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Buchmesse in Buenos Aires
Literarische Neuheiten, Lesungen und Debatten

Die "Feria del Libro", die Buchmesse in Buenos Aires, ist mit 20 Tagen die längste und mit einer Million Besucher die größte der Welt. In diesem Jahr findet sie in einem schwierigen politischen Klima statt. Ein Teil der Kulturwelt sieht die neue wirtschaftsliberale Regierung in Argentinien mit großer Skepsis.

Von Victoria Eglau | 28.04.2016
    Buchautor Alberto Manguel beim Kosmopolis Festival in Barcelona, 2015
    Eröffnete die Buchmesse: der Schriftsteller und Übersetzer Alberto Manguel (dpa / picture alliance / EPA/ALEJANDRO GARCIA)
    "Man könnte fast sagen, dass Buenos Aires mit Büchern geboren wurde. Der spanische Stadtgründer Pedro de Mendoza brachte nicht nur Kreuz und Schwert mit, sondern auch mehrere Bücher – gewissermaßen unsere erste Bibliothek", sinnierte der argentinische Schriftsteller Alberto Manguel in seiner Rede zum Auftakt der Buchmesse von Buenos Aires. Manguel, dessen Werk sich größtenteils um Bücher und ums Lesen dreht, ist der designierte Direktor von Argentiniens Nationalbibliothek – einer der bedeutendsten Kulturinstitutionen des Landes.
    Der Intellektuelle wurde von der neuen Regierung von Präsident Mauricio Macri berufen. Diese entließ in den vergangenen Monaten Tausende von Staatsangestellten – auch in der Nationalbibliothek: dort mussten mehr als 200 Mitarbeiter gehen. Alberto Manguel lebt im Ausland und tritt die zurzeit vakante Stelle des Direktors erst im Juli an – viele werfen ihm diesen Mangel an Präsenz vor.
    Protestaktion bei der Eröffnung der Messe
    Während der feierlichen Eröffnung der Buchmesse entrollten mehrere Dutzend Demonstranten Transparente und störten Manguels Rede minutenlang mit Klatschen. Wer leitet die Nationalbibliothek?, stand etwa auf den Plakaten. Politische Kontroversen sind bei der Eröffnung der Buchmesse von Buenos Aires nichts Ungewöhnliches, erklärt ihr Direktor Oche Califa – weit davon entfernt, die Protestaktion zu verurteilen. "Für uns ist Alberto Manguel ein großer Intellektueller. Aber eine Sache ist es, ein Intellektueller zu sein, und eine andere Sache, eine Kulturinstitution zu leiten. Hoffen wir, dass Manguel an der Spitze der Nationalbibliothek Erfolg haben wird."
    Bei der Buchmesse von Buenos Aires können sich die Besucher nicht nur über literarische Neuheiten informieren, sondern auch zwischen mehr als tausend Lesungen, Debatten und Buchvorstellungen auswählen. Organisiert wird das Mega-Kulturprogramm vom Messeveranstalter, der Stiftung El Libro. "Diese Messe will die Leser mit neuer Energie versorgen und Empathie für das Buch schaffen", sagt Messedirektor Oche Califa – selber Kinderbuchautor.
    Argentinien hat eine alteingesessene Buchindustrie. Im zwanzigsten Jahrhundert versorgte sie ganz Lateinamerika mit Literatur – inzwischen ist auch in Mexiko und Kolumbien die Produktion groß. In Argentinien gibt es heute rund dreihundert Verlagshäuser. Die massiven Preiserhöhungen unter der neuen Regierung, etwa für Strom, Benzin und öffentliche Verkehrsmittel, haben auch die Buchbranche getroffen: Es bleibt weniger Geld für Bücher. Dennoch: Die Messehallen im Stadtteil Palermo sind voll wie immer. Pro Jahr erscheinen fast dreißigtausend neue Titel.
    "Die Belletristik war immer dominant, an erster Stelle der Roman. Und das, obwohl Argentinien vor allem große Verfasser von Kurzgeschichten hervorgebracht hat: Jorge Luis Borges, Julio Cortazar, Horacio Quiroga. In jüngster Zeit hat sich auch die Sparte Wissenschaftsliteratur sehr dynamisch entwickelt. In manchen Monaten werden mehr Bücher über Neurowissenschaften, Umwelt-Themen oder Geschichte verkauft, als Belletristik."
    Besonders gut laufen Klassiker
    Die Feria del Libro ist Fachmesse und auch Verkaufsmesse. Aus den entlegensten Gegenden Argentiniens sowie aus den Nachbarländern reisen Menschen zum Bücherkaufen an. "Ich habe zwei Poesiebände von Mario Benedetti erworben, der Uruguayer ist wie ich selbst. Jetzt will ich auch Borges lesen, dessen Werk mir bisher sehr unzugänglich und schwierig erschien", erzählt eine Besucherin, die sich für lateinamerikanische Klassiker interessiert.
    Die Messe ist aber auch ein Schaufenster in die Welt. Eine deutsche Buchhandlung mit aktueller Literatur gibt es in Buenos Aires nicht. Die Feria del Libro ist also eine gute Möglichkeit, sich über Neuheiten aus Deutschland zu informieren. Die Dichterin Lydia Daher und der Benediktinermönch und Autor Anselm Grün reisten in diesem Jahr an. Besonders gut laufen Klassiker: Am Stand des Verlags Adriana Hidalgo Editora findet sich ein Band mit Liedern und Gedichten von Bertolt Brecht.
    "Brecht ist unser totaler Bestseller. Wir haben gerade die fünfte Auflage herausgebracht. Und im vergangenen Jahr wählte der argentinische Staat das Buch für eine Poesie-Sammlung aus, die er Schulbibliotheken zur Verfügung gestellt hat", sagt Verkaufschefin Andrea Lopez. Der argentinische Verlag hat aber auch zeitgenössische deutschsprachige Autoren ins Spanische übersetzt, darunter Katja Lange-Müller, Benjamin Stein, Katja Petrowskaja und Andreas Maier. "Wir vertreiben unsere Bücher in ganz Lateinamerika und Spanien. Wer sich für zeitgenössische deutsche Literatur interessiert, weiß, dass er in unserem Verlag relevante, aktuelle Autoren mit ihren neuesten Werken finden wird."
    Neue Regierung wird skeptisch gesehen
    Adriana Hidalgo Editora ist ein mittelgroßer Verlag, der in den vergangenen Jahren gute Geschäfte gemacht hat. Ob der derzeitige Einbruch der Verkäufe nur vorübergehend ist, wagt niemand zu sagen. Zwar hat die neue Regierung die Schuldenproblematik Argentiniens erstaunlich schnell gelöst. Aber die Wirtschaft ist noch nicht wieder in Gang gekommen, die angestrebten Investitionen von in- und ausländischen Unternehmen sind Zukunftsmusik und die Inflation ist unverändert hoch.
    Wie sich das in den nächsten Monaten auf die Buchbranche auswirken wird, bleibt abzuwarten. Der Protest auf der Messe gegen Alberto Manguel, den künftigen Direktor der Nationalbibliothek, hat erneut gezeigt, dass ein Teil der Kulturwelt die neue wirtschaftsliberale Regierung mit großer Skepsis sieht.