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Rio nach den Spielen
Taxi statt Titel

Was ist geblieben, vom versprochenen Olympia-Erbe nach den Spielen in Rio de Janeiro? Besonders profitieren sollten Sportler und Verbände von Disziplinen, die neben dem alles dominierenden Fußball kaum Beachtung finden. Das Schicksal von Brasiliens bestem griechisch-römischer Ringer zeigt: Eine nachhaltige Sportförderung gibt es nicht.

Von Carsten Upadek | 06.05.2017
    Davi Albino, Brasiliens bester griechisch-römischen Ringer beim Training
    Davi Albino (r.), Brasiliens bester griechisch-römischen Ringer (Carsten Upadek, Deutschlandfunk)
    Ringkampf-Training in einer Turnhalle in Rio de Janeiro. Jeweils zwei Sportler sind ineinander verkeilt, versuchen Halt am Körper des Gegners zu finden, um zum Wurf anzusetzen. In der Mitte ringt ein großer, massiger Athlet im grünen Shirt. Ertönt der Pfiff, wechseln sich seine Gegner ab – drei an der Zahl.
    Spezialtraining für Davi Albino, Brasiliens bestem griechisch-römischen Ringer vor dem ersten wichtigen Turnier nach den Olympischen Spielen, den Panamerika-Meisterschaften. Kurze Pause für Davi: "Verdammt bin ich fertig! Aber im Wettkampf wird mir das helfen, weil ich dann nicht müde werde. Denn kein Gegner hat die Kraft von dreien!" Nächste Runde.
    Hungrig zum Training, weil das Geld nicht reicht
    Noch ein bisschen mehr Leistung aus dem Körper herauskitzeln, auch wenn es weh tut, das hat Davi in seinem Leben gelernt. Als Kind lebte der heute 30-Jährige in São Paulo auf der Straße. Einziger Anlaufpunkt war das Ringer-Zentrum, das nach dem Training Essen verteilte. Davi begann beeindruckende Ergebnisse zu sammeln, mit 22 Jahren zog er nach Rio de Janeiro, um am Olympia-Stützpunkt zu trainieren.
    Dafür erhielt er monatlich umgerechnet 270 Euro Athleten-Stipendium – das meiste ging fürs Busticket zum Training drauf. "Ich will ehrlich sein, mehrfach haben wir hungrig trainiert. Selbst noch hier in Rio de Janeiro haben wir Fertignudeln gegessen, weil wir keine andere Möglichkeit hatten. Ich bin Südamerika-Champion geworden mit fünf Kilo unter meiner Gewichtsklasse."
    "Der Staat hat mich fallengelassen"
    Dann kamen die Olympischen Spiele in Sichtweite und mit ihnen die Hoffnung, etwas Geld zu verdienen. 2015 gewann Davi Albino bei den panamerikanischen Spielen Bronze und wurde zur brasilianischen Ringerhoffnung im griechisch-römischen Stil. Er landete in der Elite-Förderung des Staates, der Medaillen garantieren sollte. Der Ringer erhielt einen Vertrag über zwölf Monate mit einer monatlichen Förderung von 2300 Euro – Geld, das er in seine Wohnung investierte.
    "Ich war 13. der Weltrangliste und bekam deshalb dieses Podiums-Stipendium. Zwölf Monate waren vereinbart, aber ich habe nur einen Teil bekommen. Die vereinbarten Raten nach den Olympischen Spielen wurden nie bezahlt, auch bei anderen Athleten. Ich habe nicht einmal eine Mitteilung erhalten."
    Davi Albino sagt, der Staat habe ihn fallen lassen. Das habe seine unglückliche verpasste Olympia-Qualifikation für ihn noch bitterer gemacht. Ohne private Sponsoren und ohne die vereinbarte staatliche Förderung geriet er in ernste finanzielle Schwierigkeiten. "Ich war sauer, ich hatte verschiedene Verpflichtungen, die ich nicht erfüllen konnte. Das macht Dich wütend und traurig. Aber ich habe mich angepasst und einige Monate als Fahrer für einen Taxidienst gearbeitet. Jetzt schaffe ich es zeitlich nicht mehr, weil ich mich auf mehrere Wettbewerbe vorbereite."
    Mit Taxifahren über Wasser gehalten
    Taxi zu fahren habe ihn finanziell stabilisiert. Auf Zahlung der fehlenden vier Raten seines Vertrages klagt er nun gegen den Staat Brasilien. Einige Beobachter sagen, Davi sei ein Spiegelbild der Finanzrealität nach Olympia. Das Budget des Sportministeriums ist um die Hälfte geschrumpft. Die brasilianische Post und die Staatsbank kürzten ihre Sponsorengelder um mehr als elf Millionen Euro. Nachhaltige Sportförderung – Fehlanzeige. Trotzdem sei Olympia ein großer Schritt nach vorn gewesen für alle olympischen Sportarten, sagt Roberto Leitão, Chef des Ringerverbandes:
    "Die Investments sind zurückgegangen. Aber die Strukturen, die ich heute habe, das Wissen meiner Athleten, meiner Trainer, der Administratoren und das Equipment, das bleibt uns … Alle reden immer darüber, wie schlecht alles ist, aber niemand, dass wir ein riesiges Erbe haben."
    "Olympiaerbe ist unter null"
    Anders sieht das Sport-Kommentator Juca Kfouri: "Das brasilianische Olympiaerbe ist absolut unter null! Nichts wurde gehalten, was versprochen wurde. Die Athleten haben zum großen Teil ihre Sponsoren verloren, die Unternehmen haben sich von den olympischen Disziplinen abgewandt, weil die Spiele vorbei sind. Das brasilianische Olympia-Organisationskomitee ist pleite bis auf die Unterhose."
    Davi Albino will nicht jammern. Er hat es eilig. 30 Minuten nach Trainingsende beginnt der Unterricht für seinen Abendkurs zum Sportlehrer. "Das hier ist meine Fakultät. Ich möchte Trainer für den Nachwuchs im Ringen werden. Das ist jetzt mein erstes Jahr. 2019 bin ich fertig." Dann fehle ihm nur noch eine Olympiateilnahme 2020. Das wäre sein Traum – wenn er sich denn das Training für sein Land so lange neben dem Studium leisten kann.