Schweriner Pilger ist in türkischer Haft

Warten auf David

Ein Mann im Gefängnis
Seit acht Monaten sitzt David Britsch in der Türkei in Abschiebehaft. (Symbolbild) © imago
Von Alexa Hennings · 05.12.2017
Vor einem Jahr wollte David Britsch von Schwerin über die Türkei nach Israel pilgern. Doch er kam nie an. Seit acht Monaten sitzt er im türkischen Antakya in Abschiebehaft. Doch anders als bei Denis Yücel und Peter Steudtner fand sein Fall nicht den Weg in die breite Öffentlichkeit.
An einem Freitag in Schwerin, acht Uhr. Heike Britsch setzt Teewasser auf. Viermal wird sie das in diesen Stunden tun. Abwarten und Tee trinken. Wenn sich jemand nach diesem Sprichwort richtet, dann sie. Teetrinken, beruhigt das? "Ja", sagt sie. "Ich merke, dass ich ständig, gerade freitags, in so einer inneren Anspannung bin." Wenn sie nur kurz auf die Toilette gehe und merke, "ich habe die Telefone nicht dabei, dann ist das wie so ein Schock! Dann wird alles abgebrochen, schnell zu den Telefonen!"
Mit drei Telefonen - altes Handy, neues Handy und Festnetztelefon -, Teekanne und Teetassen ziehen wir um ins Wohnzimmer. Heike Britsch legt ein paar Scheite nach im Kamin.
Der Blick geht hinaus auf den Ziegelsee. Familie Britsch - sie ist Theologin, er Buchbindermeister und Pädagoge - bewohnt mit den vier Pflegekindern ein schmales, schönes Stadthaus in Schwerin. Stuck an der Decke, auf der Anrichte aus Großmutters Zeiten ein großes Glas voller Hühnergötter. Die kleinen Feuersteine mit einem Loch sollen ja Glück bringen. Das kann man gerade gut gebrauchen hier. Heike Britsch, eine kleine, zierliche Frau mit schulterlangem grauen Haar, hat den Schulatlas der Kinder geholt.

Ein "Gebet mit den Füßen"

Sie fährt mit dem Finger über die Landkarte: Berlin, Breslau, dann durch die Slowakei, Rumänien, Bulgarien. "Dann hier über den Bosporus. Und dann ist er hier in den Süden der Türkei gegangen. Und in Antakya da war es zuende. Und Jerusalem ist hier schon irgendwie, ist gar nicht mehr weit! Das alles hat er geschafft. Und hätten sie ihm gesagt, es geht nicht mehr weiter, dann wollte er mit dem Schiff.." - Der Zeigefinger tastet sich übers Mittelmeer an Syrien vorbei: "Aber er wollte es wenigstens versuchen. Auch so als Friedensbotschaft für die Menschen in Syrien."
Ein "Gebet mit den Füßen", eine ganz private und stille Friedensmission sollte es sein. Ganz ohne Geld war David Britsch unterwegs, überall traf er auf gastfreundliche, hilfsbereite Menschen und berichtete regelmäßig in einem Blog über seine Begegnungen und Erlebnisse. Auch in der Türkei ging lange alles gut.
"Er hat ja oft Kontakt zur Polizei gehabt, die haben ihn oft durchsucht, manchmal zwei- bis dreimal am Tag", sagt Heike Britsch. "Und er hat ihnen immer seine Geschichte erzählt, was er vorhat. Die hatten damit kein Problem." Sie hätten ihm nur geraten, nur die großen Straßen zu nutzen. "Daran hat er sich gehalten, er ist dann immer die große Straße lang gegangen. Hat ihm trotzdem nichts genützt, er wurde trotzdem festgenommen."

"Auf alle Nachfragen kriegen wir einfach keine Antwort"

Zuerst hieß es, der Pilger habe ein Sperrgebiet betreten. "Das wurde nur einmal am Anfang erwähnt." Dann habe man das fallen lassen. "Und auf alle Nachfragen kriegen wir einfach keine Antwort. Wir nicht und die Botschaft nicht. Ja, Ich werde mal noch einen Tee aufgießen", sagt sie schließlich. "Ich hab Ihnen nur noch den letzten Tropfen eingegossen. Wird vielleicht auch sehr bitter sein."
Zehn Uhr. Zweiter Teeaufguss. Die drei Telefone wandern mit in die Küche. Und dann wieder zurück. Nur nicht aus den Augen lassen.

In jede Tasse rührt Heike Britsch einen Löffel Honig. Den Honigläserstapel möchte man sehen, der sich hie in den acht Monaten angesammelt hat. Acht Monate, so lange schon sitzt ihr Mann in einer türkischen Abschiebehaftanstalt. Doch abgeschoben werden nur die anderen. Er lebt zusammen mit Hunderten Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan, Pakistan, Iran und Irak, die in der Türkei aufgegriffen wurden.

"David fehlt ganz doll"

Um ihn herum wird fast nur arabisch gesprochen, nur wenige können englisch. Ein Acht-Mann-Zimmer mit ständig wechselnder Belegschaft. Spätestens nach einem halben Jahr, also Anfang Oktober, hätte man den Schweriner freilassen müssen, das sehen türkische Gesetze vor. Auch diese Frist verstrich.
Manchmal ist es zum Verzweifeln für Heike Britsch und die Pflegekinder. Das jüngste von ihnen ist 13 Jahre alt. "Anabell ist fast immer an meiner Seite, wenn sie da ist. Und wenn ich dann mal weine, dann sage ich ihr das halt: Das gehört dazu, das gehört zum Leben dazu." Trotzdem habe es lange gedauert, bis Anabell begriffen habe, dass ihre Mutter nicht ihretwegen weint. "David fehlt ganz doll und das kommt auch immer wieder durch."
"Der David hat das so gemacht! Wenn David gekocht hat, hat er das so gemacht. Das Kochen hatte David immer übernommen." - Kochen. Das war das Stichwort. Fisch soll es heute geben. Wir ziehen mit den drei Telefonen wieder in die Küche um. 13 Uhr, noch immer kein Anruf. Heike Britsch reißt zwei Packungen mit Schlemmerfilet auf.
"Die größte Arbeit ist ja immer wieder das Emotionale. Das erlebe ich so. Das Außen kriegen wir hin. Die Kinder sind groß und sie unterstützen mich. Das läuft alles. Aber die emotionale Seite, das kann ich meistens nur allein oder mit ganz engen Freunden. Wenn ich noch ein Gegenüber habe, was mir zuhört, was wirklich für mich da ist, dann kommt noch eine andere Kraft rein."
Inzwischen sei auch ein "ganz schöner Kontakt zur Gethsemane-Gemeinde" entstanden. "Da gibt es eine Frau, die mich immer mal anmailt und fragt, wie es geht. Und mir Fotos schickt vom Zaun, wo an Davids Geburtstag ein Blumenstrauß stand. Das finde ich auch ganz schön."

Gebete an der Berliner Gethsemane-Kirche

Die Gemeinde an der Berliner Gethsemane-Kirche betet, die deutsche Botschaft in Ankara schreibt Briefe. Viermal schickte sie einen Mitarbeiter zu Besuch ins Gefängnis. Anwälte sind erst seit Kurzem zugelassen. Deutsche Politiker lassen ihre Büros freundlich antworten, wenn Heike Britsch sich an sie wendet. Passiert ist in all den Monaten: nichts.
"Ja, das ist er!" - Halb zwei. Endlich! Auf dem Display die türkische Vorwahl. Jetzt bloß keinen Fehler machen. Zuerst die neue App beim Handy aktivieren, um das Gespräch aufzunehmen. Als nächstes die Lautsprechertaste am Festnetztelefon drücken. Dann erst das Gespräch annehmen.
"Hallo David!" - "Hallo Heike." - "Hallo David, ich hab das heute mal auf laut gestellt, weil hier noch eine Journalistin ist, die.." - "Aha, na so was!" - "Hallo, hier ist Alexa." - "Hallo Alexa!" - "Die möchte was für den Deutschlandfunk, glaub' ich, machen."
"Ich wollte dich fragen, wie es dir wirklich geht", fragt David seine Frau. - "Wie es mir wirklich geht?" - "Ja." - "Schwankend, das weißt du. Ich krieg das alles gut hin. Du weißt doch, dass wir dran wachsen. Und das tu ich." - "Das ist die Idee. Du, du brauchst dir keine Sorgen um mich machen." - "Ja?" - "Ja, das ist so! Aber ein paar Fragen habe ich noch an dich. Ja, gut."
Heike Britsch schaut auf ihren Zettel. Darauf, durchnummeriert nach Wichtigkeit, all das, was sie ihren Mann fragen oder ihm sagen will.

"Ich möchte, dass die Regierung endlich was tut"

"Erst mal will ich dir was sagen. Gestern sind Briefe von dir angekommen." - "Ach, das ist ja mal schön! Von August - alte oder neue?" - "Beides ..."
Im Juli durfte der seit Anfang April Gefangene den ersten Brief nach Hause schreiben, pro Monat einen. Doch die Behörden hielten die Briefe zurück. Angekommen sind nun alle auf einmal.
"Gut, das abgehakt. Der Konsul wollte gern den Namen der Anwältin haben ..." Fünf Minuten haben sie nur. Heike Britsch versucht, ihren Zettel mit dem Organisatorischen abzuarbeiten. Bis sie zur eigentlich wichtigsten Frage kommt.
"Wie geht es dir?", fragt Heike. "Ja, na ja. Ich habe immer mal wieder den Impuls, hier alles kurz und klein zu schlagen. Und ich möchte, dass die Regierung jetzt endlich was tut. Die Botschaft tut, was sie kann, aber ihr sind die Hände gebunden. Aber solange die Milliarden fließen, bin ich der Meinung, die Regierung hat nicht alles getan, was sie tun kann. Ja, und ich habe das dringende Bedürfnis, dass sich jetzt was tut. Ah, name of the Advokat..."

Ein Gefangener des Staates Türkei

Ein Blick auf die Uhr: Die fünf Minuten sind längst um. "Ich muss Schluss machen", sagt David. "Du machst das schon richtig." - "Ich mach das, danke. Bis bald. Tschüss. Tschüss. So, das war jetzt tatsächlich ..." ein befreiendes Lachen. Die Anspannung von sieben Tagen Warten fällt ab. Kurzes Bangen, ob die Aufnahme mit dem Handy geklappt hat.
Ein Glück, alles drauf. Nun kann sie es allen vorspielen, was David gesagt hat, den Kindern, dem Bruder, dem Vater. Der wollte sich eigentlich mit seinem Sohn in Jerusalem treffen, wollte hinfliegen, wenn David seine Pilgerreise beendet haben würde. Jetzt, acht Monate später, ist ihm das nicht mehr möglich. Krebs im Endstadium. Vater und Sohn möchten sich noch einmal sehen im Leben. Aber David Britsch ist ein Gefangener des Staates Türkei. Warum, das hat ihm bisher keiner gesagt. - "Ich muss Schluss machen. David, danke dir. Bis bald. Tschüss. Tschüss."
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