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Bürgerkrieg in Syrien
Durst als Waffe

Fast zwei Millionen Menschen in der umkämpften nordsyrischen Stadt Aleppo sind derzeit laut UNO von der Wasserversorgung abgeschnitten, weil alle Konfliktparteien Wasser als Waffe benutzen. Für die Bevölkerung heißt das: Verdursten oder verunreinigtes Wasser trinken - und ein paar Monate später vielleicht an Krankheiten sterben.

Von Björn Blaschke | 26.09.2016
    Ein Junge in Aleppo trägt einen Container mit Wasser.
    Ein Junge in Aleppo trägt einen Container mit Wasser. (AFP / Karam Al-Masri)
    Neben Hunger kommt in Syrien jetzt verstärkt die Waffe "Durst" zum Einsatz: Fast zwei Millionen Menschen in der nordsyrischen Stadt Aleppo haben keinen Zugang mehr zu Trinkwasser. Der Grund: Vor einigen Tagen wurde das Wasserwerk Bab al-Nairab beschädigt. Das versorgte rund 250.000 Menschen im Ostteil Aleppos, den Rebellen halten, mit Wasser.
    Aus Rache haben dann Rebellen die Pumpanlage Suleiman al-Halabi abgeschaltet. Die befindet sich ebenfalls in dem von Rebellen kontrollierten Ostteil Aleppos. Aber: Die Anlage versorgte vor allem Menschen im Westen der Stadt, den Einheiten von Präsident Baschar al-Assad kontrollieren, mit Wasser.
    Beide Seiten nutzen Wasserentzug intensiv
    Insgesamt sind jetzt fast zwei Millionen Menschen in Aleppo von der Wasserversorgung abgeschnitten - so in einer Erklärung am Wochenende die Leiterin des UNO-Kinderhilfswerkes in Syrien, Hanna Singer. Unlängst hatte sie dem ARD-Studio Kairo ein Interview gegeben. In dem erklärte die UNICEF-Syrien-Chefin:
    "Wasser wurde hier ständig als Kriegswaffe eingesetzt; und kommt nach wie vor als Waffe zum Einsatz - in ganz Syrien."
    Beide Seiten nutzen diese Waffe - Gegner und Unterstützer von Präsident Baschar al-Assad. Und in Aleppo im vergangenen Jahr besonders intensiv:
    "Wir haben genau 42 Tage dokumentiert, an denen es kein Wasser in Aleppo gab. Weil in den Gebieten, die bewaffnete Gruppen kontrollieren, die Wasserversorgung sabotiert wurde. Oder die Stromversorgung, was die Pumpsysteme lahmlegt. Deshalb haben die Menschen gelitten - und zwar in der heißesten Zeit des Jahres: Kein Wasser."
    Granaten auf UNO-Tanklastzüge
    In einer Phase im Sommer des vergangenen Jahres konnte die UNO mit Tanklastzügen Wasser nach Aleppo liefern. Die Menschen haben sich das kostbare Nass in Eimern, Schüsseln oder anderen Gefäßen geholt. Bis einer der Wasser- Tanklastzüge mit Granaten angegriffen wurde; einige spielende Kinder kamen um. Danach speisten die UN-Mitarbeiter das Wasser direkt in das Leitungssystem ein - unterhalb des Punktes, an dem eine Rebellengruppe die Leitung sabotiert hatte. Neben dem Durst, droht aber noch etwas, wenn die Versorgung mit Frischwasser unterbrochen wird:
    "Es gibt immer die Angst davor, dass ohne Trinkwasser Krankheiten ausbrechen können."
    Denn: Sobald die Menschen kein Frischwasser haben, beginnen sie das zu trinken, was noch da ist: Und das ist oft nur noch Brauch- oder Abwasser. Omar al-Khattan, ein Wasserexperte von UNICEF in Damaskus sagte dazu bereits vor einigen Monaten:
    "Trinkwassermangel tötet Dich von heute auf morgen; Abwasser bringt Dich drei, vier Monate später um. Krankheiten, die sich aus verunreinigtem Wasser heraus entwickeln, sind das bessere Übel. Die Alternative ist: Du kannst verdursten oder verunreinigtes Wasser trinken. Und ansonsten bleibt nur noch eines: Flucht. Entweder innerhalb des eigenen Landes oder raus aus Syrien, was das bedeutet, kann man in Europa sehen."
    Das ganze Trinkwassersystem ist beschädigt
    Gelegenheit zu fliehen, haben allerdings nur die Menschen, die im Westen Aleppos wohnen, unter der Kontrolle der Assad-Getreuen. Die mehr als 250.000 Menschen im Osten der Stadt - im Herrschaftsgebiet der Rebellen - haben diese Möglichkeit nicht; sie werden belagert. Doch Wasser ist nicht allein ein Problem für die Bewohner von Aleppo. In ganz Syrien ist das Trinkwassersystem vom Krieg in Leidenschaft gezogen - und das obwohl es einst recht gut entwickelt war. Noch einmal der Wasserbauingenieur Omar al-Khattan:
    "Vor der Krise, also dem Krieg, hatte ein durchschnittlicher Syrer zwischen 120 und 180 Liter Wasser täglich zur Verfügung, was für diese Region recht gut ist. Jetzt bekommen sie nur fünf Prozent davon - rund sechs bis neun Liter. Höchstens. Und das entspricht zwei Prozent dessen, was man in Deutschland am Tag durchschnittlich verbraucht!"