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Brutalistische Architektur
Schönheiten aus Beton

Brutalismus - allein der Name des Baustils klingt unfreundlich. Er stammt von dem französischen Ausdruck "béton brut" - Sichtbeton. Eine Architektur, die unter anderem in Großbritannien nach dem Zweiten Weltkrieg entstand: Hochhaus-Siedlungen aus Beton für möglichst viele Menschen. Eine Ausstellung in Weil am Rhein widmet sich derzeit der Bauweise.

Von Christian Gampert | 16.01.2017
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    Spezielle Schönheit: Das National Theater in London entstand nach dem Zweiten Weltkrieg im brutalistischen Baustil. (imago stock&people / Alberto Pezzali)
    Der Brutalismus hat neue Fans. Denn roher Beton sieht zwar nicht richtig schön aus, aber er ist hart, ehrlich, authentisch, brachial, also all das, was wir in dieser durchdesignten Welt manchmal vermissen. Und die "Robin Hood Gardens" in London, die jetzt abgerissen werden, eine Ikone des Brutalismus, sind wirklich gigantomanische, ehrfurchtgebietende Architektur. Aber waren sie auch nützlich, sozial, gut bewohnbar?
    Die neue Wertschätzung des irgendwie auch gesichtslosen Massen-Wohnungsbaus, der im England der Nachkriegszeit Ersatz für die vielen im Luftkrieg zerstörten Häuser schaffen musste, hat zu verschiedenen Forschungsprojekten geführt. Das britische Theoretiker-Kollektiv "Assemble" beschäftigt sich nicht nur mit der Massen-Bauweise, die sehr junge Architekten wie Alison und Peter Smithson Anfang der 1950iger Jahre propagierten. Sondern auch mit der Umgebung.
    Fabrikartige Häuser - aber voller Leben
    Die Häuser sahen fabrikartig aus: Sichtbeton oder Stahlrahmen, die mit Backsteinen oder Ziegeln aufgefüllt wurden. In den weiten Backyards aber gab es Spielplätze, ebenfalls aus Beton, die den Kindern ein eher risikoreiches Spielen ermöglichten. Aber die hatten Spaß, meint die Architekturhistorikerin Jane Hall von "Assemble":
    "Vor allem die "Fliegende Untertasse" in Churchill Gardens, da sieht man auf alten Fotos Kinder voller Freude, voller Leben herumturnen. Das ist nicht gerade das Bild, das man von brutalistischer Architektur hat."
    Siedlungen galten in der Nachkriegszeit als Erfolg
    In der Tat scheint das abweisende, kollektivistische Äußere der Gebäude nur ein Aspekt zu sein. Müssen wir unsere Vorurteile korrigieren?
    "Nach dem Krieg war es so, dass diese Siedlungen wirklich ein sozialer Erfolg waren. Die Menschen hatten modern ausgestattete Wohnungen mit Technik, die sie vorher nicht besaßen. Und sie waren zufrieden mit diesen Wohnungen und auch mit den nachbarschaftlichen Gemeinschaften, die dort entstanden sind, mit der Nahversorgung und so weiter", meint Janna Lipsky, die Kuratorin des "Vitra Design Museums".

    Lipsky hat eine Ausstellung eingerichtet, in der aus recyceltem Verbund-Schaumstoff Elemente von Spielplätzen original nachgebaut sind, die ursprünglich in Massen-Wohnsiedlungen in London und Sheffield standen.
    "Es sind keine herkömmlichen Spielgeräte, sondern es sind wirklich eigene kleine Architekturen, die die Landschaftsarchitekten oder Architekten speziell für diese Orte entworfen haben – und wo sie auch die Möglichkeit hatten, sich mit dem Material Beton und Backstein auszutoben."
    Leben in brutalistischen Bauten: kreativ und kommunikativ
    Und anders als die relativ konventionell durchstrukturierten Wohnhäuser waren diese Spielplätze der fünfziger Jahre eher fantasievoll: Die "Fliegende Untertasse" aus den Londoner Churchill Gardens, ist eine fest installierte, schräg gestellte Scheibe. Aus Sheffield kommt ein lang gezogener düsterer Tunnel, aus London gibt es einen Rutsch-Turm mit Nest und Kuschelecke und Terrassen, über die man laufen, klettern, kullern kann.

    Die Schaumstoff-Elemente sind in kitschigem Rosa, Türkis und Grün gehalten und wirken wie surreale Skulpturen in einer Mondlandschaft. Fabriziert hat das der Künstler Simon Terril. Er hat im berühmten Balfron-Tower gewohnt und sagt: "Brutalism is the symbol of a different way of thinking the welfare state." Der Brutalismus habe den Wohlfahrtsstaat neu gedacht. Spielen sei eben mit Risiko verbunden und eine Vorbereitung auf das Leben. Das Leben in diesen Häusern sei sehr kommunikativ und kreativ gewesen, viele Punk-Musiker seien dort aufgewachsen.
    Sinnvoll auch für die Gegenwart
    Renommierte Architekten wie die kürzlich verstorbene Zaha Hadid rühmen die bizarre Schönheit brutalistischer Bauten, die man für die Gegenwart herrichten könne. Mit Immigration und Flüchtlingskrise scheint das auch sinnvoll. Allerdings, sagt Janna Lipsky: Wenn nur Sozialfälle in einer Siedlung wohnen, wird auch die Architektur als Sozialfall wahrgenommen.

    Wenn diese Siedlungen aber sozial durchmischt und verkehrstechnisch gut angebunden sind und in das städtische Leben integriert werden, dann könne man mit den heute oft renovierungsbedürftigen Bauten des Brutalismus durchaus etwas anfangen.
    Ausstellung The Brutalist Playground im Vitra Design Museum in Weil am Rhein ist noch bis zum 16.4.2017 zu sehen.