Freitag, 19. April 2024

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Bücher, Bits und Bytes

Die Digitalisierung der Buchbranche und des Buches selbst ist das beherrschende Thema der diesjährigen Frankfurter Buchmesse. Nach Ansicht von Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, sind Verlage und Buchhandel gegenüber dieser Herausforderung gut aufgestellt. Welche Inhalte besser auf Papier und welche besser digital verbreitet werden, werde sich in den nächsten Monaten und Jahren ausdifferenzieren.

Moderation: Christoph Schmitz | 10.10.2007
    Christoph Schmitz: Auf dem Weltereignis rund ums Buch geht es tatsächlich in zahlreichen Foren um Bildung und Alphabetisierung. Die Zeiten, in denen die Buchmesse als Eventmesse wahrgenommen wurde, scheint vorbei zu sein, so Buchmessendirektor Jürgen Boos vor Journalisten heute. Bildung setzt manches voraus, auch eine lebendige Buchbranche. Um deren Chancen und Herausforderungen soll es in dieser Sendung gehen, aber auch um den Boom der Literaturagenturen und um den Buchmessenschwerpunkt, die katalanische Kultur. Jedes Jahr hegt man ja hier eine leiste Furcht, dass sich nämlich die jahrhundertealte Gutenbergkultur die schöne Gemeinschaft der Schreiber, Verleger, Händler und Leser sich unter dem Druck der elektronischen Medien und einer allgegenwärtigen Unterhaltungskultur auflösen müsse. Und jedes Jahr im Bücherherbst wundert man sich, dass immer noch Sommer herrscht. Die Umsätze steigen und bewegen sich um die neun Milliarden Euro auch in diesem Jahr. Vor allem Belletristik und Kinderbücher sind gefragt. Rund 74.000 neue Titel sind auch in diesem Jahr wieder in Deutschland, Österreich und der Schweiz erschienen. Alleine in Deutschland gibt es flächendeckend über 4300 Buchhandlungen und über 1800 Verlage. Organisiert sind sie alle, fast alle, im Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Der Vorsteher des Börsenvereins heißt Gottfried Honnefelder, den ich hier im Messestudio begrüße. Guten Tag, Herr Honnefelder!

    Gottfried Honnefelder: Guten Abend, Herr Schmitz!

    Schmitz: Herr Honnefelder, habe ich die Buchverhältnisse im deutschsprachigen Raum und in Deutschland zu rosig beschrieben? Sieht es perspektivisch vielleicht doch eher düster aus?

    Honnefelder: Also die Geschichte des Buchhandels ist immer von Kassandra verfolgt worden. Wenn ich die etwa 35 Jahre überblicke, die ich im Verlagswesen tätig bin, war immer die Furcht da, dass im Wettbewerb mit anderen Medien das Buch nicht gut abschnitte, dass es substituiert würde durch neue Medien. Jetzt seit Jahren gab es die digitalen Medien. Ich habe den Eindruck, dass vielleicht schon im letzten Jahr, aber in jedem Fall in diesem Jahr diese Furcht zu großen Teilen gewichen ist.

    Schmitz: Woher kommt diese Furcht überhaupt? Ist das die Kulturkritik unter den Intellektuellen, die glaubt, dass ihre alte Kultur keinen Bestand haben kann in dieser rasanten Moderne?

    Honnefelder: Ich glaube, es ist sehr simpel. Es ist, um es mal drastisch zu sagen, wie der Futterneid unter den Tieren. Also wenn ein Medium gleiche Möglichkeiten bietet wie das andere, dann setzt sich natürlich da so eine Einstellung fest: Ja, vielleicht kann der etwas besser. Vielleicht ist er kompetenter. Und in der Zwischenzeit hat man im Wettbewerb zum Beispiel mit den digitalen Medien eingesehen, dass hier nicht das Eine das Andere, ich sage es noch einmal, substituiert, sondern dass das Eine das Andere ergänzt, dass wir eine Kultur bekommen, in der man ganz bestimmte Formen von Information, von Bildung - Sie haben es eben angesprochen - oder auch von Belletristik, von Erzählen dem einen Medium gibt und ganz andere Formen dem anderen. Es beginnt insgesamt da ein sehr vernünftiger Ausgleich sich anzubahnen.

    Schmitz: Verlage definieren sich ja eher über Inhalte, weniger über das Trägermaterial. Inhalte kann man jenseits des Papiers ja auch digital speichern und sichtbar machen, offline auf CD-ROMs oder online als Datenbank im Internet. Auf dieser Buchmesse gibt es einen richtigen Themenschwerpunkt zur Digitalisierung. Nach einer Branchenumfrage wird die Digitalisierung als die größte Herausforderung der Zukunft dennoch beschrieben. Also ein harmonisches Miteinander gibt es nicht. Worin besteht die Herausforderung?

    Honnefelder: Das ist keine Frage. Verleger gehen heute mit digitalen Formen der Inhalte, mit denen sie handeln und mit denen sie umgehen, relativ selbstverständlich um. Sie bauen Datenbanken. Sie bauen Buchmaschinen. Für sie ist es eine normale Vorstellung, dass die Inhalte, um die sie sich sorgen, auf digitalem Wege von jedem vollständig eingesehen, gelesen, heruntergeladen werden können. Das ist sehr normal. Was stattfindet, ist der, wie soll ich das nennen, der Ausgleich, welche Inhalte mehr in das Eine und welche in das Andere sind. Also dass Gedichte oder dass Romane auch in Jahren noch nicht unbedingt in einem E-Book gelesen werden, auch wenn ich dem einige Chancen gebe, das liegt für mich auf der Hand. Aber dass zum Beispiel die gesamte Wissenschaft im Forschungsbereich zunehmend und vielleicht irgendwann mal zu größten Teilen über das sehr schnelle digitale Medium sich vollzieht, das liegt gleichfalls auf der Hand.

    Schmitz: Sachinformationen nehme ich mir also lieber schnell aus dem Netz. Das wird wohl die Zukunft sein. Den Roman halte ich in der Hand, um blättern zu können, auch so das Gedicht.

    Honnefelder: Das Schöngeistige ist vielleicht näher am Papier. Das Kurzlebige ist näher am Digitalen. Das Nachhaltige ist vielleicht wieder näher am Papier. So wird sich also in den nächsten Monaten und Jahren ausdifferenzieren, was wohin gehört.

    Schmitz: Reagiert der Buchhandel darauf oder auch die Verlage in Deutschland?

    Honnefelder: Die Verlage haben längst erkannt, dass die Zukunft für sie natürlich auch im digitalen Medium ist. Sie haben ein Großprojekt gestartet, eine eigene Datenbank, in der die Verlage bereits jetzt über 10.000 Bücher eingestellt haben, die Sie schon heute elektronisch runterladen können, die Sie sozusagen kaufen können, ohne dass Sie irgendwohin müssen. Das wird jetzt Zug um Zug weitergehen, sodass also die Möglichkeit besteht, auch ohne Google und andere Großsuchmaschinen hier Inhalte vollständig anzubieten mit dem Vorteil, dass es nach dem Willen der Autoren geht, was angeboten wird, wie es angeboten wird und was es kostet.

    Schmitz: Und der Buchhandel? Man kann ja online alles bestellen.

    Honnefelder: Der Buchhandel wird in diesem ganzen System eine ganz wichtige Funktion erhalten. Denn die Distribution solcher Inhalte ist ja damit noch nicht gewährleistet. Und irgendwo kommt es auch dann wieder an einer Stelle stationär an. Ob man dort sucht, ob man sich dort beraten lässt oder ob dort das Outlet ist, das wird sich alles noch herausstellen.

    Schmitz: Wie wird denn die Buchbranche in 50 Jahren aussehen? Rechnen Sie mal hoch!

    Honnefelder: Tja. Also wenn ich im Augenblick sehe, wie seit ein, zwei Jahren diese Buchbranche sich wieder belebt, wie nach Jahren des Stagnierens jetzt jedes Jahr wieder mehr Bücher gekauft werden - in diesem Jahr sind es bis Ende September bereits vier Prozent, das ist ja doch verglichen mit anderen Branchen sehr viel -, dann ist mir nicht bange darum, dass auch in 50 Jahren ein Buchhandel vorhanden sein wird, der vielleicht viel leichter sozusagen in der Navigation durch die verschiedenen Medien ist. Aber dort werden Sie genauso Ihre Bücher finden und Sie werden sehr wahrscheinlich noch viel deutlichere digitale Medien haben, die eigentlich nur eines zum Ziel haben werden: die größere oder die größte Nähe zum Leser, zum Publikum zu bekommen. Da liegt der eigentliche Wert des Digitalen.

    Schmitz: In der Hinsicht hat ja auch der Börsenverein reagiert, indem er den Deutschen Buchpreis beispielsweise etabliert hat, um auf das Buch, auch wenn es nur einen Titel im Jahr ist, aufmerksam zu machen, auch international. Wir haben jetzt den Deutschen Buchpreis im Vergleich zum Booker-Price und zum Prix Goncourt etwa.

    Honnefelder: Als der Börsenverein vor drei Jahren den Deutschen Buchpreis ins Leben rief, hätte er nie gedacht, dass in so kurzer Zeit in drei Jahren die Wirkung dieses Preises so heranwachsen sollte, dass man heute fast schon von einem nationalen Preis sprechen kann. Die Wirkung ist jetzt im Ausland schon sehr zu sehen. Die Preisträger, nicht nur der beste Roman des Jahres, sondern auch die Shortlist, die sechs Romane, die dabei sind, werden mit großen Anzahlen von Lizenzen ins Ausland verkauft. Da war eine Lücke. Da hat sich was getan.