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Buch mit sieben Siegeln

Ausgerechnet ein Mitbegründer des Online-Lexikons Wikipedia gab in der vergangenen Woche bekannt, mit "Citizendium" ein Konkurrenz-Nachschlagewerk im Internet aufbauen zu wollen. Dabei sollen dessen Informationen zuverlässiger sein.

Von Marcus Schuler | 21.10.2006
    Im Internet wurde bereits spekuliert, wann es endlich jemand wagen und dem von Amateuren gepflegten Internet-Lexikon Konkurrenz machen würde. Die englische und die deutsche Wikipedia-Ausgabe kommen zusammen auf mittlerweile mehr als 1,4 Millionen Einträge. Das deutsche Wikipedia ist nach dem englischen das zweitgrößte. Jeder kann dort Einträge hinzufügen oder editieren. Aber genau diese Besonderheit ist auch das Problem - die Zuverlässigkeit. Larry Sanger:

    "Ich bin der Überzeugung, dass man es noch besser machen kann. Die Autoren sollten persönlich für ihre Arbeit verantwortlich sein. Man benötigt Experten, die im Hintergrund umsichtig die Arbeit steuern. Am Ende steht für mich ein Modell, dass sich vom jetzigen Design nur wenig unterscheidet. Was jedoch das Ergebnis anbetrifft, insbesondere die Zuverlässigkeit, wird es deutlich besser sein."

    Schon seit Jahren kritisiert der 38jährige in Kalifornien lebende Sanger seinen ehemaligen Arbeitgeber. Nun will er es besser machen. Seit dieser Woche läuft bereits die so genannte Pilotphase, in der unter Ausschluss der Öffentlichkeit an der verbesserten Wikipedia-Version gearbeitet werden soll. Sanger hat drei Hauptkriterien formuliert, in denen sich Citizendium
    von Wikipedia unterscheidet:

    "Erstens: Wir möchten Experten gewinnen, die als Redakteure mitarbeiten. Sie sollen in ihren Fachgebieten inhaltliche Entscheidungen treffen dürfen. Anders ausgedrückt: Sollte es zwischen den Verfassern eines Artikels Streit geben, dann kommen die Redakteure ins Spiel und entscheiden. Außerdem geben sie die Artikel frei und können Aufsätze von besonderem inhaltlichem Wert auszeichnen. Dadurch werden die Artikel zuverlässiger als bei Wikipedia."

    Außerdem soll es für die Autoren von Citizendium verpflichtend sein, sich mit ihrem echten Namen am System anmelden und unter diesem Namen auch Texte zu veröffentlichen. Bei Wikipedia konnte man bisher Phantasie-Namen benutzen, war also anonym. Sanger plant auch eine verbindliche Satzung. So genannte "Wachtmeister" oder Administratoren sollen deren Einhaltung überprüfen. Und: Sanger hat angekündigt, Citizendium deutlich einfacher zu gestalten. Wikipedia habe zu viele Features, die es zu kompliziert machten, erklärt er. Wer bei Citizendium mitmachen will, muss seine Qualifikation durch einen Lebenslauf nachweisen. Ein Studium ist nicht nötig. Die Mitarbeit ist unentgeltlich. Aus der Wikipedia-Community gab es bereits erste Reaktionen.

    "Sie haben diese Entwicklung begrüßt und betont, dass wir jedes Recht dazu haben, eine Abspaltung von Wikipedia zu betreiben. Das ist das Gute an der so genannte Open Content Licence oder auch GNU genannt. Man darf damit von allen Wikipedia-Inhalten Kopien erstellen, diese bearbeiten und verändern und wieder unter der GNU-Lizenz veröffentlichen."

    Und was sagt sein einstiger Mitstreiter und angeblicher Rivale dazu? Wikipedia-Mitbegründer Jimmy Wales, der zurzeit auf Deutschland-Besuch ist, will sich offenbar nicht äußern. Und auch bei der deutschen und englischsprachigen Wikipedia-Gemeinde hält man sich mit öffentlichen Äußerungen offenbar zurück. Vielleicht, weil man befürchtet, dass nun viele frustrierte Wikipedia-Macher zu Larry Sanger und Citizendium überwechseln? Sanger erhielt dieser Tage jedenfalls auch erste Anfragen aus Deutschland.

    "Ich habe ein paar Emails von Deutschen erhalten. Ein wenig Deutsch verstehe ich. Ich verstehe es aber nicht so gut, um die deutsche Wikipedia-Ausgabe wirklich beurteilen zu können. Wie ich höre, ist die deutsche der englischen Ausgabe qualitativ überlegen, was mich aber nicht sonderlich überrascht. Ich weiß auch, dass das deutsche Wikipedia Fortschritte macht, um redaktionelle Prozesse zu optimieren. Da nimmt es eine führende Rolle unter allen Wikis ein. Ich will deshalb nicht ausschließen, dass wir nächstes Jahr eine deutsche Version starten, zunächst gilt es aber eine entsprechende Nachfrage abzuwarten."