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"Büchermarkt"
Ideen, Ideologien und Individualismus

"Der Garten der Dissidenten" befindet sich in Queens. Jonathan Lethem erzählt die Geschichte des amerikanischen Kommunismus und wie es damit nicht mehr weiterging. Der Roman beginnt Mitte der 1950er-Jahre, als Rose Angrush vom örtlichen Kader aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen wird, weil sie eine Affäre mit einem schwarzen Polizisten hat.

Von Sacha Verna | 18.07.2014
    Ende der 50er Jahre in New York: Eine Veranstaltung gegen den Kommunismus weltweit
    Ende der 50er Jahre in New York: Eine Veranstaltung gegen den Kommunismus weltweit (AFP)
    Die amerikanische Linke ist wie der liebe Gott: oft beschworen, aber kaum präsent. Mit "Der Garten der Dissidenten" hat der Spuk nun immerhin einen eigenen Roman. Und im Gegensatz zu Vorläufern wie Upton Sinclair oder Theodore Dreiser ist der Autor Jonathan Lethem bisher nicht mit politischen Bekenntnissen linker, rechter oder mittelmäßiger Natur in Erscheinung getreten.
    "Der Garten der Dissidenten" befindet sich in Queens. Sunnyside Gardens ist das Quartier, in dem und für das das Herz von Rose Angrush schlägt. Rose Angrush bildet das schlagende Herz des Romans, wobei das Schlagen bei dieser Protagonistin gelegentlich durchaus die Form von Handgreiflichkeiten annimmt.
    Kooperation heißt nicht Kopulation
    Jonathan Lethem erzählt die Geschichte des amerikanischen Kommunismus und wie es damit nicht mehr weiterging. Die Geschichte beginnt Mitte der 1950er Jahre, als Rose Angrush vom örtlichen Kader aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen wird. Die Gründe dafür sind fadenscheinig. Aber klar ist, dass die Genossen ihre Affäre mit einem schwarzen Polizisten nicht goutieren. Klar ist auch, dass man nicht Roses Verbindung zu einem Repräsentanten der Staatsmacht missbilligt, sondern dessen Hautfarbe. Kooperation heißt schließlich nicht Kopulation, der gemeinsame Kampf um Gleichheit in Ehren.
    Die Geschichte endet in der ungefähren Gegenwart. Dazwischen schildert Lethem die Schicksale dreier Angrush-Generationen, plus Anverwandter und Annektierter. Dass kling nach mehr, als es sind. Es reicht für vier Kapitel, sechzehn Unterkapitel und fast fünfhundert Seiten.
    Zunächst ist da Miriam, Roses Tochter, die ihrer Mutter in tiefstem Hass zugetan ist. Miriam hat einen Sohn, Sergius, der dreissig Jahre nachdem seine Eltern als Yankee-Guerilleros in Latein Amerika verschollen sind, seinerseits seine beschränkten Möglichkeiten als Revolutionär erprobt. Besonders im Vordergrund steht außerdem Cicero Lookins, Sohn von Roses schwarzem Liebhaber und ihr unfreiwilliger Schützling, noch lange nach dem Ende der Liaison. Nun lehrt Cicero, übergewichtig und homosexuell, Kritische Theorie an einem College in Maine und lehnt praktisch alles ab, was auch nur entfernt an Rose erinnert. Damit ist er in diesem Roman nicht der Einzige.
    Es geht um Ideen, Ideologien und Individualismus. Jonathan Lethems Figuren sind Produkte ihrer Zeit. Das kulturelle Klima bestimmt ihr Wesen und ihr Schicksal, seien es die Hippie-Hasch - Hurras von damals oder die Occupy-Wall-Street-Träume von gerade eben noch. Dabei fehlt es nicht an Zwischen- und allgemein Menschlichem. Lethem stattet sein Ensemble mit Charakteren aus, die über die Größe griechischer Archetypen verfügen und je nach Bedarf zu klinischen Fallstudien schrumpfen.
    Kluge, witzige Gesellschaftsanalyse
    Jonathan Lethem, US-Autor des Buchs "Der Garten der Dissidenten", das von einer zerrissenen amerikanischen Familie handelt, beim Interview im Deutschlandradio Kultur am 5. März 2014.
    Jonathan Lethem, US-Autor des Buchs "Der Garten der Dissidenten", das von einer zerrissenen amerikanischen Familie handelt, beim Interview im Deutschlandradio Kultur am 5. März 2014. (Bettina Straub / Deutschlandradio)
    Es fehlt überhaupt sehr wenig in diesem Roman. Jonathan Lethem packt mehr Witz und kluge Gesellschaftsanalyse in einen Halbsatz als andere Sozialdiagnostiker in endlose Erörterungen. Er schwingt sich elegant von Handlungsebene zu Handlungsebene und vom Gestern ins Heute und hört mit der Komplexität auf, wo das zu kompliziert Sein anfängt. Aber das ist ziemlich anstrengend. Ein paar künstlerische Atempausen würden niemandem schaden. Eine Minute länger mit Cicero im Meer vor der Küste Maines. Noch einen Blick auf Roses Abraham Lincoln-Schrein. Und welches Lied sang Miriam Sergius zum Einschlafen vor - oder wurde gar nicht gesungen?
    In "Der Garten der Dissidenten" verdeckt die Brillanz gelegentlich die Brillanten. Und die amerikanische Linke? Phantome haben es an sich, ungreifbar zu bleiben - auch in Form dieses Romans.
    Jonathan Lethem: Der Garten der Dissidenten. Roman. Aus dem Amerikanischen von Ulrich Blumenbach. Tropen Verlag, Stuttgart 2014. 276 Seiten. 24.95 Euro.

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