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Bund Deutscher Kriminalbeamter fordert Notrufmöglichkeit im Internet

Amokläufer kündigen ihre Tat in zwei Drittel aller Fälle an, sagt Klaus Jansen vom Bund Deutscher Kriminalbeamter. Der Polizist fordert daher von Staat und Polizei, sich im Internet in den entsprechenden "social networks" präsenter zu zeigen, als eine Art "110"-Notrufmöglichkeit in der virtuellen Welt. Das Stichwort sei Prävention, so Jansen.

Klaus Jansen im Gespräch mit Gerwald Herter | 17.03.2009
    Gerwald Herter: Mit allen Vorbehalten kann man sagen, dass sich die gute Vorbereitung der Polizei in Baden-Württemberg ausgezahlt hat, und das, obwohl 16 Menschen tot sind. Das klingt erst einmal nicht danach, doch schon wenige Minuten nach dem ersten Alarm waren Polizisten in der Schule, um den bedrohten Schülern zur Hilfe zu kommen. Allem Anschein nach hat das dazu beigetragen, dass sich der Täter zur Flucht entschloss. – Ich bin jetzt mit dem erfahrenen Polizisten Klaus Jansen verbunden, vom Bund der Deutschen Kriminalbeamten. Herr Jansen, was passiert denn, wenn eine Ausbildung der örtlichen Polizei für Amokläufe fehlt?

    Klaus Jansen: Dann würde es so aussehen, wie es eigentlich vor Erfurt noch ausgesehen hat. Man riegelt eine Schule ab und wartet, bis Spezialeinsatzkräfte anrücken, um dann den Tatort irgendwie unter Kontrolle zu kriegen. Gerade Erfurt hat ja aber gezeigt, dass das als Ansatz nicht mehr zeitgemäß ist, und wir haben bundesweit die Polizisten so geschult, dass sie eben in der Situation sofort versuchen, den Täter nach Möglichkeit im Gebäude zu isolieren und oder ihn aus dem Gebäude herauszubringen. Insofern: So bitter es klingt, ist das ein erfolgreiches polizeiliches Konzept gewesen. Der Täter hatte ja mehr als 200 Schuss Munition bei sich, ständig auch nachgeladen. Ich glaube, er hätte nach den 16 Opfern seine Tat nicht beendet. Nur dem Eingreifen unserer Kollegen ist es wirklich zu verdanken, dass es in der Schule selber nicht schlimmer wurde.

    Herter: Das ist ganz schön hart für so einen einfachen Polizeibeamten, der irgendwo auf einer Polizeiwache ist, auch nicht so ausgerüstet ist wie zum Beispiel ein SEK, da reinzugehen, obwohl von der Schusswaffe ganz brutal Gebrauch gemacht wird und der Täter vielleicht vor hat, sich ohnehin ums Leben zu bringen, oder?

    Jansen: Genau das ist es, aber ich weiß, dass die Kolleginnen und Kollegen lieber in der Situation dann auch agieren als abzuwarten und mitzubekommen, wie sich vielleicht Schlimmeres abspielt. Zur Ethik des Polizisten gehört es, dort auch wirklich ohne Rücksicht auf die eigene Person einzuschreiten. Das ist etwas, was den Polizeiberuf ausmacht, und insofern denke ich, dass dieses Konzept auch das richtige Konzept ist.

    Herter: Wie sind denn dann die Polizisten ausgerüstet? Sondereinsatzkommandos haben ja Helme, Schutzwesten, alles mögliche, besondere Waffen. Gilt das dann auch für die örtliche Polizei?

    Jansen: Nein. Die örtliche Polizei hat die Waffen, die sie im normalen Regeldienst der Polizei nutzen kann. Das ist eine entsprechende Bewaffnung, die vorhanden ist, die sie eigentlich auch als Bürger sehen, und Schutzwesten. Wir haben jetzt, Gott sei Dank, flächendeckend und aus ganz anderen Gründen unsere Kollegen der Schutzpolizei mit Schutzwesten ausgerüstet. Natürlich ist damit ein erhebliches Risiko versehen und man kann immer nur appellieren, dass die Innenminister dafür sorgen, dass alle Polizisten die entsprechende qualitative Ausrüstung haben. In Baden-Württemberg ist das auf jeden Fall der Fall und ich denke, in den anderen Bundesländern sollte es nicht schlechter sein.

    Herter: Ist denn auch tatsächlich gewährleistet, dass in allen Bundesländern – wir kennen das ja: Föderalismus ist nun ein großer Vorteil, kann manchmal aber auch ein Nachteil sein – dieser Ausbildungsstandard so hoch ist?

    Jansen: Herr Herter, ich habe heute direkt, nachdem Sie angefragt haben, noch per SMS bei meinen Landesvorsitzenden eine Abfrage gemacht und ich kann Sie beruhigen. Alle Bundesländer haben "Vollzug" gemeldet. Das war ein Thema nach Erfurt, was hohe Priorität hatte, wo die Polizeivertreter sich auf Bundesebene getroffen haben und dieses neue Konzept entwickelt haben. Die Polizei hat die Hausaufgaben gemacht. Die Frage ist, was wir als Gesellschaft aus Erfurt und aus Emsdetten gelernt haben, was wir auch bereit sind, jetzt vielleicht aus diesem Vorfall in Winnenden zu lernen. Ich glaube, dieser Interventionsbereich ist abgedeckt, aber wir müssen im präventiven Bereich, wir müssen eigentlich diese Taten, wenn sie denn zu verhindern sind, auch versuchen zu verhindern, und da sind wir noch weit weg.

    Herter: Da sind Indikatoren wichtig, die auf ein besonderes Verhalten von Jugendlichen in Schulen aufmerksam machen. Da gibt es ja auch noch verschiedene Forschungsmeinungen. Glauben Sie trotzdem, dass man das irgendwie zusammenfassen kann, um daraus eine praktische Handlungsanleitung zu gewinnen?

    Jansen: Ich bin da sehr, sehr zuversichtlich, weil die Untersuchungen zeigen, dass zwei Drittel aller weltweit untersuchten Taten sich dadurch auszeichnen, dass der Täter, der final Selbstmord begehen will, einen so genannten erweiterten Selbstmord begehen will, also mit einem möglichst großen "bang" aus der Welt scheiden will, dass dieser das vorher ankündigt und kommuniziert – zu einem Drittel zirka im Internet, zu einem Drittel durch andere Kommunikation. Bloß bei einem Drittel der Fälle gibt es gar keine Kommunikation. Jetzt heißt es also für uns, diese Kommunikation, die Alarmsignale, was ja auch eigentlich fast Hilferufe sind, mitzunehmen oder mitzubekommen, wie es bei anderen Selbstmordkandidaten auch der Fall ist. Wir müssen sensibel sein und ich glaube, die große Herausforderung wird sein, wenn Jugendliche im Netz kommunizieren, in "social networks" unterwegs sind, dort sich dann aufzubauen, sich entsprechend zu posten. Das sagt man heutzutage dazu. Wir müssen als Polizei, als Staat präsent sein. Wir müssen überhaupt vor Ort ansprechbar sein. Derzeit gibt es das, was wir als "110" oder als "112" als Bürger kennen, in der realen Welt, in der virtuellen Welt nicht. Da muss die Politik die Hausaufgaben machen, da müssen wir schnellstens heran. Dann haben wir, glaube ich, schon erhebliche Möglichkeiten der Prävention gewonnen.

    Herter: Ja, unverständlich. So etwas gibt es für den Bereich Islamismus bei den Landesämtern für Verfassungsschutz, aber hier in diesem Bereich eben nicht. Sie fordern das, das muss eingerichtet werden.

    Jansen: Ja, und ich bin da in guter Gesellschaft. Unsere Bundesfamilienministerin Frau von der Leyen hat das letzte Woche auch gefordert. Ich glaube, der Handlungsbedarf ist erkannt worden, jetzt geht es um eine schnelle Umsetzung. Die Online-Wachen, die viele Polizeien im Internet haben, das sind elektronische Formularschränke; das ist gut, wenn sie einen Diebstahl anzeigen wollen. Nein, wir müssen dann vorhanden sein, wenn der Bürger auf eine Seite kommt, wenn der in eine Kommunikation im Internet kommt, in einem "social network", wo er erkennt, hier bin ich überfordert, hier müsste mal jemand draufgucken. Das heißt ja nicht unbedingt, dass dann immer gleich die Polizei ausrücken muss. Es kann ja auch sein, dass einfach ein Seelsorger rangebracht werden muss, dass dort eine Hilfe angeboten werden kann. Dann hat man zumindest die Chance, einzugreifen. Ich glaube, beide Ansätze sind wichtig: dieser polizeiliche Ansatz im Krisenfall, aber auch die Prävention im Vorfeld. Da müssen wir uns als Gesellschaft massiv einbringen.

    Herter: Sie haben die Diskussion nach Erfurt angesprochen. Noch ganz kurz zu einem weiteren Themenfeld. Müssen Waffenbesitzer schärfer kontrolliert werden? Es gibt in Deutschland kein zentrales Register für Schusswaffen.

    Jansen: Das muss schleunigst nachgeholt werden. Wir brauchen dort einen zentralen Überblick. Auch als Einsatzkraft, als Polizist müssen sie wissen, in welchen Haushalt gehen sie. Aber ich glaube, diese Kontrollen, wenn sie mehr als 1,2 Millionen Waffenbesitzer haben, wie häufig können die ernsthaft vernünftig und in der Tiefe geprüft werden, und selbst wenn sie an dem einen Tag geprüft haben, kann die Waffe am nächsten Tag schon wieder auf dem Nachttisch liegen. Ich meine, dass man Waffen entschärfen kann, indem die Munition nicht an die Waffen gehört. Wo die Munition gelagert werden soll, darüber sollte man sich Gedanken machen. Für Schießsportvereine ist es zumutbar, Munition beim Rathaus, bei der Polizei, bei der Bundeswehr, bei einem privaten Unternehmen, wo Munition sicher aufbewahrt wird, auf dem Wege zum Schießen abzuholen und nach dem Schießen wieder abzuliefern. Bei allen Taten hatten Jugendliche Zugang zu Waffen, die von den Eltern genutzt wurden beziehungsweise die sie auf sich selber eingetragen hatten. Der Steinhäuser hatte, glaube ich, selber Waffen, die auf ihn zugelassen waren. Sobald die Munition fehlt, sind wir einen wesentlichen Schritt weiter.

    Herter: Herr Jansen, vielen Dank für dieses Gespräch. – Klaus Jansen vom Bund Deutscher Kriminalbeamter.

    Jansen: Auf Wiederhören.

    Herter: Auf Wiederhören.