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Bühnen-Premiere für "Der Turm"

Die letzten Jahre der DDR aus Sicht einer Dresdner-Arztfamilie schildert der autobiografisch gefärbte Roman "Der Turm" von Uwe Tellkamp. Zwanzig Jahre nach der Wende fand der preisgekrönte Roman des Autors auf die Bühne des Dresdner Staatsschauspiels.

Von Hartmut Krug | 25.09.2010
    Natürlich ist es ein Heimspiel, wenn Uwe Tellkamps Roman "Der Turm" in Dresden auf die Bühne gelangt, denn ein großer Teil des Publikums hat diese "Geschichte aus einem versunkenen Land" miterlebt. Der Gefahr, dass das kennerhafte Publikum die Vergangenheit direkt wieder gespiegelt haben will, begegnet Regisseur Wolfgang Engel, von 1980 bis 1991 prägender Hausregisseur am Staatsschauspiel Dresden, mit einem klugen Verzicht auf jede äußerliche Rekonstruktion von DDR-Realität. Also sieht man keine DDR-Retroshow, sondern eine Auseinandersetzung mit individuellen und gesellschaftlichen Haltungen einer Schicht von Menschen in Alltagskleidung, die zu DDR-Zeiten über der Elbe im Stadtteil Weißer Hirsch lebten.

    Bühnenbildner Olaf Altmann hat dafür ein funktionales Bühnenbild gebaut: ein offenes dreistöckiges Eisengerüst mit jeweils drei Balkonen. Wie hier die Menschen miteinander reden, miteinander verflochten sind, sich wahrnehmen, beobachten oder belauschen, wie also ein jeder mitbekommt, was der andere macht, das ergibt mit den Bewegungen der Figuren, hinauf und hinab, hin und quer, ein wunderbares Bild vom gesellschaftlichen und politischen Beziehungsgeflecht.

    Zunächst aber stehen sie alle vor dem Eisernen Vorhang und ziehen sich die schräge Mütze Tellkamps auf, die dieser bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises im Jahr 2008 trug. Mit diesem ironischen Zitat und dem anschließenden chorischen Aufsagen von Tellkamps Romanbeginn wird deutlich: Identifikatorisches Einverständnistheater wird es hier nicht geben:

    "Und brauner Schnee sank auf die Stadt und saurer Regen von den Braunkohle-Heizkraftwerken, Leim kroch im Fluss vom Zellstoffwerk, und Pittiplatsch winkte vom Fernsehturm, und Sandmann streute Vergessen."

    Eintausend Seiten umfasst der Roman, der auch in Wiesbaden und Potsdam auf die Bühne kommen wird, in einer Fassung John von Düffels. In Dresden hat der Chefdramaturg Jens Groß, der mit der Einrichtung von Einar Schleefs "Gertrud" für Frankfurt und mit Ingo Schulzes "Adam und Evelyn" für Dresden gezeigt hat, wie man die Essenz von Romanen in einer Bühnenfassung bewahren kann, gemeinsam mit Armin Petras eine mehr als dreistündige Fassung geschaffen. Sie bewahrt Tellkamps weit gefächertes Figurenpanorama und zeigt die individuell unterschiedlichen Strategien der Figuren, mit der Gesellschaft und ihren Zwängen zu leben. Das von Tellkamp ausführlich geschilderte Bildungsbürgerleben mit Hausmusik spielt in dieser Aufführung kaum eine Rolle. In Wolfgang Engels schnörkelloser Inszenierung erscheinen die Menschen als suchende Haltungsträger, nicht als politische Verlautbaren. Gezeigt werden Familiengeschichten als Gesellschaftsgeschichte, mit Wissenschaftlern, Literaten, Funktionären, Ärzten und einem Chemiker, - und über die Kinder, die vor dem Bühnenturm die harte DDR-Realität erfahren, kommt auch die Armee ins Spiel.

    Im Zentrum steht der Chirurg Richard, bei dessen 50.Geburtstag alles laut wird, was es im letzten Jahrzehnt der DDR an unterschiedlichem Verhalten gegeben hat: politische Phrasen und ängstliche Anpassung, Protest und politischer Witz, antifaschistische Erfahrung und Ausreisewunsch. Der Schauspieler Holger Hübner spielt diesen Richard mit schöner Differenziertheit als einen handfesten Normalbürger, der sowohl in politischen wie in privaten Zwängen steckt. Wenn Schauspieler zwei Figuren verkörpern, zeigen sie dabei zwei Facetten einer Figur: so Werner Rehm als Chefarzt und als Verleger, der den routinierten Schwätzer, aber auch den Selbstmord begehenden Kommunisten spielt. Lars Jung gibt sowohl einen Arzt wie den stalinistisch posierenden Schriftsteller, der als Peter-Hacks-Karikatur erscheint. Pragmatisch, mit der Absage gegen jede Öffnung gegenüber anderen Menschen, verschließt sich Benjamin Höppners Lektor erschreckend völlig in sich, während Christine Hoppe so routiniert wie lebendig das Klischee einer jungen, begeisterten und scheiternden Autorin vorführt.

    Es ist souveränes Schauspielertheater, bei dem nur das Stasibruderpaar allzu klischeehaft wirkt und das abschließende Kostümfest inszenatorisch und schauspielerisch etwas entgleist. Doch insgesamt, auch mit der mitten im Wort abbrechenden Schlussszene der Aufführung, als sich bei der Demonstration am Dresdner Hauptbahnhof eine Mutter und ihr Sohn auf zwei Seiten wiederfinden, gelingt insgesamt eine beeindruckende und eindrückliche Inszenierung.