Donnerstag, 28. März 2024

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Bulgakows "Don Quijote"
Griechisches Theater gegen Windmühlen

Die Schauspieler des Theaters Thessaloniki bekommen seit Monaten keine Gagen, trotzdem spielen sie nun Bulgakows "Don Quijote". Die Inszenierung entschlüsselt vor allem die Machtlosigkeit, die Bulgakow beim Schreiben spürte. So braucht es gar keine große Änderung am Stoff, damit sich die Schauspieler die Sprache des Originals zu eigen machen können.

Von Marianthi Milona | 27.12.2014
    "Nach der Veröffentlichung meiner Stücke, wurden alle ohne Ausnahme verboten. Nirgendwo fand ich eine positive Kritik. Nicht eine einzige. Man beklagte, ich würde falsche Ideen verbreiten. Man fluchte über mich öffentlich. Ich habe keine Kraft mehr, um in der Sowjetunion als Schriftsteller zu leben. Ich bat die Regierung um meine Ausreise ins Ausland. Es wurde abgelehnt. Ich bat um die Zurückgabe meiner konfiszierten Werke und Tagebücher. Es wurde abgelehnt. Ich sehe keinen anderen Weg. Bitte antworten Sie."
    Die erste europäische Inszenierung von Michail Bulgakows "Don Quijote" aus dem Jahr 1938 beginnt mit einem Brief des Schriftstellers an Stalin. Politischer könnte ein Theaterstück auf einer staatlichen Bühne Griechenlands momentan nicht angelegt sein. Die griechischen Theaterleute in Thessaloniki bekommen seit Monaten ihre Gagen nicht bezahlt. Das kulturelle Leben der Stadt läuft auf Sparflamme. - Umso mehr erschien es bedeutend, diese ungewöhnliche Version des Cervantes-Klassikers "Don Quijote" einzustudieren. Die griechischen Theaterleute können die Ungerechtigkeit, die Bulgakow widerfahren war, nur zu gut nachempfinden, erklärt Theaterdirektor Jiannis Vouras.
    "Wir alle verstanden, dass die künstlerische Stimme Bulgakows brutal zum Schweigen gebracht wurde. So musste er den Weg über einen anderen Träumer, den von Cervantes finden, um alles das zum Ausdruck zu bringen, was ihm einen Kloß im Hals verursachte und er selbst nicht selbst aussprechen durfte."
    Antike Vorbilder
    Entdeckt hat das Stück in russischer Sprache nach fast 80 Jahren die griechische Dramaturgin Amalia Kondojianni. Schnell musste dann eine brauchbare Übersetzung her, das russische Konsulat in Thessaloniki unterstützte das Vorhaben.
    Die griechische Inszenierung wurde nach antikem Vorbild satirisch-komödiantisch angelegt: Lautes Geschrei, ein herumspringendes Bauernvolk im Kreis von Dulcinea, Don Quijotes heimlicher Liebe, und ein ängstlich, scheuer, aber logisch denkender Sancho Pancha, ein Ritterknecht mit Vollbart und dicken Oberschenkeln, der bewusst als närrische Ulknudel, einer aristophanischen Clowns-Figur entnommen zu sein scheint. Ein Vergleich, den Regisseur Jiannis Leondaris passend findet.
    "Meiner Ansicht nach kritisiert das Stück das politische System zur Zeit Bulgakows. Rein oberflächlich betrachtet, ist dieser Don Quijote ein simpler Held, passend für eine Kindervorstellung. Wir alle haben aber sofort gespürt, dass noch etwas anderes zwischen den Zeilen zu lesen war. Wie könnte es auch anders sein! Ein Schriftsteller, wie Bulgakow, der 10 Jahre zuvor das Meisterwerk "Der Meister und Margarita" geschaffen hatte und sich nun kurz vor seinem Tod mit der Figur 'Don Quijote' auseinandersetzte. Bulgakow schrieb seinen Don Quijote in einer persönlichen Notsituation und im Zustand eines totalen Arbeitsverbots."
    "Dieser Don Quijote muss verrückt sein"
    Szene für Szene entschlüsselt der Schauspieler Giorgos Kikas in seiner Rolle als Don Quijote nun diese Botschaft. Mal als verrückter Spinner, mal als träumender Idealist, mal als passionierter Ignorant seiner eigenen Realität. Einer Realität, die nicht lebbar ist, aber die das System von seinen Bürgern mit allen Mitteln einfordert.
    "Dieser Don Quijote muss wirklich verrückt sein. Wie kann ein Mensch an einer weltweiten Gerechtigkeit inmitten dieser harten Realität glauben? Im dargestellten Wahnsinn Don Quijotes symbolisiert Bulgakow die wahnsinnigen Zustände seiner eigenen Heimat. Am Ende steht seine Niederlage nicht nur für den Verfall der Ideale. Es symbolisiert auch das Ende des Realismus."
    Die Niederlage von Bulgakows Don Quijote hat am Ende nichts mehr mit dem träumenden Ritterhelden von Cervantes zu tun. Bulgakows Werk bleibt auch bis in die letzte Szene hinein traurig. Am Ende stirbt dieser Don Quijote nicht in der Erkenntnis der Unsinnigkeit seiner Taten. Don Quijote stirbt, weil er erkennt, dass ein Visionär in einer Welt ohne Ideen, Träume und Wissen zum Tode verurteilt ist. Seine letzten Worte lauten: "Trotz allem werde ich nicht das sagen, was ihr mir in den Mund legen wollt. Eine schönere als Dulcinea gibt es nicht."