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Brüssel
Vorsichtige Entwarnung

Polizei und Militär sind nach wie vor sehr präsent im Stadtbild von Brüssel. Aber es gilt von sofort an nicht mehr die höchste Terrorwarnstufe. Nervosität herrscht aber weiterhin unter vielen Menschen, und die Politik diskutiert in mitunter recht rauem Tonfall über die Konsequenzen aus den vergangenen Wochen. Ein Stimmungsbild unseres Korrespondenten.

Von Jörg Münchenberg | 26.11.2015
    Man sieht Menschen in einer Einkaufsstraße in Brüssel.
    In der Brüssler Innenstadt gehen die Menschen wieder einkaufen, nervös sind viele trotzdem noch. (picture-alliance / dpa / Thierry Roge)
    Der Schritt kommt überraschend. Auch für Brüssel gilt nicht mehr die höchste Terrorwarnstufe vier, sondern – wie im übrigen Land - Stufe Drei. So haben es die Experten im Krisenzentrum empfohlen. Von Normalität kann in Brüssel aber weiterhin keine Rede sein. Zwar haben seit Mitte der Woche die Schulen wieder geöffnet und auch der Metrobetrieb rollt langsam wieder an.
    Trotzdem sind noch viele Museen geschlossen, werden Konzerte abgesagt. An der massiven Polizei- und Militärpräsenz hat sich ohnehin nichts geändert. Überall stehen schwerbewaffnete Soldaten und Polizisten – das alles, so meint dieser Brüsseler wird auch im öffentlichen Bewusstsein seine Spuren hinterlassen:
    "Ein Panzerwagen auf dem Grand Place. Ich habe das noch nie gesehen. Aber das wird uns verändern, auch wenn wir das noch nicht so wahrhaben. Und nicht unbedingt zum Besseren, glaube ich."
    Falscher Alarm
    Nervosität und Misstrauen sind überall spürbar. Am Mittag dann plötzlich große Aufregung. Ausgerechnet in der Großen Moschee, in unmittelbarer Nähe des EU-Kommissionsgebäudes, werden mehrere Umschläge mit einem weißen Pulver gefunden.
    Großalarm: Feuerwehr, Polizei und Krankenwagen rücken an, selbst eine Einheit zur Dekontamination ist dabei. Von einem Milzbranderreger ist die Rede. Erst am Nachmittag gibt eine Feuerwehrsprecherin Entwarnung:
    "Wir haben das Pulver analysiert. Es war Mehl und das was man den Babys auf den Po gibt, Puder. Eine Mischung. Aber nichts Gefährliches. Alles negativ".
    Erleichterung macht sich breit. Wieder mal nur falscher Alarm. Ein paar Kilometer weiter muss sich zeitgleich der belgische Premierminister in einer aktuellen Stunde des Parlaments kritische Fragen gefallen lassen. Denn längst ist von einem Kommunikationschaos die Rede. Warum die Schulen trotz anhaltender Terrorgefahr geöffnet wurden? Und was es mit den angeblichen konkreten Anschlagsplänen vom vergangenen Sontag auf sich hat, über die einige Zeitungen ohne Quellenangabe berichtet haben? Oder wurde da schlicht überreagiert?
    "Wir können doch unser Land nicht in einen Panic Room verwandeln! Unsere Dienste haben Besseres verdient, wir haben Besseres verdient, unsere Demokratie hat Besseres verdient!"
    Meint etwa Laurette Onkelinx von den oppositionellen Sozialdemokraten. Deutlich schärfer im Ton die Rechtspopulisten vom Vlaams Belang, etwa Filip de Winter:
    "Jahrelang haben wir für immer mehr islamische Ausländer und Asylbewerber den roten Teppich ausgerollt. Wir haben immer mehr Salafisten, Dschihadisten und IS-Terroristen, die wir für Karnevalsnarren hielten, als trojanisches Pferd hereingeholt"
    "Was Angst macht, das sind 130 Tote"
    Der Tonfall ist rau. Premierminister Charles Michel hält dagegen, verweist auf die Empfehlungen des unabhängigen Antiterrorzentrums, auf die Gefahr nach den verheerenden Anschlägen in Paris:
    "Entschuldigung? Was Angst macht, das sind 130 Tote, 130 niedergemetzelte Menschen, 350 Verwundete. Es sind die Terroristen, die Angst verbreiten, nicht die Regierung, es ist nicht die Kommunikation!"
    Doch der politische Aufarbeitungsprozess hat gerade erst begonnen. Zumal sich die Fahndungserfolge bislang in Grenzen halten. Während gleichzeitig die Brüsseler versuchen, zurück zur Normalität zu finden. Ab sofort unter Terrorwarnstufe drei.