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Bulgarien
Der große Bruder Russland

Bulgarien hängt vollständig am russischen Energietropf. Eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland wären deshalb für das ärmste EU-Mitglied fatal. Die Annexion der Krim bringt für das Land noch andere Nachteile.

Von Karla Engelhard | 17.04.2014
    Blick auf die Alexander-Newski-Kathedrale in Sofia, eines der Wahrzeichen der bulgarischen Hauptstadt
    Ein Teil der gemeinsamen bulgarisch-russischen Geschichte: die Alexander-Newski-Kathedrale in Sofia (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    Mitten in der bulgarischen Hauptstadt Sofia steht die Alexander-Newski-Kathedrale. Das prachtvolle Gebäude mit den goldenen Kuppeln ist dem russischen Nationalheiligen Alexander Newski geweiht. Die Kathedrale wurde zur Erinnerung an Zar Alexander II. und an die rund 200.000 gefallenen russischen Soldaten errichtet. Sie starben bei der Befreiung Bulgariens von der 500-jährigen osmanischen Herrschaft. Der Russisch-Osmanischen Krieg ist mehr als 100 Jahre her. Das bulgarische Sonderverhältnis zum slawischen Bruderland blieb. Heute ist Russland der größte Handelspartner Bulgariens. Allein im vergangenen Jahr betrug der Warenaustausch zwischen den beiden Ländern umgerechnet rund fünfeinhalb Milliarden Euro. Bulgarien lieferte vor allem Arzneimittel und Rosenöl, Russland Roherdöl und Erdgas. Auf den Straßen der bulgarischen Hauptstadt sind Russen gern gesehen:
    "Ich bin bekennende Russophile. Ich glaube auch nicht, dass wir zu sehr von Russland abhängig sind. Aber auch wenn, kann das nur gut für Bulgarien sein."
    "Ich mag die Russen - das russische Volk, seine Kultur. Ich mag die Sprache und vieles mehr. Aber ich mag das imperiale Verhalten Russlands in den vergangenen Jahren nicht. Vor allem die Art und Weise, wie Moskau mit der Ukraine umgeht, das ist imperiales Gehabe."
    Bulgarien importiert bis zu 90 Prozent des benötigten Erdgases aus Russland, Lieferant ist der russische Konzern Gazprom. Die einzige Erdölraffinerie des Landes, " Lukoil Neftochim Burgas" arbeitet ausschließlich mit russischem Öl und die beiden 1000 Megawatt-Reaktoren des bulgarischen Kernkraftwerkes "Kosloduj" , die 40 Prozent des Stroms im Land produzieren, werden mit russischen Atombrennstäben betrieben. Bulgarien hängt vollständig am russischen Energietropf. Sanktionen gegen Russland wären für das ärmste EU-Mitglied fatal. Oder wie Georgi Mintschew, stellvertretender Vorsitzender der bulgarisch-russischen Industrie- und Handelskammer erklärt:
    "Auf Russland mit Sanktionen zu schießen, ist für uns wie sich ins eigene Bein zu schießen. Wir und die baltischen Staaten sind wortwörtlich tödlich abhängig. In diesem Fall würden Sanktionen so etwas bedeuten wie ‚Ich nehme mir selber die Augen heraus, damit meine Schwiegermutter einen blinden Schwiegersohn hat!'"
    Gemeinsames Pipeline-Projekt in der Schwebe
    Das wichtigste russisch-bulgarische Projekt derzeit ist der Bau der South-Stream-Erdgasleitung. Die Pipeline verspricht Bulgarien Milliardengewinne und dazu über 6000 Arbeitsplätze, die dringend gebraucht werden. Nordwestbulgarien, eine der ärmsten Regionen der Europäischen Union, könnte dadurch erschlossen werden.
    Nach der Krim-Annexion von Russland spekulieren jedoch bulgarische Medien über eine Umverlegung der Trasse über die Krim. Russland würde knapp zwei Milliarden Euro sparen, wenn die Pipeline über die Schwarzmeerhalbinsel verläuft, anstatt kostspielig auf dem Grund des Schwarzen Meeres. Solche Szenarien jagen den Bulgaren Angst ein. Sergej Stanischew, Vorsitzender der sozialistischen Regierungspartei, meinte zu Sanktionen gegen Russland wegen der Ukraine jüngst im bulgarischen Fernsehen:
    "Berücksichtigen Sie unseren Warenaustausch mit der Russischen Föderation, das Volumen der Energielieferungen, von denen wir abhängig sind, berücksichtigen Sie auch die Interessen des bulgarischen Tourismus. Erwarten Sie also nicht, dass Bulgarien zu den Habichten in der Europäischen Union gehören wird. Wir haben unsere Interessen, unsere Traditionen, auch rein kulturell und emotional ist das Verhältnis der Bulgaren zu Russland und den Russen ganz anders, freundschaftlicher, als das Verhältnis der baltischen Staaten, von Polen oder von irgendeinem anderen Land."
    Wirtschaftsexperten warnen: Russland könnte in Bulgarien nicht nur den Energiesektor, sondern auch die Chemieindustrie, die Metallurgie, den Maschinenbau und das Bauwesen lahmlegen. Die Strompreise für Privathaushalte würden enorm steigen, eine Hyperinflation drohe. Kurz: Bulgarien würde in kürzester Zeit ruiniert werden. Viel fehlt nicht, schon jetzt leben im EU-Mitgliedsland über 60 Prozent der Bevölkerung in Armut.