Mittwoch, 24. April 2024

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Bürger besichtigen Stuttgart 21
Mehr Transparenz schaffen

Das Bahnprojekt Stuttgart 21 ist die größte Baustelle im Süden Deutschlands. Ursprünglich sollte das Vorhaben 4,5 Milliarden Euro kosten, jetzt kalkuliert die Bahn mit 6,5 Milliarden Euro. Am Tag der offenen Tür waren deshalb viele Besucher gekommen, um zu schauen, was genau mit dem vielen Geld passiert.

Von Thomas Wagner | 09.01.2017
    Stuttgart 21: Blick auf die Großbaustelle im Gleisfeld des Hauptbahnhofes
    Stuttgart 21: Blick auf die Großbaustelle im Gleisfeld des Hauptbahnhofes (picture alliance / dpa / Benjamin Beytekin)
    "Schau mal, Henry, jetzt dürfen wir da baggern. Das ist ja Wahnsinn!"
    Sieben Grad Minus, der Boden hart wie Beton gefroren. Und trotzdem: unermüdlich gräbt sich der gelbe Bagger ins Erdreich hinein, immer und immer wieder, mitten in der Innenstadt von Stuttgart:
    "Ich war grade auf dem Bagger. Und das Absolute, das kann man gar nicht beschreiben. Ich tue unheimlich gerne Bagger fahren, hier bei Stuttgart 21. Ich habe bei Stuttgart 21 beim Baggern ein wenig mitgeholfen."
    Beim "Tag der offenen Großbaustelle Stuttgart 21" dürfen Besucher wie Gerd Schmölz tatsächlich auch ein bisschen mit baggern – und mit staunen, beispielsweise am Zaun der sogenannten "Baugrube Nummer 16."
    "Somit haben wir eine selbstständige Heilung von Rissen. Wir wollen kein Schwimmbad. Und keinen schwimmenden Zug."
    Das Ziel: Mehr Transparenz schaffen
    Gelber Helm, orangene Weste: Ein Techniker erklärt den Besuchern, wie man die Züge, die in Stuttgart zukünftig aus der Tiefe kommen, vor Wasser im Erdreich schützen will. Ein älterer Mann schaut nach unten, in die riesige Grube mit allerlei Furchen, Erdmassen und Kabeln:
    "Also Sie sehen hier schon mal den künftigen Bahnhof im Prinzip. Sie können die Einschnitte sehen, aus denen später mal die Gleise entstehen – ein beachtlicher Fortschritt. Ja, sehr beeindruckend."
    Nur ein paar Gehminuten entfernt, im sogenannten "Turmforum" des alten Stuttgarter Hauptbahnhofes, befindet sich der Arbeitsplatz von Tanja Sehner. Sie hat im Auftrag des "Vereins Bahnprojekt Stuttgart-Ulm e. V." den "Tag der offenen Baustelle S 21" mit organisiert. Das Ziel: Mehr Transparenz schaffen.
    "Das ist uns derzeit sehr sehr wichtig. Bei diesen Veranstaltungen haben die Leute die Möglichkeit, ganz direkt den Leuten, die am Projekt arbeiten, den Fachleuten, ihre Fragen zu stellen, auch kritische Fragen zu diskutieren. Und wir haben natürlich auch immer wieder Gegner hier vor Ort. Und da entwickeln sich immer wieder interessante Diskussionen."
    "In Wirklichkeit fehlen noch jede Menge Genehmigungen. Es fehlen jede Menge Zustimmungen der Grundstückseigentrümer, dass ihr Grundstück unterfahren werden darf von der Bahn. Es gibt so viele Widrigkeiten auch beim Bau."
    Sehen, was mit dem Geld passiert
    Ingrid Stanimirov ist eine der Gegnerinnen von Stuttgart 21, verteilt Flugblätter. Ihre Forderung: Das Großprojekt stoppen, sofort – stattdessen über Alternativen beraten – und das, obwohl das Bahnhofsgelände längst voll mit Kränen, Baggern und Bauarbeitern.
    "Das Umstiegs-Konzept bemüht sich, alle vorhandenen Baustellen umzunutzen, den Bahnhofstrog anders zu gestalten, nicht mit Gleisen zu belegen, sondern einen unterirdischen Busparkplatz da rein zu machen, Fahrradparkplätze."
    "Der Tunnel muss ja deshalb weg."
    Doch an diesem Wochenende tun sich die Stuttgart-21-Gegner schwer damit, Gehör zu finden: Die meisten Baustellen-Besucher sind gekommen …
    "… einfach auch mal, um das Positive zu sehen, was an dieser Baustelle passiert. Es wurde ja genug rumprotestiert und gemeckert . Aber die Mehrheit hat sich ja wohl für den Bau ausgesprochen. Und die möchte sehen, was mit dem Geld passiert. Und da passiert ganz schön was."
    Sehen, was mit dem Geld passiert. Genauer müsste es eigentlich heißen: Sehen, was mit dem vielen Geld passiert. Vor knapp vier Jahren lagen die kalkulierten Kosten für Stuttgart 21 bei 4,5 Milliarden Euro. Jetzt kalkuliert die Bahn als Bauherr bereits mit zwei Milliarden mehr, nämlich mit 6,5 Milliarden Euro. Viele der Baustellenbesucher zucken mit den Schultern.
    "Als Betriebswirtschaftler sage ich: Gut für die Wirtschaft"
    "Ich heiße Steffen Preis. Und ich bin Unternehmer. Als Betriebswirtschaftler sage ich: Gut für die Wirtschaft. Denn ausgegeben wird es so oder so. Dann ist es gut, wenn es hier landet. Und ob es vier Milliarden kostet oder sechs – das ist eh weg inflationiert."
    "Wenn Sie einen Bau anfangen, dann wird der mal kalkuliert. Und dann gibt es so und so viel Einsprüche. Da gibt es Brandschutzverordnungen. Dann gibt es Gesetzesänderungen."
    Das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart, neben der Deutschen Bahn AG wichtigste Projektpartner bei S 21, denken allerdings anders, wollen sich nicht an den Mehrkosten von zwei Milliarden Euro beteiligen. Die Deutsche Bahn AG will sie derzeit vor Gericht dennoch dazu zwingen. Doch von all dem ist beim "Tag der offenen Baustelle" wenig die Rede.
    Sei es Glühwein oder alkoholfreier Punsch: Bei minus sieben Grad ist all das, was die Bahnhofsmission auf dem Baustellengelände bereit hält, heiß begehrt, und zwar "… gegen Spende."
    Die allerdings, versichert Glühwein-Ausschenkerin Sarah Heinrich, wird verlässlich nicht verwendet, um das Milliardenloch von Stuttgart 21 zu stopfen: "Sicher nicht. Die ist für die Bahnhofsmission."