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Bürokratie für die völkische Kunst

1933 beschloss das Reichskabinett unter Adolf Hitler das Reichskammerkulturgesetz. Für Kulturschaffende bestand ab da Zwangsmitgliedschaft in einer der sieben Kammern, von Film bis Bildende Kunst. Immer drohte der Ausschluss - und damit die Vernichtung der bürgerlichen Existenz.

Von Bernd Ulrich | 22.09.2013
    Das Reichskammergesetz öffnete die Schleusen für ein Meer von Denunziationen unter den "Kulturschaffenden" - während Polizei und Gestapo die Arbeiten verfemter Künstler aufspürten und die erteilten Berufsverbote kontrollierten.
    Von Bernd Ulrich

    "Einer der wesentlichsten Programmpunkte des nationalsozialistischen Staates ist der ständische Aufbau. Die Reichskulturkammer umfasst sieben einzelne Kammern, wovon eine der Kammern die Reichskammer der Bildenden Künste ist."

    Dem Architekten Eugen Hönig ist der Stolz auf die ihm angetragene Präsidentschaft der Reichskulturkammer der Bildenden Künste auch noch im August 1934 anzumerken, neun Monate nach seiner Berufung. Penibel listete er in seinem Rundfunkvortrag die ganze Bandbreite der in seiner Kammer versammelten Berufe auf. In ihr …

    "… sind Architekten, Gartengestalter, Maler und Grafiker, Gebrauchsgrafiker, Bildhauer, Kopisten, Kunsthandwerker, Kunst- und Antiquitätenhändler, Kunstverleger und Kunstblatthändler, Werbefachleute, Kunst- und Künstlervereine zusammengeschlossen. Alle Künstler einer Gattung sind in Fachverbände zusammengefasst, die sich in Landesstellen gliedern."

    So gleichermaßen bürokratisch wie total in seinem Anspruch war das groß angelegte Projekt "Reichskulturkammer" insgesamt und in allen sieben, nahezu zeitgleich gegründeten Kammern, von der Reichsschrifttumskammer bis zur Reichsfilmkammer, und in 63 Fachverbänden. Als Spiritus Rector firmierte der frisch installierte Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels.

    Auf seine Initiative hin wurde das Reichskammerkulturgesetz am 22. September 1933 vom Reichskabinett verabschiedet und alsbald in einer Bände füllenden Vielzahl von Ausführungsgesetzen und Ergänzungsverordnungen ausgestaltet. Der Historiker Volker Dahm bilanzierte in seiner 1986 publizierten Studie zur Reichskulturkammer:

    An die Stelle des individualistischen Prinzips sollte das völkische treten, an die Stelle des freien künstlerischen Schaffens der Dienst an der ´Volksgemeinschaft`.

    Der eigentliche Hebel, mit dem dies erreicht werden sollte, fand sich schon in der vorab, im Juli 1933, gegründeten Reichsfilmkammer und deren erster Verordnung. Sie legte fest, was nun auch für die neu gegründeten Kammern Gültigkeit hatte: Allein die Mitgliedschaft bildete die Grundvoraussetzung für die Berufsausübung im jeweiligen kulturellen Bereich. Oder, wie es Eugen Hönig unfreiwillig zynisch formulierte:

    "Denn es kann nicht in das Belieben des Einzelnen gestellt werden, der Standesorganisation anzugehören oder nicht. Das Dritte Reich denkt viel zu groß von Kunst und Künstlern, um deren Wohlergehen dem Zufall zu überlassen. "

    Dabei waren sich die Verantwortlichen völlig im Klaren darüber, welche Konsequenzen eine Ablehnung der Mitgliedschaft oder ein Ausschluss nach sich zogen. Der Präsident der Reichsschrifttumskammer, der Jurist und völkische Schriftsteller Hans Friedrich Blunck, im Dezember 1933:

    Die Ablehnung bedeutet Zwang zur Auswanderung oder aber wirtschaftliche und moralische Verfemung, in den meisten Fällen die Vernichtung der bürgerlichen Existenz.

    Das Reichskammergesetz öffnete die Schleusen für ein Meer von Denunziationen unter den "Kulturschaffenden" - während Polizei und Gestapo die Arbeiten verfemter Künstler aufspürten und die erteilten Berufsverbote kontrollierten. Zugleich hatten bereits zahlreiche bedrohte und drangsalierte Künstler und Wissenschaftler seit der "Machtergreifung" ihre Arbeit verloren, waren außer Landes geflohen oder ausgebürgert worden.

    Die volle Härte des Ausschlusses traf jüdische und mit Juden verheiratete Künstler. Aber etwa auch nationalkonservative und sogar mit dem NS-Staat sympathisierende Autoren gerieten ins Visier. Als sich der damalige Bestsellerautor Ernst Wiechert Anfang 1938 mit dem verfolgten Martin Niemöller solidarisierte, wurde er sofort aus der Kammer ausgeschlossen und auf Anordnung von Goebbels ins Konzentrationslager Buchenwald eingeliefert. Nach drei Monaten im Lager ließ ihn sich Goebbels "vorführen". "Ich bin", vermerkt er in seinem Tagebuch am 30. August,

    in bester Form und steche ihn geistig ab. Der Delinquent ist am Schluss ganz klein. Das ist sehr gut so. Hinter einem neuen Vergehen steht nun die physische Vernichtung. Das wissen wir nun beide.

    Wiechert wurde zwar wieder in die Kammer aufgenommen, durfte aber nur noch unter strengsten Auflagen publizieren. Unmittelbar nach Kriegsende kassierten die Alliierten in ihren Besatzungszonen das Reichskulturkammergesetz und lösten die Kammern mit sofortiger Wirkung auf.