Freitag, 29. März 2024

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Wirtschaftskrise in der Türkei
DIHK-Vize: Andere Schwellenländer könnten folgen

Laut Volker Treier vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag besteht die Gefahr, dass die Wirtschaftskrise der Türkei auch auf andere Schwellenländer überschwappt. Hauptursache sei der Ausstieg der US-Notenbank aus der Niedrigzinspolitik, sagte er im Dlf. Finanzinvestoren würden dadurch abziehen.

Volker Treier im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 22.08.2018
    Der stellvertretende DIHK- Hauptgeschäftsführer Volker Treier.
    Der stellvertretende DIHK- Hauptgeschäftsführer Volker Treier sagte im Dlf, die expansive türkische Geldpolitik habe zu hohen Preissteigerungsraten geführt (pa/dpa/Jensen)
    Jörg Münchenberg: Lange Zeit konnte der türkische Präsident auch mit guten Wirtschaftszahlen glänzen – ein Grund für die hohe Popularität von Recep Tayyip Erdogan. Doch inzwischen hat sich das Bild gewandelt: Die Türkei durchleidet eine schwere Wirtschaftskrise, zusätzlich belastet durch US-Sanktionen. Die Lira hat zuletzt massiv an Wert verloren, die Inflationsrate liegt bei gut 16 Prozent.
    Wie angeschlagen ist der NATO-Partner und könnte sich die Krise in der Türkei auch auf andere Schwellenländer ausweiten? – Am Telefon ist nun der Chefvolkswirt des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Volker Treier. Herr Treier, einen schönen guten Morgen!
    Volker Treier: Guten Morgen, Herr Münchenberg.
    Münchenberg: Herr Treier, die Rating-Agenturen haben ja schon ein deutliches Urteil gesprochen. Sie haben die Kreditwürdigkeit der Türkei von "Ramsch-Niveau" auf "pure Spekulation" herabgestuft. Teilen Sie die Einschätzung? Liegt die türkische Wirtschaft schon so sehr am Boden?
    Treier: Im Moment haben wir es wie immer dann, wenn sich Krisen zuspitzen, auch mit Übertreibungen zu tun. Aber strukturell läuft die Türkei schon länger auf einer gewissen Kante, wo man schon hätte frühzeitiger darauf aufmerksam werden müssen, die Konjunktur nicht noch weiter zu stimulieren – einerseits durch große Infrastrukturprojekte, andererseits aber vor allem durch eine expansive Geldpolitik, die letztlich zu ganz hohen Preissteigerungsraten jetzt geführt haben und auch schon länger internationale Investoren aufmerksam gemacht hat: Oh, das Land ist nicht mehr so stabil.
    Jetzt hat die Zuspitzung des Konflikts mit den USA das Fass zum Überlaufen gebracht, und deshalb ist jetzt ein gewisses Maß an Übertreibung drin. Aber wenn das Vertrauen mal raus ist, braucht es natürlich wieder länger, und vor allem braucht es jetzt endlich mal Zeichen, dass das Vertrauen zurückkehren kann.
    "Das ist der eigentliche Kardinalfehler, den Erdogan gemacht hat"
    Münchenberg: Was wiegt Ihrer Meinung nach schwerer, die hohe Inflationsrate – 16 Prozent hieß es zuletzt -, oder auch die schwache Lira?
    Treier: Beides gehört zusammen. Schon seit Jahren importiert das Land mehr, als es exportiert im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Mehr als fünf Prozent beträgt dieses Defizit. Das heißt, man produziert weniger als man selbst braucht für Konsum und Investitionen. Die Investition geht vor allem in den Bau. Das ist weniger Deviseneinnahmen fördernd, als wenn die Investition in eine bessere Infrastruktur, vor allem in bessere Forschung und Entwicklung, bessere Bildungssysteme ginge, damit sich auch mehr ausländische Investoren, die wirklich vor Ort produzieren und letztlich für Deviseneinnahmen verantwortlich sind, niederlassen. Deutsche sind ja da.
    Aber das andere ist, dass diese importierte Inflation zu dieser Inflation beiträgt. Die Nachfrage dort ist hoch. Und das führt dann letztlich zu den Preissteigerungen und die wiederum bedeuten, dass die Lira abwertet. Wenn dann noch die Unabhängigkeit der Zentralbank in Frage gestellt wird, laxe Geldpolitik, das ist der eigentliche Kardinalfehler, den Präsident Erdogan gemacht hat.
    Münchenberg: Wenn jetzt der Kurs der Lira sinkt, dann sinken ja auch die Produktionskosten in der Türkei. Wird damit vielleicht die Türkei auch für deutsche Investoren wieder ein bisschen interessanter?
    Treier: Es mag sein, dass es etliche Investoren gibt, auch etliche der 6.500 deutschen Unternehmen, die in der Türkei tätig sind, die dort Kosten haben in Lira und die dann ihre Produkte auf die Weltmärkte bringen. Das ist ja ein positives Ergebnis auch der Wirtschaftspolitik von Herrn Erdogan über die Jahre hinweg, dass das deutsche Unternehmen, auch andere ausländische Unternehmen in das Land geholt hat.
    Aber es sind eigentlich zu wenig. Im Moment ist der Verfall der Lira weniger ein Zeichen der Hoffnung, dass dadurch das Land für den internationalen Markt preisgünstiger, wettbewerbsfähiger wird, sondern vielmehr ein Zeichen, dass das Land instabil ist, und wenn es mal in die Instabilität kommt, zieht das erste Argument wenig.
    "Deutsche Unternehmen harren aus"
    Münchenberg: Was bekommen Sie für Rückmeldungen von deutschen Unternehmen, die sich in der Türkei engagiert haben?
    Treier: Die deutschen Unternehmen sind über die Jahre hinweg auch krisenerprobt. Die letzten zwei Jahre waren ja schon sehr schwierig. Deutsche Unternehmen beschäftigen vor Ort 120.000 Mitarbeiter. Deswegen machen die sich jetzt hier nicht vom Acker, sondern die harren der Dinge. Die harren aus. Aber sie weisen natürlich darauf hin, dass auch nicht bei anderen Standortfaktoren in dem Land alles zum Besten steht – Stichwort Rechtssicherheit. Die Unabhängigkeit der Zentralbank, die in Frage gestellt ist, ist ja auch so ein Element. Die Frage der Zukunft der Zollunion.
    Deutsche Unternehmen harren aus, aber es kommen keine Neuinvestitionen in kaum nennenswertem Ausmaß, weil jetzt ist die Finanzstabilität des Landes in Frage gestellt, und das ist wirklich ein sehr delikater Moment, bei dem Sie als Unternehmen einfach wie das Kaninchen vor der Schlange stehen. Was natürlich eins zu eins betroffen ist, ist der Handel. Der Export nach Griechenland, die Kaufkraft türkischer Kunden sinkt rapide, und dementsprechend ist der Export von vielen Ländern in die Türkei auf dem Rückzug.
    Münchenberg: Nun steht rein formal die Türkei ja nur für 1,7 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts. Trotzdem: Manche befürchten ja, da könnte von der Krise in der Türkei eine Ansteckungsgefahr auf andere Schwellenländer ausgehen. Wie groß ist Ihrer Einschätzung nach dieses Risiko?
    Treier: Dieses Risiko ist nicht von der Hand zu weisen. Wir haben andere Länder, die auch ein Leistungsbilanzproblem haben, auch mehr importieren als exportieren, über Jahre hinweg, oder die eine Verschuldungssituation haben, die brenzlig ist. Hier ist Argentinien zu nennen, mit Abstrichen auch Südafrika. Die Gefahr besteht auch, dass das auf andere Länder vielleicht wie Indien überschwappt. So was haben wir in der Geschichte ja schon häufiger gesehen, wenn es in einem Land mal losgeht.
    Dafür die Hauptursache ist allerdings das hohe Zinsgefälle oder der Ausstieg der US-Notenbank aus der Niedrigzinspolitik, der ja lange schon angezeigt war, den die Notenbank dort auch vorgenommen hat. Das heißt, sichere Häfen, sichere Anlagen, Länder westlicher Herkunft, Industrieländer bieten wieder höhere Renditen, und dementsprechend ziehen Finanzinvestoren ab aus Schwellenländern. Diese Schwellenländer zeigen im Moment durch das Beispiel der Türkei, wenn eine wenig auf Stabilität orientierte Wirtschaftspolitik da ist, dass es doch sehr riskant ist. Das Risiko wird neu bewertet. Deswegen ist die Gefahr tatsächlich da.
    "Solche Hilfsmaßnahmen können für sich allein betrachtet nur zu gering sein"
    Münchenberg: Herr Treier, vor dem Bild, was Sie jetzt skizziert haben, würden dann da mögliche deutsche Hilfsmaßnahmen, wie sie die SPD-Chefin ins Spiel gebracht hat, wirklich Sinn machen? Würden die den Druck im Land wirklich vermindern helfen können?
    Treier: Solche Hilfsmaßnahmen können für sich allein betrachtet nur zu gering sein, und sie können auch nie isoliert gesehen werden. Gut ist und notwendig ist es, dass die deutsche Regierung verschiedentlich jetzt Gespräche mit verantwortlichen politischen Akteuren der Türkei vor sich hat. Bundesminister Altmaier fährt ja in die Türkei und Präsident Erdogan kommt hier zur Bundeskanzlerin auch mit mehreren Ministern. Dass sie Gespräche führen und nicht einseitig über Hilfen reden, sondern wir müssen fragen, was kann denn zu einer Stabilisierung der Situation beziehungsweise einer Stabilisierung der Wirtschaft insgesamt und einer besseren Fortentwicklung führen, und da ist ganz dringlich jetzt das Thema Unabhängigkeit der Zentralbank.
    Die Märkte brauchen ein Signal der Zinserhöhung in der Türkei. Und die Realwirtschaft muss wissen, wie geht es denn weiter in der Partnerschaft der Türkei mit der Europäischen Union – Stichwort Zollunion. Hier brauchen wir auch konkrete Schritte, um nur mal zwei zu nennen, und das Thema Rechtssicherheit vor Ort. Und wenn das alles auf dem Weg ist, nämlich in Gesprächen, dann kann man vielleicht auch über Finanzhilfen sprechen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.