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BUND: Aigner stellt sich "häufig taub" beim Chemikalienschutz

Frankreich verbietet den Weichmacher Bisphenol A ab 2015 in allen Lebensmittelverpackungen. Dass derlei in Deutschland nicht geplant ist, wundert Sarah Häuser, Chemikalienexpertin des BUND nicht. Eine "starke Industrielobby" wehre sich erfolgreich gegen eine strengere Regulierung des Giftstoffs.

Sarah Häuser im Gespräch mit Britta Fecke | 10.10.2012
    Bis vor Kurzem waren auch Babyfläschchen mit Bisphenol A versetzt, das ist jetzt verboten. Im Campingbesteck etwa findet sich der Stoff jedoch immer noch.
    Bis vor Kurzem waren auch Babyfläschchen mit Bisphenol A versetzt, das ist jetzt verboten. Im Campingbesteck etwa findet sich der Stoff jedoch immer noch. (picture alliance / dpa/ Weng lei - Imaginechina)
    Britta Fecke: Bisphenol A wird auch als Weichmacher für Kunststoffprodukte genannt. Es ist aber schlicht ein Stoff zur Herstellung von Polycarbonat, einem Kunststoff, der vom Plastikbesteck bis zur Beschichtung in der Konservendose überall zu finden ist und von dort über den Kontakt zu Lebensmitteln vom Menschen aufgenommen wird. Toxikologen warnen schon lange vor einer zu hohen Dosis von Bisphenol A, kurz BPA. Der Stoff kann unter anderem Hirnschäden bei Kleinkindern verursachen. In Babyflaschen ist BPA seit letztem Jahr EU-weit verboten, Frankreich geht allerdings noch weiter. Dort soll Bisphenol A ab 2015 in keiner Lebensmittelverpackung mehr zu finden sein. – Ich bin jetzt verbunden mit Sarah Häuser, sie ist Expertin für die Chemikalienpolitik beim Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland. Frau Häuser, warum ist der Stoff Bisphenol A so umstritten im Kontakt mit Lebensmitteln und welche Wirkung wird ihm überhaupt nachgesagt?

    Sarah Häuser: Der Stoff Bisphenol A ist in Kontakt mit Lebensmitteln umstritten, weil er von der Konservendose zum Beispiel in das Lebensmittel übergeht und dann auch vom Menschen aufgenommen wird und in den Körper gelangt. Er hat eine hormonelle Wirkung. Er hat eine östrogene Wirkung, wirkt ähnlich wie das weibliche Sexualhormon Östrogen und kann dadurch auch den Regelungsmechanismus des Körpers aus dem Takt bringen. Das Hormonsystem ist zum Beispiel fürs Wachstum auch zuständig, also für die geistige Entwicklung und für die körperliche Entwicklung, und deswegen sind da besonders auch Kleinkinder oder Föten im Mutterleib gefährdet durch diese Stoffe.

    Fecke: Das heißt also, ein hormonähnlicher Stoff, dem Östrogen ähnlicher Stoff kann zu Hirnschäden führen, das stimmt?

    Häuser: Genau, kann die Hirnentwicklung beeinträchtigen, kann die Organentwicklung beeinträchtigen, kann zu Missbildungen führen der Sexualorgane vor allem, wird auch teilweise mit hormonabhängigen Krebsarten in Zusammenhang gebracht. Da gibt es eine ganze Reihe von Studien, von Tierversuchen, aber auch von epidemiologischen Studien, wo man sich die Wirkung auf den Menschen anschaut, die belegen, dass dieser Stoff große Probleme macht.

    Fecke: Sie haben gerade die Konservendose, diese Kontaktbeschichtung zwischen Konserve, zwischen dem Aluminium und dem Lebensmittel schon geschildert, dass man BPA dort findet. Wo ist es noch zu finden?

    Häuser: Außerdem ist es noch in Polycarbonat-Kunststoffen zu finden. Das ist so ein harter, bruchfester Kunststoff. Früher waren daraus Babyfläschchen gemacht, das ist jetzt verboten, gibt es aber teilweise immer noch im Bereich der Küchenutensilien, Schüsseln zum Beispiel, …

    Fecke: Das Campingbesteck.

    Häuser: …, Campingbesteck, DVDs, CDs, teilweise Autoteile sind aus Polycarbonat gemacht. Und dann findet man Bisphenol A auch noch in Thermopapier, also in Kassenbons zum Beispiel.

    Fecke: Aber damit habe ich ja eigentlich keinen direkten Kontakt zum Lebensmittel.

    Häuser: Genau. Der Lebensmittel ist der sensibelste Anwendungsbereich, wobei Bisphenol A auch durch die Haut in den Körper gelangen kann, wenn man mit Kassenbons längere Zeit hantiert, wie das bei Kassiererinnen zum Beispiel der Fall ist. Aber sicherlich der problematischste Anwendungsbereich ist wirklich in Konservendosen.

    Fecke: Wie viel BPA wird in Deutschland denn aktuell noch verarbeitet im Jahr?

    Häuser: Da kann ich Ihnen jetzt keine genauen Zahlen sagen, aber es ist auf jeden Fall eine Massenchemikalie, die in ganz, ganz vielen Anwendungsbereichen in millionenfacher Tonnenmenge zum Einsatz kommt.

    Fecke: Wie kann ich als Verbraucher den Kontakt vermeiden?

    Häuser: In Bezug auf Lebensmittel vor allem frische Lebensmittel konsumieren, wenig aus Konservendosen, keine Getränke aus Getränkedosen trinken, sondern sich frisch und ausgewogen ernähren.

    Fecke: Warum gelten denn in Frankreich bald strengere Richtlinien als in Deutschland?

    Häuser: Na ja, das ist nicht nur bei Bisphenol A der Fall. Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner stellt sich da sehr häufig taub, wenn es um den Schutz von Verbrauchern vor gefährlichen Chemikalien geht. Da sind andere Länder wie Frankreich jetzt in diesem Fall, oder vor allem auch die skandinavischen Länder viel weiter vorne. Hier wird oftmals auf die europäische Ebene verwiesen, dass es daher geregelt werden müsse, aber da mahlen die Gesetzesmühlen sehr langsam, da gibt es eine ganz, ganz starke Industrielobby, die sich natürlich auch dagegen wehrt, dass dieser Stoff stärker reguliert wird, und andere Länder machen vor, dass man auch auf nationaler Ebene aktiv werden kann.

    Fecke: Bisphenol A soll ab 2015 in keiner Lebensmittelverpackung in Frankreich mehr zu finden sein. Warum das in Deutschland noch nicht gilt und wahrscheinlich auch demnächst nicht gelten wird, darüber sprach ich mit Sarah Häuser, sie ist Expertin für Chemikalienpolitik beim BUND.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.