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Brüssel vs. Budapest (5/5)
Die "Soros-Söldner"

Monatelang hat die Regierung Stimmung gegen den ungarisch-stämmigen Milliardär George Soros gemacht. Auf Plakaten, in den Medien, bei Volksbefragungen. Seit einer regionalen Wahlschlappe ist es kurzzeitig ruhiger geworden – angeblich auf Anweisung. Die Betroffenen in Ungarn bleiben dennoch wachsam.

Von Stephan Ozsváth | 23.03.2018
    Ein Anti-Soros-Plakat der Regierungspartei Fidesz. "Gemeinsam würden sie den Grenzzaun niederreißen"
    Anti-Soros Plakat: In ganz Ungarn zeigen Wahlplakate einen grinsenden Soros, der die Spitzenkandidaten der vier Oppositionsparteien umarmt (dpa / Gregor Mayer)
    Das "Solinfo" ist ein lichtdurchflutetes Café direkt neben der Synagoge in Budapest. Márta Párdavi ist gestresst. Viel zu tun, sagt die Co-Vorsitzende des Budapester Helsinki-Komitees, einer Menschenrechtsorganisation. Sehr viel. Die Juristin bestellt einen Milchkaffee. Sie pendele derzeit ständig zwischen Brüssel, Berlin und Budapest, erzählt sie.
    Anti-Soros-Gesetzespaket in Ungarn
    Vor einem Jahr hat die Regierung Orbán erklärt, man werde den ungarisch-stämmigen Multimilliardär Soros und die Organisationen, die er unterstützt, aus dem Land fegen. Ein erstes Gesetz richtete sich gegen die von ihm finanzierte Hochschule, ein nächstes gegen auslandsfinanzierte Hilfsorganisationen. Nun hat die Regierung noch einmal nachgelegt, mit dem "Stop-Soros-Gesetzespaket". Mit Strafsteuern und bürokratischen Schikanen behindert es vor allem Organisationen, die sich für Flüchtlinge einsetzen. Die Zivilgesellschaft in Ungarn musste das als Kampfansage verstehen, sagt Márta Párdavi, die schon als Studentin zum Helsinki Komitee kam.
    Márta Párdavi, Co-Vorsitzende des Budapester Helsinki-Komitees, steht in Budapest vor einem Bild mit dem Schriftzug ihrer Organisation. 
    Márta Párdavi, Co-Vorsitzende des Budapester Helsinki-Komitees (AFP / Attila Kisbendek)
    "Die Nicht-Regierungsorganisationen, die damit auf der schwarzen Liste der ungarischen Regierung stehen, befassen sich alle mit wichtigen Themen in einer Demokratie. Besonders wenn es um Verteidiger von Menschenrechten geht, um Anti-Korruptions-Watchdogs, um Organisationen, die sich mit gutem Regieren befassen. Sie sind Werkzeuge der Zivilgesellschaft, sie fordern Rechenschaft von Regierungen."
    Als "Soros-Söldner" diffamiert
    Das Helsinki-Komitee, aber auch die Antikorruptionsorganisation Transparency International bekommen Geld von den Open Society Foundations des Multimilliardärs Soros. Fördergelder, die sie auch von anderen Stellen erhalten, um ihre Arbeit zu finanzieren.
    Regierungsvertreter diffamieren sie deshalb als "Soros-Söldner". Sie mischten sich in ungarische Politik ein, ohne ein Mandat zu haben. Sie wollten Millionen Flüchtlinge nach Europa holen, das sei der geheime Plan des George Soros.
    Was die Regierung Orbán stört, ist, dass sie Kritik üben: etwa an der Flüchtlingspolitik, die nicht internationalen Standards entspricht - was allerdings auch die UNO und andere Menschenrechtsorganisationen immer wieder angeprangert haben. Kritik wird in Budapest als "Reinreden" abgewehrt, die Budapester Regierung schätzt es nicht, ausgebremst zu werden.
    "Es gibt diese starke Tendenz in der Regierung und im Denken Orbáns: Dass die europäischen Institutionen nationale Souveränität beschränken und dass wir stolze, starke Mitgliedsstaaten brauchen."
    Ungarn wehre sich gegen "mehr EU". Auch EU-Recht und die Menschenrechts-konvention basierten auf der Idee, dass jeder die gleichen - universellen - Menschenrechte habe, egal wo er lebe. Also auch ein Flüchtling.
    "Das wird attackiert. Das Problem jetzt ist, dass Verteidiger von Menschenrechten angegriffen werden, weil sie sich für Menschenrechte engagieren. Die ungarische Regierung hat entschieden: Das will sie hier nicht. Und sie will, dass wir diese Botschaft verstehen."
    Orbáns Schwiegersohn soll sich mit EU-Geldern bereichert haben
    Ein Jugendstilhaus in Lipótváros, dem alten bürgerlichen Stadtteil von Budapest in Laufweite zum Parlament. Das Treppenhaus ist nicht renoviert, hat die Patina vergangener Zeiten. Im vierten Stock ist das ungarische Büro von Transparency International. Miklós Ligeti öffnet die Tür zu der geräumigen Altbauwohnung, er ist Geschäftsführer der Organisation.
    Auf einem Tischchen liegt eine Ausgabe der kritischen Wochenzeitung "HVG". Auf dem Titelblatt ist Orbáns Schwiegersohn abgebildet. Angezählt, weil er sich laut europäischer Anti-Betrugsagentur OLAF mit EU-Geldern bereichert haben soll. Nichts Ungewöhnliches in Ungarn, sagt Ligeti.
    "Was wir sagen können, ist, dass bei EU-Projekten die Preise um bis zu 25 Prozent überhöht sind – das ist der Korruptionsanteil. Das wird gestohlen. Das konnten wir in unserem Bericht von 2015 belegen."
    Ungarn profitiert vom Geld aus Brüssel
    Das Herz der meisten Ungarn schlägt für Europa, zwei Drittel befürworten laut Umfragen den EU-Beitritt Ungarns immer noch. Dort sehen sie ihre Zukunft. Sie profitieren von den offenen Grenzen. Eine halbe Million Ungarn arbeitet im EU-Ausland. Und Ungarn profitiert von dem Geld aus Brüssel, das Wachstum basiert auf dem europäischen Manna, sagen Wirtschaftsexperten. Aber wie passt das zu den lautstarken Anti-EU-Tönen der Regierung?
    "Das ist nur Regierungspropaganda. Es gibt ihnen jedoch die Gelegenheit, sehr viel Geld an Werbe- und Medienfirmen zu geben, die diese Annoncen herstellen. Aber: Überall, wo staatliche Werbung geschaltet wird, gibt es Korruption."
    Gut 40 Millionen Euro hat die Regierung allein im vergangenen Jahr für ihre Anti-Soros-Kampagne ausgegeben, hat das Investigativ-Projekt Átlátszó herausgefunden.
    "Was die Zukunft der Union angeht, muss die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten viel mehr überwacht werden. Denn sonst könnte es einen Dominoeffekt geben. Ungarn könnte auch andere enttäuschte, ausgebrannte ehemalige Ostblockstaaten in einen autokratischen Strudel mitreißen."