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Bulgarien spart trotz Finanzkrise eisern

Bulgarien präsentiert sich mit geringem Haushaltsdefizit und niedriger Staatsverschuldung als europäischer Musterschüler. Doch der Preis ist hoch: Die Arbeitslosigkeit steigt, das Renten- und Gesundheitssystem liegt am Boden. Besonders schlimm ist es im Nordwesten, der ärmsten Region der EU.

Von Simone Böcker | 01.02.2013
    Eine Arztpraxis im Dorf Dolno Ozirovo, Nord-West-Bulgarien. Peter Ivanov misst den Blutdruck seiner Patientin. Mit hochgekrempelten Ärmeln sitzt die 78-jährige Linka Georgieva vor ihm auf der Liege. Draußen warten weitere Patienten auf ihre Behandlung. Es sind ausnahmslos Rentner.

    "Die Einwohnerzahl geht immer weiter zurück. Jedes Jahr sterben viele, und es werden nur ein bis zwei Babys im Jahr geboren, mehr nicht. Die jungen Menschen emigrieren in die Städte, nach Sofia oder ins Ausland, sodass hier fast nur alte Menschen leben."

    Seit 18 Jahren arbeitet der Arzt hier im Dorf. Früher gab es rund 1200 Einwohner. Heute sind es nur noch 350. Krasimira Petrova ist die Arzthelferin - sie füllt das Rezept für Linka aus, dann schreibt sie die Rechnung. Bei Peter Ivanov kostet eine Untersuchung drei Leva, das sind 1,50 Euro. Doch auch das sei oft schon zu viel Geld für die Menschen, erzählt die Arzthelferin.

    "Viele zahlen die Gebühr nicht. Vor allem Bekannte, Freunde - wir kennen uns ja alle hier im Dorf. Und dann heißt es oft: Ach, Herr Doktor, ich hab kein Geld."

    Früher seien 40 Patienten am Tag in die Praxis gekommen, erinnert sich der Arzt. Heute sind es gerade mal zehn. Viele im Dorf, erzählt er, seien noch nicht mal krankenversichert und könnten sich auch deswegen den Arztbesuch nicht mehr leisten. Selbst ein Rezept für das benötigte Medikament hilft den meisten seiner Patienten nicht unbedingt weiter.

    "Das Problem sind die teuren Arzneimittel. Die Leute können sie sich oft nicht leisten. Die Krankenkasse zahlt sehr wenig dazu. Heute bekommen die Leute ihre Rente, dann kommen sie her, um ihre Rezepte abzuholen. Aber wenn das Geld weg ist – was machen sie dann, ohne Medikamente?"

    Peter Ivanov war schon Arzt zu Zeiten des Sozialismus, als die Gesundheitsversorgung kostenlos war. Früher war das Leben besser – das sagen alle seine Patienten. Davon ist auch Linka Georgieva überzeugt. Ihre Tochter ist mit ihrem Mann nach Italien gegangen, weil sie in Bulgarien keine Arbeit gefunden haben. Linka muss sich nun um die Enkelin kümmern, denn die konnte ihre Tochter nicht mit ins Ausland nehmen.

    "Früher waren wir besser dran. Wir hatten Arbeit und waren zufrieden. Wir haben nicht viel Geld verdient, aber es hat für alles gereicht. Und jetzt? Das Geld reicht für nichts! Die Rechnungen für Telefon, Wasser, Medizin - mit 100 Euro Rente, wie soll das gehen?"

    Peter Ivanov nickt, während Linka ihr Rezept entgegen nimmt. Er macht seit einiger Zeit eine Weiterbildung zum Allgemeinarzt. Zwar ist er gerne der Dorfarzt in Dolno Ozirovo. Aber die Überalterung, so fürchtet er, wird ihn früher oder später zwingen, die Praxis aufzugeben. Wenn nicht endlich Arbeitsplätze geschaffen werden und die Menschen in ihrer Heimat bleiben können.

    "Mit einer Spezialisierung kann man auch woanders eine Stelle finden. Vielleicht werde ich mir in zwei oder drei Jahren etwas anderes suchen. Wie sehen hier meine Perspektiven aus? Mit noch weniger Patienten?"

    Peter Ivanov ist sich bewusst, dass kein neuer Arzt seine Stelle besetzen wird, sollte er seine Praxis aufgeben. Nachdem bereits die Schule im Ort geschlossen wurde und die Zahl der Kindergartenkinder stetig sinkt, wird es vielleicht künftig auch keinen Dorfarzt mehr geben in Dolno Ozirovo.