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Buchrezension
Aufbruch in die Moderne - die Anfänge der institutionellen Sportwissenschaft

Die Deutsche Hochschule für Leibesübungen, der Vorläufer der Deutschen Sporthochschule in Köln, ein Mythos. Eine verdienstvolle Studie analysiert nun die ideelle, finanzielle und wissenschaftliche Basis der ersten Sportuniversität der Welt.

Von Erik Eggers | 07.08.2014
    Zu Beginn der 1920er Jahre schuf der Sportpsychologe Robert Werner Schulte eine Vielzahl bizarrer Apparaturen. Mit einem „Fußball-Treffprüfer" suchte er nach zielsicheren Kickern, Boxer mit großer Durchschlagskraft ermittelte er mit einem „Schlagkraftprüfer". Das alles geschah an der Deutschen Hochschule für Leibesübungen, kurz DHfL, als sie 1920 in Berlin ihren Dienst aufnahm. Andere wissenschaftliche Größen, so der Sportmediziner Herbert Herxheimer, fahndeten nach leistungssteigernden Substanzen. Testreihen mit „Reizmitteln", die heutzutage als Doping deklarieren würden, zählten zum Alltag an der ersten Sportuniversität der Welt.
    Als ideeller Vorläufer der Deutschen Sporthochschule in Köln ist die DHfL ein historischer Mythos. Daher ist es überaus verdienstvoll, wenn Jürgen Court die Geschichte dieser Institution bis zum Jahr 1925 nun bar aller Verklärung aufgeschrieben hat, sie geradezu chirurgisch in ihre Einzelteile zerlegt. Seine tiefgründige wie detailverliebte Analyse teilt er in drei Abschnitte. Nach den Gründungsjahren beschäftigt er sich mit den konzeptionellen Grundlagen der Hochschule. Schließlich studiert er Forschung und Lehre in den ersten Jahren der Weimarer Zeit, die schwer unter der Inflationszeit zu leiden hatte.
    Bereits im Wintersemester 1920/21 wurde, so Court, in Berlin die Idee von der Sportwissenschaft als selbständige Wissenschaft formuliert. Dabei waren Theorie und Praxis, ganz dem Zeitgeist folgend, stark von amerikanischen Taylorsystem beeinflusst – diese naturwissenschaftlich- ökonomische Herangehensweise und der Kult der Apparate zog Kritik nach sich, speziell durch die Turner, die den spezialisierten Rekordsport ablehnten. Viele Ideen zeugten von radikaler Modernität, etwa die Betonung des Frauensports, aber auch die interdisziplinäre Verschränkung mit den Arbeitsphysiologen am Kaiser-Wilhelm-Institut.
    Court weist nach, dass nicht nur der Sportfunktionär Carl Diem als „spiritus rector" der DHfL zu betrachten ist, sondern dass hinter der Konzeption dieser Pioniereinrichtung auch ein starker politischer Wille stand, die deutsche Universität umfassend zu modernisieren. Auch vor dieser Folie dürfte der nächste Band Courts über den Übergang der Sportwissenschaft in den Nationalsozialismus spannend werden.
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    Besprochenes Buch:
    Jürgen Court:
    Deutsche Sportwissenschaft in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. Bd. 2: Die Geschichte der Deutschen Hochschule für Leibesübungen 1919-1925, Berlin 2014, LIT-Verlag, 315 Seiten, 39,90 Euro.