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Buddhismus
Den Meister lockt die Macht

Hingabe fordern buddhistische Lehrer von ihren Schülerinnen. Bisweilen in einem ganz konkreten Sinne: Es entstehen sexuelle Beziehungen. Ist das ein Missbrauch geistlicher Autorität? Eine Debatte darüber kommt bisher nicht zustande, Selbstkritik ist tabuisiert.

Von Mechthild Klein | 15.05.2017
    Steinerne Buddhafigur auf dem Friedhof von Nanzen-ji in der japanischen Stadt Kyōto, einem der bekanntesten Tempel des Rinzai-Zen. Der Rinzai-Zen ist eine Lehrtradition des Zen-Buddhismus.
    Steinerne Buddhafigur auf dem Friedhof von Nanzen-ji in der japanischen Stadt Kyōto, einem der bekanntesten Tempel des Rinzai-Zen. Der Rinzai-Zen ist eine Lehrtradition des Zen-Buddhismus. (imago / imagebroker)
    Buddhistische Meditationen und Lehre zielen auf eine Schulung des Geistes. Auf dem Weg zum Erwachen bzw. der Erleuchtung sollen die Schülerinnen und Schüler Mitgefühl kultivieren. Aber das Verhalten vieler Lehrer lässt nicht auf Mitgefühl schließen:
    "Die Skandale gehen in Richtung sexuelle Übergriffe, finanzieller Machtmissbrauch und genereller Machtmissbrauch", sagt Ursula Richard. Sie praktiziert seit 30 Jahren Zen-Übungen. Sie ist Verlegerin und Chefredakteurin von "Buddhismus Aktuell". Sie hat schon vieles beobachtet, in den USA, in Deutschland. Und sie wünscht sich, dass die buddhistische Gemeinschaft lernt, sich dem Thema Missbrauch geistlicher Macht zu stellen, anstatt nach Entschuldigungen zu suchen. Sie analysiert:
    "Der Buddhismus, als der sich im Westen begann zu verwurzeln, traf er auf eine Generation – zu der ich mich auch zähle – der Spät-Alt-68er, die Autorität sehr kritisch gesehen haben. Und auf einmal begegneten wir einem aus Asien kommenden Modell, was von Meistern und Schülern sprach und eine Hingabe erforderte oder einen Gehorsam erforderte. Und wie viele von uns – ich schließe mich da mit ein – waren auf einmal bereit alles über Bord zu schmeißen und es zu versuchen, nun diese Rollen auszufüllen."
    Verwicklung in Sex-Skandale
    Richard fragt sich, warum es bis heute immer wieder Meister gibt, die sexuelle Beziehungen zu ihren Schülerinnen und Schülern suchen. Doch der Sangha, die buddhistische Gemeinschaft, hat bislang weggeschaut. Öffentliche Kritik? Fehlanzeige.
    In den USA waren die beiden größten und einflussreichsten Rinzai-Zen-Lehrer Joshu Sasaki und Eido Shimano von Sex-Skandalen betroffen. Auch die beiden bekanntesten Soto-Zen-Lehrer Richard Baker Roshi und Dennis Genpo Merzel waren in Sex-Skandale verwickelt, sagt der Münchener Zen-Lehrer Christopher Hamacher.
    "Die Geschichte ist nicht neu, zumindest bei Shimano. Das hat schon Mitte der 70er Jahre die ersten Skandale gegeben und er hat alles vehement verneint und teilweise die Leute rausgeschmissen, die gegen ihn Vorwürfe gemacht haben und so. Und das hat er alles ignoriert und weitergemacht. Das ist ein Egomane-Charakter. Und was man sieht, er wird immer weitermachen."
    Buddhistische Priester laufen durch einen Garten des Nanzen-ji-Tempels in Kyōto, einem der bekanntesten Tempel des Rinzai-Zen.
    Buddhistische Priester laufen durch einen Garten des Nanzen-ji-Tempels in Kyōto, einem der bekanntesten Tempel des Rinzai-Zen. (picture alliance / dpa / epa / Everett Kennedy Brown)
    Eido Shimano – Jahrgang 1932 - werden vielfache sexuelle Beziehungen zu Schülerinnen nachgesagt. Zahlreiche Veröffentlichungen thematisieren seine moralischen Fehltritte. Ein Vergleich: Den Psychotherapeuten ist es untersagt, sexuelle Beziehungen zu Klienten einzugehen. Aber im spirituellen Bereich können Meister ihre herausgehobene Stellung offenbar ausnutzen, ohne dass sie Konsequenzen zu fürchten haben.
    Christoph Hamacher: "Es gibt keinen Fall, wo es wirklich heilsam ist, wo die spirituelle Autorität mit der Suchenden ein Verhältnis eingeht. Bei Shimano war es auch so. Man hat offensichtlich gesehen, wie er die Frauen behandelt hat. Das war keine Liebe, das war wirklich Ausnutzung. Also eine nach der anderen und teilweise aufgefordert. Es gibt einen prägnanten Fall, wo er der Frau empfohlen hat, sie soll ihren Verlobten einfach über die Sache belügen. Also sie soll darüber lügen. Das hat nichts mehr mit Buddhismus zu tun."
    Kritik ist Nestbeschmutzung
    Institutionen wie Religionsgemeinschaften neigen dazu, Kritiker als Nestbeschmutzer abzutun. So scheint es auch im Buddhismus zu sein. Bislang fehlt dort der öffentliche Druck: Die Gemeinschaft im Westen schaut offenbar weg, wenn immer wieder Lehrer die hohen buddhistischen Ideale unterlaufen, sagt der buddhistische Mönch Tenzin Peljor.
    "Wir haben mitunter narzisstische Persönlichkeiten, die auf naive unausgebildete Westler treffen, wo den Frauen dann gesagt wird, sie wären etwas besonderes. Und sie können als Dakini mit diesen Narzissten im Bett liegen und es würde ihren Pfad zum Erwachen fördern. Und das ist absolut krank, verrückt und das stimmt einfach nicht mit dem überein, was die Schriften überliefern. Und das kann man hier im Westen gut machen, weil die Leute ein hohes Maß an Naivität haben, ein hohes Maß an fehlendem Wissen und diese Lehrer häufig mehr wissen als die Schüler. Und den Schülern ein X für ein U verkaufen können."
    Der Mönch Tenzin Peljor setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, dass Buddhisten kritisch das Verhalten ihrer Meister hinterfragen – gerade weil er selbst auch negative Erfahrungen gemacht hat in einer buddhistischen Gruppe. Peljor betreibt im Internet Blogs und eine Homepage, die Hilfe und Orientierung bieten für Menschen, die von buddhistischen Lehrern gedemütigt worden sind oder sich missbraucht fühlen. Beliebt hat sich der Mönch mit diesem Dienst in der buddhistischen Gemeinde nicht gemacht. Denn im Buddhismus gibt es den festen Glauben, dass der Meister als spirituell Fortgeschrittener über dem Schüler steht. Erst recht, wenn Traditionen den Meister als Verkörperung des Buddha ansehen. Das können buddhistische Lehrer mit böser Absicht für sich nutzen. Zen-Lehrer Christopher Hamacher:
    "Es gibt einen Fall bei Shimano, wo er die Frau aufgefordert hat, Oralverkehr zu machen. Die Frau hat tatsächlich gedacht, irgendwo muss das ein Zen-Test sein. Ein Test von meiner Biegsamkeit oder Gläubigkeit - keine Ahnung, aber es wurde durchaus so übermittelt."
    Zum einer der Zen-Schulen gehören auch häufige Gespräche unter vier Augen mit dem Meister. Die Treffen sind geheim und über die Inhalte darf nicht gesprochen werden. Der Meister gibt dem Schüler Aufgaben oder Rätsel auf, sogenannte Koans, damit dieser seine Ego-Strukturen durchschauen und überwinden kann. Weil der Schüler sich dem Meister anvertraut und unterordnet, traut sich kaum einer zu widersprechen. Bhikshu Tenzin Peljor schildet den Fall, der einem tibetischen Lehrer zur Last gelegt wird:
    "Wo der Meister mit der Frau eines Schülers geschlafen hat und der Frau ein Gelübde abgenommen hat, dass sie ihrem Mann nichts davon sagt. Und die hatten fünf Jahre Sex. Und nach fünf Jahren hat es der Mann rausgekriegt. Und irgendwann hat er sich getraut, was zu sagen. Und fand das eigentlich heilsam für sich, darüber zu sprechen. Am Ende hat er alles zurückgenommen, wollte nichts mehr sagen, weil er gedacht hat, das ist unheilsam."
    "Die Westler kennen den Buddhismus nur oberflächlich"
    Das eine ist, dass dem Meister positiv unterstellt wird, dass er immer uneigennützig handelt. Man arbeitet im tibetischen Buddhismus mit starken Projektionen und Heilserwartungen, die an den spirituellen Lehrer geknüpft sind. Dann gibt es aber auch viele westliche Buddhisten, die die asiatische Autoritätsgläubigkeit verinnerlicht haben. Und die sehen Kritik an anderen als unbuddhistisch an. Dabei gibt es in buddhistischen Mönchsorden aller Traditionen Anleitungen, wie Mönche mit den Fehlern anderer umgehen sollen, damit die Kritik nicht auf Hass und Aggression beruht, sondern auf Fürsorglichkeit, Liebe und Mitgefühl. So soll man man sich gegenseitig den Spiegel vorhalten.
    Tenzin Peljor sagt: "Und dieses Korrektiv fehlt den meisten asiatischen Lehrern, die in den Westen kommen. Die haben keinen auf gleicher Ebene, der sie korrigiert, die haben keinen auf höherer Ebene. Sind häufig nicht mehr im monastischen Kontext. Die Westler kennen nicht den monastischen Kontext. Sie kennen den Buddhismus nur teilweise oder nur oberflächlich oder nur aus der Hand einer Person, die sie schlimmstenfalls indoktriniert hat. Und infolge dessen können solche kranken Systeme blühen."
    Die Deutsche Buddhistische Union, kurz DBU, ist der Dachverband der deutschen Buddhistischen Gemeinschaften. Die DBU vertritt 63 Gruppen mit ca. 15.000 Mitgliedern in Deutschland. Gunnar Gantzhorn ist Sprecher des Dachverbandes und sieht grundsätzlich keine rote Linie überschritten, wenn buddhistische Lehrer sexuelle Beziehungen zu erwachsenen Schülerinnen und Schülern pflegen. Allerdings stünde der Dachverband hier noch ganz am Anfang, man müsse "mehr informieren", was "auch übliche Wege im Buddhismus" seien.
    Gantzhorn sagt: "Dieses Thema Sexualität zwischen Lehrern und Schülern begegnet uns nur im Vajrayana. Dort ist es ganz klar, dass es sowas geben kann. Es wird aber darauf hingewiesen, dass es eine sehr fortgeschrittene Praxis ist. Seine Heiligkeit der Dalai Lama hat darüber schon mal gesagt, dass er keine lebende Personen kennt, die Qualifikationen dafür mitbringen würden für so einen Weg der Übertragung."
    Verweis auf Buddhas Lehre unzureichend
    Allerdings kommt Gantzhorn nicht zu dem Schluss, dass sexuelle Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern vom Dachverband verurteilt werden sollten. Denn:
    "Im tantrischen Buddhismus gibt es solche Formen und darauf berufen sich auch verschiedene Mitgliedsgemeinschaften der DBU. Auch wenn man das nicht als gängige Praxis sozusagen hat, so wehrt man sich schon gegen eine generelle Ablehnung dieser Situation."
    Im Klartext heißt das, der Dachverband will sexuelle Beziehungen zwischen Meistern und Schülern oder Schülerinnen auch künftig nicht verbieten. Strafbar sei es ja nicht.
    Gantzhorn: "Ob das jetzt heilsam ist oder nicht, da kann man nicht von außen ein Urteil darüber fällen."
    Das Machtgefälle sieht der DBU-Sprecher zwar, zeichnet dann aber ein Bild vom Buddhismus-Lehrer als spirituellen Berater und Freund auf Augenhöhe. Das aber ist ein überhöhtes Idealbild. In einer Orientierungshilfe auf der DBU-Website wird der Schüler zudem aufgefordert, den Meister kritisch zu hinterfragen. Wenn die buddhistische Gemeinschaft im Westen künftig einen Diskurs über fragwürdige Meister-Schüler-Beziehungen führen will und Machtmissbrauch unterbinden will, dann gehört mehr dazu, Ethik-Regeln zum Beispiel. Der Verweis auf Buddhas Lehre reicht nicht aus. Buddhistische Meister sind nicht per se die besseren Menschen.