Großbritannien. Denn die Sorge ist wohl nicht unberechtigt, dass es London darauf anlegen könnte, die EU der 27 zu spalten. Etwa wenn es um das Aufenthaltsrecht von Polen in Großbritannien geht. Aber auch für Großbritannien steht viel auf dem Spiel, politisch wie wirtschaftlich. Nicht umsonst erinnerte zitierte deshalb der Chefunterhändler der EU-Kommission, Michel Barnier, kürzlich bei einem Auftritt den großen britischen Staatsmann Winston Churchill:
    "Der Preis der Größe heißt Verantwortung. Das gilt für Großbritannien genauso wie für uns."
    Aber für die Union geht auch um ein starkes politisches Signal. Zwar gab es zuletzt einige Erfolge im Kampf gegen Populisten, etwa bei den Wahlen in den Niederlanden. Doch die Gefahr ist längst nicht gebannt, dass die Brexit Entscheidung Nachahmer finden könnte. Was auch nicht folgenlos für die anstehenden Verhandlungen bleiben dürfte.
    Juncker: Austrittsbeschluss lohnt sich nicht für das Land
    "Ich halte das für eine Tragödie, wenn ein Land austritt. Und ich wünsche mir nicht, dass auch andere dem auch so täten. Und das werden die auch nicht tun. Weil das Endergebnis der Verhandlungen wird es für jeden erkennbar vor Augen geführt, dass sich dieser Austrittsbeschluss nicht lohnt für das Land, was austritt".
    Stellte erst kürzlich Kommissionschef Jean Claude Juncker klar. Der Brexit soll also abschrecken, das ist die klare Botschaft. Für die anstehenden Verhandlungen hat Barnier inzwischen drei Prioritäten festgelegt – zunächst einmal muss der künftige Status für die rund 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien sowie die 1,2 Millionen Briten in der EU geklärt werden. Es geht um sehr konkrete Dinge – etwa den Zugang zu Sozialleistungen.
    "Die EU-Bürger, die in Großbritannien leben oder die Briten, die auf dem Kontinent leben, die dürfen nicht Verhandlungsmasse werden. Da ist sehr viel Unsicherheit da. Und deshalb muss das als einer der ersten Fragen geklärt werden".
    Betont der Chef der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament, Manfred Weber. Der zweite Knackpunkt aus EU-Sicht- die Geldfrage. Das Preisschild ist längst geklebt. 60 Milliarden Euro könnte die Scheidung die Briten kosten. Für Pensionsleistungen für britische EU-Beamte, Verpflichtungen aus dem EU-Budget sowie innerhalb der mittelfristigen Finanzplanung. Die Zahl gilt als Orientierungsgröße, sie ist aber, je nach Auslegung, nach oben und unten flexibel. Die Botschaft dahinter: der Brexit kostet viel Geld, und zwar auch den zweitgrößten Nettozahler innerhalb der EU:
    "Die Verhandlungen werden sehr schwierig"
    "Wenn ein Land die EU verlässt, geht es nicht um Bestrafung. Es gibt keinen Preis für den Austritt. Aber wir müssen die Konten ausgleichen. Nicht mehr und nicht weniger".
    So Barnier. Der schließlich auch möglichst schnell die Grenzmodalitäten zwischen Nordirland und Irland klären will. Dabei geht es auch darum, trotz Brexit den Frieden in Nordirland nicht zu gefährden. Ansonsten aber müssen fast 21.000 Gesetze und Regelungen überprüft und womöglich neu gefasst werden. Eine Herkulesaufgabe, zumal gleichzeitig auch noch das künftige Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien geklärt werden muss. EVP-Chef Weber:
    "Wir sind im kompletten Neuland unterwegs. Wir wollen starten mit Offenheit und gutem Willen, aber die Verhandlungen werden sehr schwierig und auch sehr hart werden, weil es um Interessen geht".
    Zwei Jahre bleiben ab Antragstellung bis zu einer Einigung. Doch nicht zuletzt Kommissionschef Juncker persönlich hat schon abgewunken. Austritt und Neuverhandlungen seien in dieser kurzen Zeit schlicht nicht zu schaffen.