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Buch zur Armenier-Frage
Welche Rolle spielte Deutschland?

"Beihilfe zum Völkermord. Deutschlands Rolle bei der Vernichtung der Armenier" - der Titel des neuen Buches von Jürgen Gottschlich ist eindeutig. Der Journalist hat in deutschen und türkischen Archiven recherchiert, um die politischen Ereignisse rund um die Morde an über einer Million Armenier in der Türkei vor 100 Jahren zu rekonstruieren.

Von Kemal Hür | 27.02.2015
    Gedenkstätte an den Völkermord an den Armeniern in Jerewan, Hauptstadt von Armenien
    Gedenkstätte an die Morde an den Armeniern in Jerewan (picture alliance / dpa / Foto: Abaca 106804)
    Yusuf Elitoğ ist 50 Jahre alt. Er ist Kurde und stammt aus einer ostanatolischen Region. Heute leben dort Zaza und Kurden. Früher gab es in dem Ort auch armenische Dörfer. Das armenische Leben ist dort ausgelöscht, sagt Elitoğ. Aber die Bewohner wüssten noch, wo die Armenier gelebt hätten.
    "Ortschaften sind so noch benannt, zum Beispiel 'armenisches Feld, armenischer Berg, armenischer Hügel'. Kirche zum Beispiel: Oft gibt es 'kilise, kilise, kilise'; man weiß, dass es Kirche ist, armenische Kirche."
    Der Journalist und Autor Jürgen Gottschlich hat im Osten der Türkei die Orte besucht, wo bis zum Ersten Weltkrieg Armenier gelebt haben. Er sprach mit den Menschen, die dort nach der Vernichtung der Armenier angesiedelt wurden.
    "Die Leute, die jetzt da in den Dörfern leben; das sind teilweise Leute, die aus dem Kaukasus nach dem Krieg dahin gekommen sind, oder Turkmenen, die dann da angesiedelt worden sind. Die haben sich erstmal nicht damit beschäftigt und wollen damit auch nicht konfrontiert werden."
    Spuren vom armenischen Leben gibt es kaum noch im Osten der Türkei, wo Armenier vor dem Genozid beheimatet waren, sagt Jürgen Gottschlich. Das ist aber nicht das zentrale Thema seines Buches, sondern es ist Deutschlands Beihilfe zum Völkermord. Das Deutsche und das Osmanische Reich waren im Ersten Weltkrieg Verbündete. Die Türken hätten die Armenier 1915 nicht nur mit Wissen, sondern auch mithilfe des Kaiserreiches und seiner Generäle vernichtet, sagt Gottschlich. Von der Planung der Deportationen an seien Deutsche informiert und beteiligt gewesen.
    "Und als sie gemerkt haben, dass aus der Deportation Vernichtung wurde, dann auch gesagt haben: Ja, das ist auch für die Türkei besser. Und schlussendlich sieht man das daran, dass das Deutsche Reich dann den Hauptverantwortlichen für den Völkermord zur Flucht verholfen hat vor dem Kriegsgericht und ihnen in Deutschland – zwar nicht formal, aber de facto – Asyl gegeben hat."
    Deutschland spricht bis heute nicht von einem Genozid
    Gottschlich zeichnet die Geschichte der türkisch-deutschen Zusammenarbeit anhand von Materialien aus den Archiven beider Länder nach. Dass zu diesem Thema in Deutschland kaum geforscht wurde, führt Gottschlich auf drei Gründe zurück: Deutschland war nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Aufarbeitung des Holocausts beschäftigt. Die Beziehungen zur Türkei sollten nicht belastet werden. Und drittens: Die Armenier hätten keine Lobby in Deutschland.
    "Es gibt einfach – im Unterschied zu Frankreich oder den USA – zu wenig Armenier, die hier leben. Die sind mangels Masse nicht in der Lage, wirklich innenpolitischen Druck auszuüben, sodass die Bundesregierung gezwungen wäre, sich damit zu beschäftigen. Und wenn man bei so einem unangenehmen Thema nicht gezwungen wird, dann macht man's eben nicht."
    Deutschland spricht bis heute nicht von einem Genozid. In einem Bundestagsbeschluss von 2005 verweist es darauf, der Türkei und Armenien bei der Versöhnung zu helfen. Doch zehn Jahre danach haben sich die Länder kein bisschen angenähert. Jürgen Gottschlich sieht nun einen guten Zeitpunkt für Deutschland, sich bei den Armeniern zu entschuldigen. Im 100. Jahr des Völkermordes solle die deutsche Kanzlerin zur Gedenkfeier nach Armenien reisen, sagt er. Das wünscht sich auch der Armenier Gerayer Koutcharian, der bei der Buchpräsentation dabei ist.
    "Ich erwarte, dass von der Bundesrepublik eine Delegation am 24. April in Jerewan anwesend ist und dort mindestens eine Blume niederlegen. Das erwarte ich."