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Brustkrebsvorsorge
Radiologin zu möglichen Fehldiagnosen eines Essener Arztes

Jahrelang hat ein Essener Radiologe ein Brustkrebs-Vorsorgeprogramm geleitet, ohne die dafür erforderlichen Qualifikationen zu haben. Die Hamburger Radiologin Ingrid Schreer hofft auf einen Einzelfall und forderte im DLF die erneute Begutachtung des Bildmaterials der von ihm untersuchten Frauen.

Ingrid Schreer im Gespräch mit Sarah Zerback | 15.05.2014
    Eine Radiologie-Assistentin bei der Brustkrebs-Früherkennung in einem "Mammobil".
    Mobile Brustkrebsvorsorge: Mammografie in einem "Mammobil" (picture-alliance/ dpa/dpaweb / Alexander Rüsche)
    Sarah Zerback: Wenn Brustkrebs früh erkannt wird, dann stehen die Heilungschancen oft gut, und genau deshalb nehmen hierzulande jährlich fast drei Millionen Frauen an einem Vorsorgeprogramm teil. Zwar gibt es auch dort keine hundertprozentige Sicherheit, dass so eine Mammografie den Krebs verhindert; was jetzt aber im Ruhrgebiet passiert ist, das dürfte viele Frauen zusätzlich verunsichern.
    Jahrelang soll ein Essener Radiologe das Vorsorgeprogramm ohne die dafür vorgeschriebene Qualifikation geleitet haben. Für viele Frauen heißt das, sie könnten trotz Mammografie einen Tumor haben, ohne es zu wissen.
    Darüber möchte ich jetzt mit Professor Ingrid Schreer sprechen. Sie ist einer der renommiertesten Radiologen Deutschlands, aus Hamburg kommt sie und sie hat die Ereignisse verfolgt. Guten Tag, Frau Schreer.
    Ingrid Schreer: Guten Tag, Frau Zerback.
    Zerback: Es heißt ja, der Leiter habe zum einen nicht die erforderlichen Qualifikationen gehabt. Welche Gefahr besteht denn da konkret für die (und es sind etwa 100.000) Frauen, die sich in der Zeit haben untersuchen lassen?
    Schreer: Er hat für einen bestimmten Teil des Screening-Programms die Qualifikation nicht gehabt, und zwar für die Durchführung der Biopsien, der kleinen Gewebeentnahmen, die bei einem auffälligen Befund notwendig sind.
    Zerback: Das ist einmal eine Qualifikation, die er nicht hatte, und dann sind aber auch wirklich Biopsien passiert, wo die Betroffenen sich jetzt gar nicht sicher sein können, ist das überhaupt alles korrekt verlaufen.
    Schreer: Richtig. Mir sind zwei Fälle bekannt, wo man sehen konnte, dass er selber punktiert hat, aber den auffälligen Befund nicht getroffen hat.
    Zerback: Mittlerweile hat sich der Beschuldigte sogar selbst zu Wort gemeldet und er hat jetzt heute gesagt, er habe eine andere Interpretation über die geforderte Anzahl der Biopsien gehabt. Gibt es denn einen solchen Interpretationsspielraum?
    Schreer: Nein. Es gibt klare Vorgaben, wie viele Biopsien eine Screening-Einheit und ein programmverantwortlicher Arzt durchführen muss. Der Spielraum ginge eher in die Richtung, dass man eventuell mehr Biopsien macht, wenn mehr auffällige Fälle auftreten.
    Zerback: Jetzt ist ja auch das Schlimme daran, dass unter anderem die zuständige Kassenärztliche Vereinigung sogar zugegeben hat, seit Jahren davon zu wissen. Die wurde informiert und sah aber nach eigener Aussage zwar das Patientenwohl gefährdet, das haben sie wohl auch gesagt, sie haben aber die Fortsetzung des Screenings als wichtiger angesehen als das Patientenwohl. Stimmen Sie dem denn zu? Das hört sich ja erst mal schlimm an.
    "Das Programm ist gut qualitätsgesichert"
    Schreer: Nein, dem kann man nicht zustimmen. Es hätte an sich schon, als die Mängel offensichtlich waren, eine Entscheidung herbeigeführt werden müssen, die zu einer Problemlösung geführt hätte, und das hat ja offensichtlich drei Jahre lang von keiner Seite stattgefunden.
    Zerback: Ihrer Erfahrung nach, ist das denn nun ein tragischer Einzelfall, oder muss jedes System der Qualitätssicherung seinerseits auf den Prüfstand?
    Schreer: Ich hoffe und wünsche, dass es ein Einzelfall ist, denn das Programm ist so gut qualitätsgesichert, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, dass so etwas Ähnliches in anderen Screening-Einheiten auch passieren könnte.
    Zerback: Sie haben so einen Fall vorher noch nicht erlebt?
    Schreer: Nein.
    Zerback: Und Sie als Expertin, was raten Sie denn jetzt den Betroffenen? Die Betroffenen, die zwischen 2010 und 2013 dort zur Vorsorge waren, was sollen die nun tun?
    Schreer: Das ist natürlich eine ganz schwierige Frage, als einzelner Mensch, als einzelne Frau zu handeln. Ich würde denken, jetzt, wo das offensichtlich ist, werden ja die Verantwortlichen, die Kassenärztliche Vereinigung und das Referenzzentrum und auch die Dachorganisation für das Mammografie-Screening, die Kooperationsgemeinschaft, Stellung nehmen und die müssen einen Vorschlag machen, wie man jetzt die einzelnen Fälle eventuell nachbegutachten kann.
    Zerback: Die betroffenen Frauen müssten schon noch mal zur Untersuchung, oder wie ist da Ihre Meinung?
    Schreer: Nein, das kann man anhand des Bildmaterials machen.
    Zerback: Okay, dass man die noch mal neu untersucht.
    Schreer: Genau.
    Zerback: Frau Schreer, jahrelang hat ein Essener Radiologe ein Brustkrebs-Vorsorgeprogramm geleitet, ohne die dafür erforderlichen Qualifikationen. Darüber habe ich mit Professor Ingrid Schreer gesprochen. Vielen Dank für Ihre Zeit.
    Schreer: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.