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Bürgerschaftliche Initiative
Denkmal für polnische Opfer deutscher Besatzung

Mehr als ein Fünftel der polnischen Gesamtbevölkerung wurde im Zweiten Weltkrieg durch die Nazis ermordet: Polen als Nation sollte ausgelöscht werden. Bis heute ist es zu keiner wirklichen Aussöhnung gekommen, meint auch Wolfgang Thierse und fordert ein Andenken.

Von Christiane Habermalz | 16.11.2017
    Denkmal des Warschauer Aufstands am Krasinski Platz in Warschau am 04.07.14. Hier befand sich zur Zeit des Aufstands ein Einstiegsschacht in einen Kanal, durch den die Menschen vor den Deutschen flohen.
    Denkmal des Warschauer Aufstands am Krasinski Platz in Warschau (imago stock&people)
    Polen, so die Begründung der Initiatoren um die ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse und Rita Süßmuth, habe besonders unter der NS-Besatzung gelitten. Die Zahl der zivilen Opfer war mit sechs Millionen Toten immens hoch - mehr als ein Fünftel der Gesamtbevölkerung kam ums Leben, davon allein drei Millionen polnische Juden, plus drei Millionen nicht-jüdische polnischen Zivilsten, die Opfer deutscher Verbrechen wurden. Das Nachbarland war erstes Ziel rassistischer Untermenschen-Ideologie der Nazis, mit Massenhinrichtungen, Erschießungen von Kriegsfangenen und Zivilisten, sowie der gezielte Ermordung der Eliten und Zerstörung zahlreicher Dörfer, Städte und Kulturstätten. Polen sollte als Nation ausgelöscht werden.
    "Also das ist etwas, was eine besondere Belastung des deutsch-polnischen Verhältnis dann bis heute hervorgebracht hat: Dass eben Polen nicht nur das erste Experimentierfeld war, sondern auch der Ort, der von den Deutschen ausersehen war, als der Ort der industriellen Vernichtung der europäischen Juden", erklärt Dieter Bingen, Direktor des Deutschen Polen-Instituts und einer der Mitinitiatoren der Denkmals-Initiative.
    Noch keine wirkliche deutsch-polnische Aussöhnung
    Doch bis heute ist es nicht zu einer wirklichen deutsch-polnischen Aussöhnung gekommen wie etwa mit Frankreich. Die besonderen Leiden der polnischen Bevölkerung seien auch nach dem Krieg nie wirklich anerkannt worden, sagt Wolfgang Thierse.
    "Wir erinnern auch an den wunderbaren polnischen Außenminister Bartoszewski, der uns Deutschen immer bescheinigt hat, ihr geht auf erstaunliche Weise selbstkritisch mit unserer Geschichte um. Aber Polen ist irgendwie ein blinder Fleck dabei. Diese Kritik haben wir ernst zu nehmen."
    Bisher rund 70 Unterzeichner
    Der Aufruf zur Errichtung eines Denkmals versteht sich als bürgerschaftliche Initiative und wird von einem Unterstützerkreis aus rund 70 Unterzeichnern getragen, darunter zahlreiche Historiker und viele prominente Namen.
    Adressat ist der Deutsche Bundestag, er soll, analog zur Genese des Holocaust-Mahnmals, über den Vorschlag debattieren, einen Beschluss herbeiführen und einen Wettbewerb ausschreiben. Auch einen konkreten Ort haben die Initiatoren schon in Auge gefasst: Die Grünanlage direkt gegenüber dem Deutschlandhaus, in dem die Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" ihre Dauerausstellung über die Geschichte der Vertreibung der Deutschen plant. Ein Projekt, das in Polen von Anfang an mit großem Argwohn betrachtet wurde und bis heute wird.

    "Da finden wir es sehr sinnvoll, sehr gut, dass genau dort auch noch einmal an das verursachende Leid erinnert wird, das dann auch zur Vertreibung der Deutschen geführt hat. Genau deshalb ist es richtig, es gibt diesen geschichtlichen inneren Zusammenhang."
    Wolfgang Thierse, ehemaliger Präsident des Deutschen Bundestags.
    Wolfgang Thierse, ehemaliger Präsident des Deutschen Bundestags. (imago stock&people)
    Einstieg in eine National-Gedenkkultur?
    Doch es gibt auch Gegenstimmen. Einige der um Unterstützung angefragten Historiker haben davor gewarnt, ein Denkmal für die polnischen Opfer könnte der Einstieg in eine National-Gedenkkultur sein - und müsste dann nicht auf gleiche Weise auch der griechischen, tschechischen, russischen Opfer der Naziherrschaft gedacht werden? Andreas Nachama, Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, weist die Einwände zurück: Polen sei nicht nur das erste deutsche Opfer, sondern auch ein besonderes gewesen.
    "Es gibt ja auch andere Initiativen, die sagen, lasst uns ein Denkmal für alle Osteuropäer machen. Das ist aber eine sehr deutsche und noch dazu eine Sicht, die aus dem Blick der Nationalsozialisten heraus kommt, die den einzelnen Nationen nicht gerecht wird."
    Doch ist es wirklich dieses Denkmal, was das derzeitige deutsch-polnische Verhältnis braucht, gäbe es nicht angesichts der nationalistischen und revanchistischen Töne aus Warschau ganz andere Themen, die jetzt wichtig sind?
    Verhaltene Reaktionen aus Polen
    Erste offizielle Reaktionen aus Polen waren eher verhalten. Die Deutschen sollten nicht glauben, mit einem Denkmal von den polnischen Reparationsforderungen ablenken zu können, hieß es aus Kreisen der Regierungspartei PIS. Das Denkmal richte sich nicht an die PIS, sondern an die polnische Nation, sagen die Initiatoren. Und es sei ein Zeichen, das nicht nur nach außen, sondern auch nach innen wirken solle. Denn das Ausmaß der deutschen Verbrechen in Polen sei in der deutschen Gesellschaft kaum bekannt - bis heute. Wolfgang Thierse:
    "Wir richten uns auch gegen Versuche, die deutsche Geschichte, die Geschichte der Wehrmacht und unsere Erinnerungskultur zu bereinigen und zu beschönigen von einer bestimmten Partei. Und wir lassen das nicht zu. Wir wollen auch mit diesem Denkmal daran erinnern, dass zum moralischem Fundament unserer Republik die verpflichtende Erinnerung an die Verbrechen der Nazizeit gehört. Und die Verbrechen gegenüber den Polen sind ein besonders schlimmes Kapitel innerhalb dieses deutschen Schuldkapitels."