Freitag, 29. März 2024

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BUND zu den Unwettern
"Bäche werden zu reißenden Flüssen"

Dirk Jansen vom BUND Nordrhein-Westfalen hat von der Bundesregierung "endlich ein konsequenteres Handeln" in Sachen Umweltschutz gefordert. "Das läuft alles viel zu langsam", sagte er im DLF. Nur durch die gezielte Renaturierung der Gewässer sowie eine veränderte Agrar- und Siedlungspolitik könne man Unwetterkatastrophen langfristig entgegenwirken.

Dirk Jansen im Gespräch mit Jule Reimer | 03.06.2016
    Sandsäcke am Damm der Issel in Hamminkeln.
    Selbst kleinste Bäche werden bei Unwettern aufgrund falscher Siedlungspolitik zu reißenden Flüssen. (picture alliance / dpa / Marcel Kusch)
    Jule Reimer: Während in Bayern die Suche nach weiteren Hochwasseropfern weitergeht, hat sich die Lage am Niederrhein in der Nacht ein wenig entspannt. Auch nach den erneuten Regenfällen blieben die Stadt Hamminkeln bei Wesel und das benachbarte Isselburg von den Fluten verschont. In Düsseldorf bin ich verbunden mit Dirk Jansen von der Umweltschutzorganisation BUND Nordrhein-Westfalen. Herr Jansen, dass das Hochwasser so viele Haushalte und teilweise bisher auch nicht gefährdete Gemeinden trifft, ist das die simple Macht der Natur oder auch hausgemacht?
    Dirk Jansen: Das ist zum großen Teil auch hausgemacht, denn klar ist: Klimawandelbedingt - und dieser wird ja angeheizt vor allen Dingen durch die weitere Verbrennung der Kohle - wird die Zahl der Starkregentage zunehmen. Sie nimmt schon zu. Die Höhe der Gesamtniederschläge pro Jahr nimmt auch zu. Und das Ganze kombiniert mit einer verfehlten Agrar- und Siedlungspolitik führt dann zu solchen Ereignissen, und sie werden in der Zukunft noch zunehmen.
    Reimer: Verfehlte Agrarpolitik heißt was?
    Jansen: Der gesamte Niederrhein ist agrarisch intensivst genutzt. Das heißt, Grünland ist dort eher die Ausnahme. Wir haben Maisäcker, wir haben Ackerflächen, alles Flächen, die verdichtet sind, die nicht mehr als Wasserschwamm, als Speicher dienen können, sondern die einen schnellen Abfluss von Niederschlägen fördern. Und das führt dazu, dass mehr Wasser schneller in den Gewässern ankommt, die obendrein zum großen Teil begradigt und nicht mehr naturnah zurückgebaut sind. Und die Folgen sind dann solche Hochwässer.
    Reimer: Das Baurecht, die Siedlungspolitik ist auch immer wieder Thema. Zu nah am Fluss gebaut, ja. Aber wir haben jetzt Fälle, wo es sich um Bäche gehandelt hat.
    "Es rauschen große Mengen selbst durch kleinste Gewässer"
    Jansen: Genau. Das ist gesamte Einzugsgebiet des Rheines, und wir haben 50.000 Kilometer Fließgewässer in ganz Nordrhein-Westfalen.
    Reimer: Aber Bach ist nicht gleich Fluss.
    Jansen: Nein, Bach ist nicht gleich Fluss. Aber die Bäche entwickeln sich bei solchen Starkregen-Ereignissen zunehmend zu solch reißenden Flüssen, weil sie keine Aue mehr haben, weil sie keine angrenzenden Flächen mehr haben, die das Wasser speichern können. Das heißt, es rauschen große Mengen selbst durch kleinste Gewässer, und das führt natürlich dazu, dass diese Wassermassen schnell über die Ufer treten und das angrenzende Gebiet, Siedlungen, Gewerbegebiete unter Wasser setzen.
    Reimer: Was kann man besser machen?
    Jansen: Man muss anfangen bei einer konsequenten Klimaschutzpolitik, und da wird momentan genau das Gegenteil gemacht. Die Bundesregierung würgt derzeit das Erneuerbare-Energien-Gesetz ab und setzt weiter auf den Klimakiller Kohle. Das ist das eine.
    Das Zweite ist: Wir müssen endlich die Umsetzung der EU-Wasser-Rahmenrichtlinie konsequent in Angriff nehmen, die den ökologischen Zustand der Gewässer verbindlich fördern möchte. Bis 2027 muss das geschehen.
    Wir brauchen auch eine andere Agrarpolitik, weg von den intensivlandwirtschaftlich bewirtschafteten Flächen hin zu einem ökologischen Landbau, und wir brauchen letztendlich auch eine andere Siedlungspolitik. Und im Baurecht wünsche ich mir, dass endlich alle natürlichen Überschwemmungsbereiche freigehalten werden von Wohnbebauung, dass die Flüsse wieder ihren natürlichen Raum für Ausbreitungen bekommen.
    90 Prozent der NRW-Gewässer in keinem guten Zustand
    Reimer: Aber es ist doch einiges getan worden in Sachen Renaturierung von Flüssen.
    Jansen: Das läuft alles viel zu langsam. In Nordrhein-Westfalen sind nach wie vor 90 Prozent aller Fließgewässer in keinem guten ökologischen Zustand. Wir haben hier einen enormen Nachholbedarf, um die Fehler der vergangenen Jahrzehnte wiedergutzumachen. Hier fordere ich ein wesentlich konsequenteres Handeln auch der Landesregierung.
    Reimer: Vielen Dank! - Dirk Jansen von der Umweltschutzorganisation BUND Nordrhein-Westfalen zur aktuellen Hochwasserlage.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.